Quantenbiologie für Religionspädagogen

Buchvorstellung - 08.03.2016


Jim Al-Khalili/ Johnjoe McFaden
Der Quantenbeat des Lebens
Wie Quantenbiologie die Welt neu erklärt


Berlin: Ullstein Verlag 2015
432 Seiten, 24.00 €
ISBN 978-3-550-08110-1

 

Warum, um Himmels willen, soll sich ein vielbeschäftigter Religionspädagoge um Quantenbiologie kümmern? – Die Antwort lautet, dass zentrale naturphilosophische, ethische, politische und dann doch wohl auch theologische Fragen von diesem Forschungsfeld betroffen sind und man sich deshalb früh schlau machen sollte.

Hilft uns dabei das neu erschienene Buch?  - Ja und Nein.

Man begreift durch Lektüre des Buches nicht die Quantentheorie. Lediglich die in der Biologie nachgewiesenen Quanteneffekte – Tunneleffekt, Verschränkung von Quantenzuständen, Welle-Teilchen-Dualismus – werden isoliert als „verborgene gespenstische Realitäten“ beschrieben. Dass ein logischer Formalismus existiert, der diese Phänomene in eine konsistente Theorie der atomaren Welt einordnet, wird anderswo besser erklärt.

Innovativ und informativ ist das Buch insofern, als es erstmals einem breiten Publikum Belege dafür präsentiert, dass nur die Quantenphysik biologische Phänomene wie den Magnetsinn der Rotkehlchen, Atmung und Photosynthese, Replikation und Mutation der Gene verständlich machen kann. Das wird seit Erwin Schrödingers Zeiten vermutet, ist aber noch jüngst von Richard Dawkins und anderen Evolutionsbiologen vehement bestritten worden, weil sie befürchten, dass durch die Hintertür der quantenphysikalischen Unbestimmtheit transzendente Eingriffe in die Interpretation von Lebensphänomenen – insbesondere des menschlichen Bewusstseins – eingeschmuggelt werden könnten.

Der einleuchtendste Erfolg der Quantenbiologie ist ihr Beitrag zur Erklärung der Photosynthese. Darunter versteht man den Prozess, der unter Ausnutzung von Lichtenergie Wasser aufspaltet und Kohlendioxid reduziert. Er beginnt damit, dass ein Lichtteilchen eingefangen und ein Elektron auf eine höhere Energiestufe gehoben wird. Das ist nichts Besonderes; normalerweise wird aber die gewonnene Energie vom Elektron sofort wieder in Form eines Photons an die Umgebung abgegeben. Im Fall der Photosynthese wird das Elektron eines Magnesiumatoms, das komplex in einem Porphyrinring gebunden ist, gleichzeitig auf mehreren Wegen zu einem Reaktionszentrum geleitet, das Wasser spaltet und die Energie aus dem Licht chemisch speichert. Dass ein Elektron gleichzeitig auf mehreren Wegen unterwegs ist, das geht nur mit Quantenmechanik. Es ist ein bisschen wie auf dem Schulhof: Wenn ein Kind, dem die Mütze fehlt, wüsste, wer sie hat, könnte es sich die Mütze leicht zurückholen: Wenn aber mehrere durcheinander laufende Kinder die Mütze rasch hinter ihrem Rücken weitergeben, wird’s schwer.

Da Porphyrine weiterhin in den Enzymen der Zellkraftwerke (Mitochondrien) und des Sauerstofftransports im Blut vorkommen, dürfte die Entdeckung dieses Quanteneffekts große Bedeutung für verschiedene Felder der Biochemie haben.

Für das menschliche Bewusstsein formulieren die Autoren eine Vermutung. Ob sie zutrifft, wird sich weisen; einen Vorzug hat sie schon heute: Es wird die richtige Frage gestellt, die ich anhand eines Beispiels verdeutlichen möchte: Optische Reize werden von den Sehnerven in verschiedene Gehirnregionen „verteilt“: Dreidimensionale Geometrie, Farben, Oberflächen, Vergleich mit Gedächtnisinhalten werden in unterschiedlichen Gehirnregionen bearbeitet. Wie „sehen“ aber nicht Farben, Formen, Oberflächen, Vergleiche, sondern das Gesicht eines Freundes, einen Weihnachtsbaum. Die Frage, wie das funktioniert, nennt man das Bindungsproblem. Al-Khalili und McFadden vermuten eine quantenmechanische Wechselwirkung zwischen den Bewegungen in den neuronalen Ionenkanälen, welche die Kommunikation zwischen einzelnen Nervenzellen vermitteln, und dem gesamten elektrischen Feld im Gehirn, das im Enzephalogramm gemessen werden kann.

Zum Thema der Entstehung des Lebens stellen die Autoren auf der Basis der heutigen Kenntnisse der präbiotischen Synthesewege verschiedene Kalkulationen an, die extrem geringe Wahrscheinlichkeiten für die Spontanentstehung eines Systems ergeben, das die Fähigkeit hatte, sich selbst zu verdoppeln. Sie diskutieren, ob durch Mechanismen der Quantenphysik (die mit der Idee eines Quantencomputers verwandt sind) dieses Problem überwunden werden kann.

Überraschend sind die Erkenntnisse über quantenbiologische Effekte nicht: Im Leben kommt es, anders als in unserer normalen Wahrnehmungswelt, auf einzelne Moleküle an: Ein einziges Erbmolekül DNA überträgt bei der Zeugung die Erbinformation; einzelne Enzyme katalysieren die biochemischen Prozesse, die zur Verdopplung der Erbinformation und die anderen Lebensfunktionen erforderlich sind. Und für einzelne Moleküle ist nun einmal die Quantenphysik zuständig. Die Molekülmodelle in den Biosälen erzählen eben nur einen Teil der Geschichte. Wer sich für den anderen Teil interessiert, sollte sich auf den „Quantenbeat des Lebens“ einlassen.


Karl Vörckel