Jean-Claude Escaffit/ Moiz Rasiwala
Die Geschichte von Taizé
Freiburg i.Br.: Herder 2009
239 Seiten
ISBN 978-3-451-29959-9
Die Geschichte von Taizé ist zugleich die Geschichte von Roger Louis Schutz-Marsauche, in der christlichen Welt bekannt und vielfach verehrt als Frère Roger. Sein Lebens- und Glaubenszeugnis bis zu seiner Tötung am 16. August 2005 ist die Mitte und Orientierungspunkt für die Gemeinschaftund die vielen, häufig jungen Menschen, die sich auf den Weg in das Dorf in Südburgund machen - und vielfach als andere Menschen in ihre Heimat zurückkehren.
Die beiden Autoren schildern in den ersten Kapiteln die Herkunft von Frère Roger: die Beheimatung in der Familie, das protestantische geprägte Leben (der Vater war Pastor) aber auch seine ersten Besuche katholischer Kirchen am Ort. Seine Gesundheit war schwach, die Zeit der Genesung verbrachte er in einer Kartause in den Alpen. Dennoch studierte er auf Wunsch des Vaters evangelische Theologie und lernt dort die evanglische Erneuerungsbewegung wie auch die ökumenische Bewegung kennen. Immer wieder trieb ihn die Idee eines gemeinsamen monastischen Lebens um, die er im August 1940 in Taizé umzusetzen begann. Die Zeit des Krieges nutzte er für das Studium und die Kontaktaufnahme zu Gleichgesonnenen. Die ersten Anfänge der Communauté und ihre ökumenische Offenheit skizzieren die Autoren in den Folgekapiteln. 1945 sorgten sich die Brüder um Kriegsgefangene und elternlose Kinder, die Bedingungen der Arbeit waren eher bedrückend. Kraft fand die Gemeinschaft im gemeinsamen Gebet, erste liturgische Gebetsformen bildeten sich aus. Die "Regel von Taizé" nahm Gestalt an. 1969 trat der erste katholische Bruder bei, die mehrere Brüder nahmen an ökumenischen Versammlungen in Rom teil.
Zugleich ist Taizé auf das Engste verbunden mit der Geschichte der römisch-katholischen Kirche im 20. Jahrhundert. Wie von den Autoren sehr interessant geschildert, ermöglichte das Zweite Vatikanische Konzil die Weiterentwicklung der Gemeinschaft. Frère Roger und Frère Max nahmen über drei Jahre hinweg als Konzilsbeobachter an sämtlichen Sessionen teil, nur zwei Redebeiträge verpassten sie. Von den Kontakten, die die Brüder und Bischöfe aus der ganzen Weltkirche knüpften, zehrten beide Seiten über mehrere Jahrzehnte. Ein junger Weihbischof aus Krakau nahm wie viele andere die Einladung zum Essen in der Kommunität in Rom an: Karol Wojtyla, der spätere Papst Johannes Paul II - eine Freundschaft, die 43 Jahre andauerte.
Die 1960er und 1970er Jahre prägten Suchbewegungen, hoffnungsvolle Aufbrüche und niederschmetternde Enttäuschungen. Zu einem Tiefpunkt gehörte - so die Autoren - die Vorladung vor das Heilige Offizium im April 1974. Gleichzeitig fanden die ersten großen Jugendtreffen mit bis zu 40.000 Teilnehmenden in Taizé statt, genauso das "Konzil der Jugend", vorbereitet von jungen Menschen auf allen Erdteilen, im August 1974. Die Treffen von Jugendlichen in Taizé und in den neu gegründeten Fraternitäten in aller Welt institutionalisierten sich trotz der von den Brüdern propagierten "Dynamik des Vorläufigen". Seit den 1980er Jahren findet die Gemeinschaft von Taizé weltweite Anerkennung, sie wird bei vielen hochrangigen Preisverleihungen bedacht (u.a. UNESCO-Preis für Friedenserziehung). Als sich der vormalige Protestant und bekannte Theologie Max Thurian nicht nur den Brüdern anschließt sondern zur katholischen Kirche konvertiert und sich 1987 in aller Stille zum Priester weihen ließ, erhob sich die Frage, wie weit die Annäherung an die katholische Kirche fortgeschritten sei. Die Entwicklung der letzten beiden Jahrzehnte und ein Ausblick schließen diesen außerordentlich interessanten Band ab.
Allen, die sich für ökumenische Annäherung interessieren, die die kirchlichen Entwicklungen nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil beobachten oder an ihnen teilhaben, denen Taizé, seine Gemeinschaft, deren Spiritualität und liturgische Musik am Herzen liegen, sei die Lektüre dieses gut zu lesenden Buches empfohlen.
Die beiden Autoren sind Taizé seit Jahrzehnten verbunden. Jean Claude Escaffit arbeitet als Journalist für die katholische Wochenzeitschrift "La Vie" und die katholische Tageszeitung "La Croix" und berichtet dort regelmäßig über die Gemeinschaft und den Ort. Moiz Rasiwala, Astrophysiker und ständiger Diakon, war schon in den 1960er Jahren in Taizé an der Vorbereitung des "Konzils der Jugend" beteiligt.
Barbara Wieland