Arnold Stadler
Salvatore
Frankfurt am Main: S. Fischer-Verlag 2008
224 Seiten
ISBN 978-3-10-075124-9
„Noch ein Buch der Sehnsucht“, heißt es im Frontispiz des neuen Buches von Arnold Stadler. „Für die mit der Sehnsucht nach dem ganz Anderen.“ Und dann entfaltet Stadler diese „Sehnsucht“ zur „Seh-Sucht“, indem er Mt 20,29-34 im Wortlaut der eigenen Übersetzung anschließt, wo zwei Blinde hinter Jesus herrufen und ihn bitten: „Herr, wir möchten, dass du uns die Augen öffnest! Wir möchten sehen!“, was das Mitleid Jesu weckt und ihn dazu bringt, ihre Augen zu berühren und sie zu heilen.
Vom Berührtsein und Sehendwerden handelt auch dieser Roman des 1954 in Meßkirch geborenen, mehrfach ausgezeichneten Autors mit katholischer Kindheit und Theologiestudium, die er beide auch hier nicht verschweigen kann und wohl auch nicht verschweigen will. Salvatore, der Mann, der einem auf den ersten Seiten vorgestellt wird und der im Verlauf des Buches ins Kino geht, um Pier Paolo Pasolinis Film „Il Vangelo secondo Matteo“ zu sehen, ist ein Wartender. „Er wartete auf alles, als wäre es auf nichts.“ Er weiß schon lange nicht mehr, worauf er wartet. Die Antwort, worauf er wartet, erhält Salvatore durch Pasolinis Film, der ihm die Augen öffnet, ihn sehend, „seh-süchtig“ also, macht. So entwirft Stadler in der ihm eigenen Art der literarischen Konstruktion eine Mischung aus Roman und autobiographischer Erinnerungsszenerie, entwirft vor seinen Lesern die Szenerie des Films und kehrt gleichsam die Regiearbeit Pasolinis um: hatte dieser aus dem Evangelienbuch einen Film gemacht, so macht Stadler aus dem Film wiederum ein Buch.
Nach Mel Gibsons sich an der Grenze des Erträglichen bewegenden Film „Passion“ erinnert Stadler zugleich an einen Film, der eine ganze Generation in einer Weise bewegte und prägte, die heutigen Schülerinnen und Schülern kaum mehr nachvollziehbar erscheint. Dabei ist auch Salvatore in Stadlers Buch eher zweifelnd als religiös, eher skeptisch als vertrauend. Und dennoch hat er „Sehnsucht nach dem Glauben von einst“, wie es im Roman heißt. Er ist durchaus religiös musikalisch geblieben, so sehr er auch ein Mensch der Postmoderne ist. Stadlers Buch ist ungeheuer reich im Blick auf eine Vielzahl von Fragestellungen innerhalb von Theologie und Kirche („Arme Kirche: Wie sollte einer noch Heil bei ihr finden, die ihr Heil bei Unternehmensberatungen suchte.“, denkt Salvatore einmal). Insofern eine Fundgrube für alle theologisch und literarisch interessierten Leserinnen und Leser. Und, wie immer bei Stadler: ein echter Lesegenuss!
Thomas Meurer (+)
Buchtipp des Monats Dezember 2008 bei http://www.theologie-und-literatur.de