Pilgern im Norden Europas

Buchvorstellung - 02.08.2013

Sibylle Hardegger
Weiter Himmel – Stille Wege
Pilgerwege zu den Stätten des Nordens

München: Kösel Verlag 2013
190 Seiten, 19.99 €
ISBN 978-3-466-37065-8


Interessierte vermuten häufig, dass Pilgerwege nach Jerusalem, Rom oder Santiago de Compostela führen. Wer in Deutschland bleiben möchte, macht sich vielleicht auf den Weg der Heiligen Elisabeth oder des Heiligen Bonifatius. Dass aber auch im Norden Europas, in der extremen katholischen Diaspora, Pilgerwege und Wallfahrtsorte zu finden sind, ist auch Kennern fast unbekannt.

Um dieser Unkenntnis abzuhelfen und tatsächlich ganz neue Wege zu ebnen, hat Sibylle Hardegger gemeinsam mit dem Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken ein reich bebildertes Werk zu den „heiligen Stätten des Nordens“ vorgelegt. Das Pilgern scheint sich in Nordeuropa großer Beliebtheit zu erfreuen, wenn man den Mitteilungen in den (überwiegend lutherischen) Kirchen trauen darf. Dabei ist das Umfeld ist in diesen Ländern völlig säkular. Religiöse Handlungen oder das Auftreten von Kirchen im öffentlichen Leben sind nicht üblich. Und doch fragen gerade in diesem Umfeld Menschen neu nach dem Sinn des Lebens, nach Religiösem. Das Pilgern, das In-Bewegung-Sein, kommt ihnen entgegen. Den kurzen Sommer des Nordens versuchen die Menschen so intensiv wie möglich zu erleben. In Pilgergruppen wandern sie entlang der uralten Pilgerwege zu Klosterruinen und zu den Klöstern, in denen auch heute noch (oder wieder) Ordenschristen leben und arbeiten. Dieselben Gruppen treffen sich im langen Winter zu Pilgerzirkeln – Gesprächsgruppen mit religiösen und spirituellen Themen. Auf welche Wege führt uns nun die Autorin?

In Schweden stellt sie uns den heiligen Ansgar und die Insel Birka als Ausgangspunkt der christlichen Mission im Norden und die heilige Birgitta mit dem Kloster Vadstena vor. Der Wallfahrtsort des heiligen Erik am Bischofssitz des 13. Jahrhunderts Gamla Uppsala mit dem Eriksweg (Eriksleden) erinnert an Irland. Die Ruine des Zisterzienserklosters Alvastra, ursprünglich nach dem Idealplan errichtet, lässt die Pilger nachdenklich werden: das Ewige und das Vergängliche scheinen nah beieinander zu liegen. Die Kunst der mittelalterlichen Malerei des Albertus Pictor kann in mehr als dreißig Kirchen betrachtet werden. Weiter des Weges, bei den Benediktinerinnen im Heliga Hjärtas Kloster, ist zu erfahren, wie sich eine Klostergründung im 20. Jahrhundert vollzogen hat.

Die Pilgertradition in Dänemark sucht noch nach neuen Wegen. An Haralsted und am Kloster der hl. Lioba bei Kopenhagen kann jedenfalls kein Pilger vorbeiziehen. Selbst in Island hat es (traut man der mündlichen Überlieferung) im Jahr1230 eine Erscheinung der Gottesmutter gegeben. Bis heute ziehen Wallfahrer nach Maríulind auf Snæfellsnes.

Im norwegischen Trondheim liegt das Grab des heiligen Olav, über dem der Dom errichtet wurde. Im Mittelalter hieß die Stadt Nidaros. Ein Netzwerk von Pilgerwegen (Olavswege) führt über insgesamt 5.000 Streckenkilometer dorthin. Die Pilgertradition ist sehr lebendig, es gibt in Trondheim sogar ein Pilgerzentrum. Ein Weg von 800 Kilometern, der sich für eine Wallfahrt per Rad eignet, führt von Uppsala bis nach Trondheim. Mit einem Besuch bei den Zisterziensern auf der Insel Tautra endet die Erkundung Norwegens.

Ein besonderes Erlebnis ist der Besuch des Klosters Königin der Fjorde auf den Lofoten. Die äußerst gastfreundlichen Zisterzienser leben erst seit wenigen Jahren hier. Den Abschluss bildet die katholische Kirche Finnlands. Der Apostel Finnlands, der heilige Henrik, wird in Köyliö auf der Insel Kirkkokari verehrt. Nur mit Booten ist das Eiland zur erreichen. Die Diasporasituation in Finnland wird ganz deutlich, wenn man erfährt, dass bei der Diözesanwallfahrt insgesamt 50 Menschen zusammenkommen. Unter ihnen findet sich eine Reihe von Konvertiten. Sie alle eint, dass sie Kirche nie anders als in der Zerstreuung kennengelernt haben.

Um sich besser in die Situation der katholischen Kirche hineindenken zu können, hat die Autorin Gespräche mit Bischöfen und weiteren Verantwortlichen aus den Ländern des Nordens geführt, die sie im vorliegenden Band dokumentiert. Allen beschriebenen Pilgerwegen sind Informationen über die Anfahrt, mögliche Unterkünfte in kirchlichen Häusern und Literaturhinweise beigegeben. Doch das Buch will kein Reiseführer sein. Es will auf die Pilgerschaft führen – und sei es nur in der Lektüre und der Vorstellungskraft. Sehr hilfreich sind dabei die geistlichen Texte, die die Autorin sehr passend ausgewählt hat. Das Buch, das viele Möglichkeiten neuer missionarischer Initiativen in Zusammenhang mit dem Pilgern aufzeigt, kann nur ausdrücklich empfohlen werden.

Barbara Wieland