Päpstlicher Rat zur Förderung der Neuevangelisierung/ Antonio Sicari
Heilige und die Barmherzigkeit
Jubiläum der Barmherzigkeit 2015-2016
Ostfildern: Schwabenverlag 2015
94 Seiten, 8.99 €
ISBN 978-3-7966-1685-3
Papst Franziskus hat in der Bulle „Misericordiae vultus“ (Das Antlitz der Barmherzigkeit) gegen Ende geschrieben: „Unser Gebet richtet sich auch an die Heiligen und Seligen, die die Barmherzigkeit zur Mission ihres Lebens gemacht haben“ und weist dann auf die „die große Apostelin der Barmherzigkeit, die heilige Faustyna Kowalska“ hin.
P. Antonio M. Sicari OCD, Dozent an der Theologischen Hochschule des Karmeliterordens in Brescia (Italien) und geistlicher Schriftsteller, stellt im vorliegenden Buch eine Auswahl von Heiligen vor, die in besonderer Weise das göttliche Antlitz der Barmherzigkeit verkörpern. Es sind Männer und Frauen aus unterschiedlichen Teilen der Weltkirche gewählt worden, nicht alle sind schon formell kanonisiert. Sie sind, so der Autor, „gegenüber dem Nächsten barmherzig geworden …, weil sie sich zuvor selbst von der unendlichen Liebe Gottes durchdringen ließen“ (S. 7).
Ausgewählt wurden,
a) gebürtig in Europa: Hl. Faustyna Kowalska, Schwester der Muttergottes von der Barmherzigkeit (1905-1938/ Polen); Hl. und Kirchenlehrerin Therese von Lisieux, Karmelitin (1873-1897/ Frankreich), Hl. Jean-Marie Vianney gen. Pfarrer von Ars (1786-1859/ Frankreich), Hl. Leopold Mandič, Kapuziner (1866-1942 /Montenegro und Italien); Hl. Vinzenz von Paul (1581-166/ Frankreich); Hl. Johannes von Gott, Gründer der Barmherzigen Brüder (1495-1550/ Portugal und Spanien); Hl. Kamillus von Lellis, Gründer der Kamillianer (1550-1614/ Italien); Hl. Giuseppe Benedetto Cottolengo, Gründer der Cottolenginer (1786-1842/ Italien); Hl. Hieronymus Ämiliani, Gründer der Somasker (1486-1537/ Italien); Hl. Johannes Bosco, Gründung der Salesianer Don Boscos (1815-1888/ Italien); Hl. Elisabeth von Ungarn (1207-1231/ Ungarn und Deutschland); Ehrwürdiger Diener Gottes Friedrich Joseph Haass, Laie (1780-1853/ Deutschland und Russland); Sel. Vladimir Ghika (1873-1954/ Rumänien und Frankreich); Diener Gottes Ettore Boschini, Kamillianer (1928-2004/ Italien); Hl. Albert Chmielowski, Drittordensfranziskaner und Gründer der Albertiner (1845-1916/ Polen), Hl. Gianna Beretta Molla (1922-1962/ Italien) und der Sel. Titus Brandsma, Karmelit (1881-1942/ Niederlande, ermordet im KZ Dachau).
b) aus Europa stammend, aber auf anderen Kontinenten wirkend: Hl. Damian de Veuster, Arnsteiner Pater (1840-1889/ Belgien und Hawaii); Sel. und ab September 2016 Hl. Teresa von Kalkutta, Loretoschwester und Gründerin der Missionarinnen der Nächstenliebe (1910-1997/ Mazedonien und Indien); Hl. Petrus Claver, Jesuit (1580-1654/ Spanien und Kolumbien) und der Ehrwürdige Marcello Candia (1916-1983/ Italien und Brasilien).
c) vom amerikanischen Kontinent: Hl. Katharine Mary Drexel, Barmherzige Schwester von Pittsburgh und Gründerin der Schwestern vom Allerheiligsten Sakrament für Indianer und farbige Menschen (1859-1955/ USA); Hl. Martin von Porres, Dominikaner (1579-1639/ Peru) und die Sel. Laura Vicuña (1891-1904/ Chile).
Als sehr hilfreich für das Verständnis ihrer Lebenszeugnisse erweist sich, dass P. Sicari die Heiligen selbst zu Wort kommen lässt, indem er aus ihren Werken zusammenhängende Passagen zitiert, z.B. aus Tagebüchern, mystischen Schriften oder Predigten. Dennoch werden sich Leserinnen und Leser aus Deutschland mit den sehr stark idealisierenden Darstellungen nicht immer ganz leicht tun. Anders formuliert: Die meisten der Vorbilder sind in gemeindlichem wie schulischem Kontext schwer zu vermitteln. Dies mag am Beispiel des von P. Sicari verfassten Abschnitts über die „Hl. Elisabeth von Ungarn“ verdeutlicht werden. In Deutschland ist die Heilige nur unter dem Titel „Elisabeth von Thüringen“ bekannt. Als Hochadelige ungarischer Abstammung, lebte sie fast ausschließlich in den heute als Mitteldeutschland und Nordhessen bezeichneten Gebieten. Eine Königin (wie behauptet) war Elisabeth nie, ihr Ehemann, dem sie bereits als Vierjährige versprochen wurde, war Landgraf von Thüringen. Elisabeth, Mutter dreier Kinder (darunter die Hl. Gertrud von Altenberg), entsprach den Erwartungen als Landgräfin nicht, sie spendete nicht nur (wie dargestellt) kostbare Gaben, sondern trug einfache wollene Gewänder und kein Schuhwerk, wusch und bekleidete verstorbene Verarmte, liebkoste aussätzige Kinder und öffnete in Notzeiten die Kornkammern. Nach dem Tod ihres Mannes auf dem Kreuzzug versuchten ihre Verwandten sie ob ihrer Haltung für unzurechnungsfähig erklären zu lassen. Elisabeth verließ ihre „reichen Verwandten“ auch nicht (wie dargestellt), um in einem Spital zu wohnen, sondern sie ging im Zerwürfnis mit ihrer adeligen Herkunftsfamilie und lebte zunächst mittellos und obdachlos in Eisenach. Ein Schutzbrief Papst Gregor IX. sicherte die Rechte der Witwe. Elisabeth wurde zwangsweise von ihren Kindern getrennt und die ihr zustehenden Witwengüter erhielt sie trotz des Briefes nicht, nur eine Entschädigungssumme, mit der in Marburg ein Hospital gebaut wurde. In den letzten drei Lebensjahren widmete sie sich dort den Ärmsten und unheilbar Kranken. Der Ruf der Heiligkeit eilte ihr schon zu Lebzeiten voraus, nach ihrem Tod sind zahlreiche Wunder dokumentiert, Marburg wird zu einem Wallfahrtsort. Elisabeth ist eine der ganz wenigen Heiligen – das erwähnt der Autor leider auch nicht -, die bis zum heutigen Tag sowohl von katholischen wie von evangelischen Christen hoch verehrt wird. Dass sie „Heilige der Gerechtigkeit“ genannt wird (S. 43), ist vollends unbekannt und wohl nur auf die Darstellung in Theodor Schnitzlers „Die Heiligen im Jahr des Herrn“ (1979) zurückzuführen.
Auch einigen weiteren Stellen scheint die Recherche nicht sorgfältig durchgeführt, z.B. war der „der hl. Patriarch Filarete“ (S. 44, richtig: Philaret Drosdow, Metropolit von Moskau), nicht am Krankenbett des sterbenden Arztes und Katholiken Friedrich Haass anwesend, sondern genehmigte lediglich den Versehgang und die Beerdigung durch einen orthodoxen Geistlichen. Von kaum keinem der heiligmäßigen Vorbilder, die ihren Dienst unter dem Vorzeichen der eigenen Begrenztheit ausgeübt haben, wird die elende Lebenssituation benannt, in der und trotz derer sie an ihrer Grundhaltung festhielten. Es wäre sinnvoll gewesen, die später zur Ehre der Altäre erhobenen Katholiken durchgängig in ihrer jeweiligen biografischen Verortung darzustellen, aus der heraus sie Werke der Barmherzigkeit geübt haben, um den Leserinnen und Lesern Hinweise und Ermutigung zu geben, in ihrem konkreten Umfeld unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts in gleicher Weise zu handeln.
Der Päpstliche Rat zur Förderung der Neuevangelisierung hat zum Jubiläum der Barmherzigkeit 2015/2016 eine achtteilige Schriftenreihe veröffentlicht. Namhafte Theologen haben unterschiedliche Zugangswege zum Verständnis der göttlichen Barmherzigkeit herausgearbeitet. Die anderen Bände sind hier zu finden.
Barbara Wieland