Martin Walser
Mein Jenseits
Novelle
Berlin: University Press 2010
132 Seiten
ISBN 978-3-940432-77-3
Der Titel „Mein Jenseits“ schreit geradezu nach einer Besprechung auf einer Plattform, die sich mit Theologie und Literatur beschäftigt. Wie sieht das Jenseits des Martin Walser aus, fragt sich der Leser, der zunächst nur den Titel wahrnimmt. Um dessen Jenseitsvorstellungen geht es aber gar nicht – allenfalls in der Maske des Literarischen.
Im Mittelpunkt steht Augustin Feinlein, Chef des Psychiatrischen Landeskrankenhauses in Scherblingen. Dessen große Liebe heiratet, nachdem sie Feinlein schon einmal zugunsten eines Grafen zurückgestellt hat, Dr. Bruderhofer, der unter Augustin Feinlein Oberarzt ist. Doch Eva Maria Gansloser lässt immer wieder durchblicken, dass ihre eigentliche Liebe Augustin Feinlein sei, der diesen seltenen Beteuerungen immer wieder Glauben schenkt. Dass Glaube eine Leistung ist, etwas, das es zu erbringen gilt, um (über)leben zu können, darum geht es in dieser Novelle. „Du glaubst, was nicht ist. Dann ist es.“, heißt es einmal in Walsers neuem Werk. Der Glaube ist ein schöpferischer Akt, durch den Glauben vollzieht sich eine „Verschönerung der Welt“. Glauben lerne man, wenn einem nichts anderes übrig bleibe. „Egal ob es Gott gibt oder nicht, ich brauche ihn“, sagt der Ich-Erzähler, „Er ist die Schaufensterpuppe, die mir winkt, wenn ich vorbeigeh‘“. Unsere europäischen Vorfahren hätten auch gewusst, was man wissen kann, aber sie hätten eben auch geglaubt, was sie hätten glauben wollen. Glaube ist mithin nicht nur denen vorbehalten, die zu wenig wissen. Vor diesem Hintergrund ist für Augustin Feinlein auch das Jenseits eine „andauernde Leistung. Wenn man aus irgendeinem Grund erschöpft ist, stellt es sich nicht ein.“ Das Jenseits jedenfalls „muss schön sein. Sonst kannst du es gleich vergessen“, sagt Feinlein. Zugegeben, es gibt bessere Texte von Martin Walser, es gibt überzeugendere Arrangements und auch wortgewaltigere Werke aus seiner Feder. Dennoch lohnt es sich, zusammen mit Augustin Feinlein über die Funktion des Glaubens jenseits soziologischer Betrachtungsweisen nachzudenken. Für ihn ist der Glaube ein ästhetisches Mittel, um die Welt schöner zu machen, als sie ist. Dass uns schon bei einem kleinen Blick in die unästhetische Welt gar nichts anderes übrigbleibt, als den Glauben so zu sehen, versteht sich von selbst. An der Hand Augustin Feinleins wird es einem nur noch einmal bewusst in seiner ganzen menschlichen Tragik.
Thomas Meurer (+)
Buchtipp des Monats April 2010 bei http://www.theologie-und-literatur.de