Hirntod und Bewusstsein

Buchvorstellung - 21.03.2010

Pim van Lommel
Endloses Bewusstsein
Neue medizinische Fakten zur Nahtoderfahrung

Düsseldorf: Patmos-Verlag 2009
456 Seiten
ISBN 978-3-491-36022-8

Zu Nahtoderfahrungen (NTE) sind in den letzten Jahrzehnten Dutzende von wissenschaftlichen Studien durchgeführt worden. Die meisten davon waren retrospektiv angelegt, d. h. sie gaben vergleichend die (teils lange zurück liegenden) Patientenberichte wieder, jedoch ohne die Rahmenbedingungen prüfen zu können. Einen Fortschritt markierte dann eine prospektive Studie (mit kontrolliertem Kontext dieser Grenzerfahrungen), wie sie in den 90er Jahren in den Niederlanden durchgeführt wurde. Diese Untersuchung war einer der Anstöße für dieses Buch des von dort stammenden Mediziners.

In den 18 ausführlichen Kapiteln referiert, analysiert und kommentiert der Verfasser den Stand der Forschung, geht auf die Kritiker ein und zieht weitreichende Schlüsse aus den Befunden. Systematisch geht er den zentralen Fragen des Phänomens der NTE nach: Wie lässt es sich erklären, dass einige Patienten im Nachhinein genau schildern können, was während einer Narkose ... gesagt oder getan wurde? Kann man bei einem Patienten, der im Koma liegt, noch von Bewusstsein sprechen? Kann man einer Person, die für hirntot erklärt wird, noch Bewusstsein zusprechen? Ist ein Mensch, der hirntot ist, wirklich tot? Kommt der klinische Tod dem Verlust von Bewusstsein gleich? Kann man, nachdem jemand definitiv gestorben und der Körper erkaltet ist, noch von Bewusstsein sprechen? (13-15). Berichte der Betroffenen als auch Einwände der Bestreiter dieser Erlebnisse als realer Bewusstseinsinhalte kommen ausgiebig zu Wort. Van Lommel kommt aber zu dem Schluss, dass die vorherrschenden (und eher materialistisch orientierten) Paradigmen in Medizin und Hirnforschung keine hinreichende Deutungs-Basis für NTE darstellen: „Das Bewusstsein lässt sich nicht auf das Gehirn reduzieren, denn es ist nicht-lokal, und unser Gehirn hat für Bewusstseinserfahrungen nur eine ermöglichende, keine produktive Funktion“ (339). Das Konzept eines nichtlokalen, damit endlosen und ewigen Bewusstseins sieht van Lommel deutlich gestützt durch die neueren Erkenntnisse aus der Quantenphysik, die zudem auffällige Parallelen aufscheinen lassen zu den mystischen Traditionen aller Religionen, die den vom Materiellen unabhängigen Charakter des Geistigen schon immer betonten. Nicht nur wegen seines dokumentarischen Wertes, sondern gerade auch in seinen mutig gegen den lautstarken Trend der Hirnforscher (zu reduktionistischem Denken) formulierten Deutungen stellt dieses Buch einen herausfordernden Beitrag in dieser Diskussion dar.

Reiner Jungnitsch

Quelle: Religionsunterricht heute. Informationen des Dezernates Schulen und Hochschulen im Bischöflichen Ordinariat Main, Heft 4/2009, S. 35.