Päpstlicher Rat zur Förderung der Neuevangelisierung/ Enrico dal Covolo/ Vittorino Grossi
Kirchenväter und die Barmherzigkeit
Jubiläum der Barmherzigkeit 2015-2016
Ostfildern: Schwabenverlag 2015
86 Seiten, 8.99 €
ISBN 978-3-7966-1683-9
„Der Tragebalken, der das Leben der Kirche stützt, ist die Barmherzigkeit“, so schreibt Papst Franziskus in der Ankündigung zum Heiligen Jahr. Aufzuzeigen, dass schon in den ersten Jahrhunderten der Kirche dafür das Fundament gelegt wurde, ist Absicht der Autoren des vorliegenden Buches: Bischof P. Enrico dal Covolo SDB, Professor für altgriechische Literatur und Rektor der Päpstlichen Lateranuniversität sowie P. Vittorino Grossi OSA, Professor am Päpstlichen Patristischen Institut Augustinianum.
Das Buch wurde in drei Abschnitte eingeteilt: eine theologische Einführung, die aufzeigt, dass die Barmherzigkeit als Merkmal der Christen die Schriften der Kirchenväter durchzieht, belegt mit zahlreichen Zitaten; der Abdruck von Auszügen der Homilien des Augustinus, dem „Prediger der Barmherzigkeit“, versehen mit einleitenden Worten sowie eine Sammlung („Anthologie“) kurzer Abschnitte von Kirchenvätertexten mit Bezug zur Barmherzigkeit. Das Interesse des Lesers ist geweckt, die Lektüre spannend, doch ist nirgends angegeben, woher die Übersetzungen der Kirchenväter ins Deutsche stammen.
Für die Quellenzitate fast aller Autoren im dritten Abschnitt werden – so ergibt eine erste Recherche – die deutschen Übersetzungen aus der „Bibliothek der Kirchenväter“ beigezogen, zumeist aus der Fassung der Jahre 1911-1938. Diese Ausgabe ist, ergänzt durch die beiden ersten Serien (1831-1854 und 1869-1888) größtenteils im Internet unter https://www.unifr.ch/bkv/ durch Dr. Gregor Emmenegger und sein Team (Departement für Patristik und Kirchengeschichte an der Universität Freiburg i.Ue.) zugänglich gemacht worden. Der Projektleiter schreibt über diese historischen Übersetzungen: „Sie können und wollen jedoch in keiner Weise moderne Textausgaben ersetzen: Wer wissenschaftlich mit diesen Texten arbeiten will oder muss, kommt um die Konsultation moderner Übersetzungen und Editionen nicht herum.“
Um die Bedeutung der Übersetzung für das Gesamtverständnis zu verdeutlichen, seien als Beispiel die beiden Zitate aus dem Brief des Hl. Clemens von Rom an die Korinther (S. 70f) herausgegriffen und mit der Übersetzung in den Fontes Christiani (Clemens von Rom, Brief an die Korinther, FC 15, übersetzt und hg. von Gerhard Schneider, Freiburg 1994 S. 85, 212f) verglichen:
Brief an die Christen von Korinth 9,1:
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Bibliothek der Kirchenväter
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Fontes Christiani
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„Deshalb wollen wir hören auf seinen heiligen ruhmvollen Willen,
sein Erbarmen und seine Güte erflehend,
niederfallen und uns zuwenden seinen Erbarmungen,
nachdem wir aufgegeben haben die nutzlose Mühe, den Streit und die Eifersucht, die zum Tode führt.“
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„Laßt uns darum seinem erhabenen und herrlichen Willen gehorchen,
seine Barmherzigkeit und Güte anflehen
und uns kniefällig seinen Erbarmungen zuwenden!
Verlassen wir das eitle Bemühen, den Streit und die Eifersucht, die zum Tode führt.“
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Brief an die Christen von Korinth 60,1-2
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Bibliothek der Kirchenväter
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Fontes Christiani
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Du, Herr, hast den Erdkreis gegründet,
treu in allen Geschlechtern
gerecht in Deinen Gerichten,
bewundernswürdig in Macht und Majestät,
weise im Erschaffen,
gut in dem, was man sieht,
und treu gegen die auf Dich Hoffenden,
barmherzig und voller Huld;
vergib uns unsere Sünden und Missetaten,
unsere Fehltritte und Vergehen.
Rechne nicht jede Sünde Deiner Diener und Dienerinnen an […]
und leite unsere Schritte,
dass wir wandeln in Heiligkeit des Herzens“.
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Du, Herr, hast die Erde gegründet,
der Treue in allen Generationen,
der Gerechte in seinen Urteilen,
der Wunderbare in Macht und Herrlichkeit,
der Weise bei der Schöpfung
und der Kluge in der Bewahrung des Geschaffenen,
der Gütige in den sichtbaren Gaben und der Liebevolle gegenüber denen, die auf dich vertrauen.
Barmherziger und Mitleidvoller,
vergib uns unsere Sünden, die Ungerechtigkeiten, die Fehltritte und Vergehen!
Rechne keine Sünde deiner Knechte und Mägde an […]
und lenke unsere Schritte, daß wir in Heiligkeit des Herzens wandeln“
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Die deutschen Übersetzungen von Chromatus (Matthäuskommentar), Kyrill von Alexandrien (Lukaskommentar), Maximus der Bekenner (Briefe), Isaac von Ninive (Aszetische Reden) und einiger Augustinus-Zitate (Predigten) sind auch mit höherem Suchaufwand unauffindbar. Damit ist auch die diesem Bändchen innewohnende Problematik aufgezeigt. Einerseits ist die Zusammenstellung der Texte der Kirchenväter sehr interessant, andererseits beruht sie maßgeblich auf veralteten oder nicht auffindbaren Übersetzungen. Wer auf eine Verifizierung der Quellen verzichten kann, z.B. bei der Verwendung als geistliche Lesung, sollte direkt zu diesem Bändchen greifen. Allen anderen Lesern ist es eine Fundgrube, die dazu veranlasst, die Texte in neueren Übersetzungen ausfindig zu machen, um sie z.B. im Schulunterricht einsetzen zu können
Der Päpstliche Rat zur Förderung der Neuevangelisierung hat zum Jubiläum der Barmherzigkeit 2015/2016 eine achtteilige Schriftenreihe veröffentlicht. Namhafte Theologen haben unterschiedliche Zugangswege zum Verständnis der göttlichen Barmherzigkeit herausgearbeitet. Die anderen Bände sind hier zu finden.
Barbara Wieland