Arnd Bünker / Christoph Gellner (Hrsg.)
Kirche als Mission
Anstiftungen zu christlich entschiedener Zeitgenossenschaft
(Beiträge zur Pastoralsoziologie [SPIReihe] 14)
Zürich: Theologischer Verlag 2011
185 Seiten, € 25,80
ISBN: 978‐3‐290‐20071‐8
Der Band dokumentiert eine Tagung des Instituts für kirchliche Weiterbildung IFOK an der Universität Luzern „Missionarisch Kirche sein – Vision auf dem Prüfstand“. Gegenüber den Entwürfen von Mission, die immer noch die Vergangenheit oder die Länder des Südens im Blick haben, ereignet sich Mission im Kontext der mitteleuropäischen Moderne, also im Hier und Heute.
Stefan Knobloch fragt nach der Redlichkeit des Anspruchs einer missionarischen Kirche im Kontext der Gesellschaft von heute. Er stellt eine „neue Sensibilität für das Unverfügbare, Abgründige und Geheimnishafte des Lebens“ (26) fest und verortet die Lebensäußerungen religiöser Organisationen nicht in einer als exklusiver Binnenaufmerksamkeit verstandenen Sorge um die Seelen; vielmehr sei die diffuse religiöse Sinnsuche der Zivilgesellschaft der Ort, an dem sich das Missionarische erweise. Knobloch kritisiert ein zu kirchen‐ und zu institutionenfixiertes Verständnis des Missionarischen, aus dem eher die Sorge um den Verlust und die Bemühung der Bewahrung des Bisherigen spreche. Vielmehr geht es ihm um die universale Präsenz Gottes und das Wirken des Geistes in den Menschen. Die Botschaft vom Reich Gottes, also dem nahegekommenen Gott selbst, erweise sich im Dienst am Leben der Menschen selbst. Eine missionarische Kirche müsse sich daran messen lassen, ob sie in ihrem Handeln und ihrer Struktur diesen Zielen diene. So definiert Knobloch denn auch Mission als Dialog, der sich demütig in die Begegnung mit dem „Anderen“ vorwagt „bis hin zu der Möglichkeit irritierender, aber auch bereichernder Erfahrungen, sich selbst in der eigenen Glaubenserfahrung angefragt, aber auch bereichert zu sehen“ (33). Daher sei die Leitidee der Evangelisierung auch die Inkulturation, die davon ausgeht, dass in der konstruktiven innovativen Begegnung des Evangeliums mit der gelebten Kultur (eher den Kulturen?) eine je spezifische Christentumsgestalt ausgeprägt wird. Die göttliche Wahrheit wird so nicht als etwas verstanden, das unverändert vorhanden ist und lediglich vermittelt oder adaptiert werden müsse. Vielmehr steht die göttliche Wahrheit unter dem eschatologischen Vorbehalt: Die Kirche strebe ihr durch die Jahrhunderte der Geschichte entgegen (Dei verbum 8). Folgerichtig empfiehlt er einer missionarischen Kirche, sich von Vertrautem zu lösen, einen wachen Blick für das Leben und den darin sich zeigenden Äußerungen der Gottesherrschaft zu haben und sich aus der Deckung zu wagen. Die Kirche solle weniger Wissensvermittlung als vielmehr Zeugenschaft betreiben und unterstützen und den religiösen Pluralismus ernst nehmen. Knobloch endet mit der These, das Volk Gottes insgesamt als Träger des missionarischen Auftrages sei größer als die institutionell‐ organisatorisch fassbare Gestalt der Kirche, die derzeit in großen Strukturveränderungen begriffen ist. Die Wirklichkeit von Kirche bleibe so immer eine fragmentarische. Hier wäre eine tiefere ekklesiologische Reflexion, nicht nur als Abschlussgedanke, wünschenswert gewesen.
Damian Kaeser‐Casutt stellt die lebensraumorientierte Seelsorge in St. Gallen vor. Er unterscheidet im Rahmen der größer definierten Seelsorgeterritorien zwischen dem kirchliche Grundangebot und einem entsprechenden ergänzenden Profilangebot, das eine Pfarrei als „Kompetenzzentrum“ dem größeren Raum zur Verfügung stellt (48). Räume der Profilierung der Pfarreien seien die Zwischenräume, die eventhaft oder passager angegangen werden. Neben Events, Kultur und Spiritualität treten so die Cityseelsorge, Medien und Public Relations sowie Gottesdienste bei nicht‐kirchlichen Anlässen. Da diese Bereiche alle nicht neu oder in sich besonders attraktiv sind, überzeugt der Beitrag eher durch die Beziehung des lebensraumorientierten Grundparadigmas auf konkrete einzelne Bereiche der Pastoral, die vor Ort bislang möglicherweise noch nicht oder zu wenig unter diesem Blickwinkel betrachtet und gestaltet worden sind.
Benno Bühlmann geht beim Thema „Kommunikation und Kirche“ von journalistischen Inszenierungsstrategien aus und fragt, wann eine religiöse Nachricht für säkulare Medien interessant ist. Kommunikation nach innen und außen ist Grundvollzug und Wesensbestimmung von Kirche: communicatio mit Gott und der Menschen untereinander. Kirche braucht, so Bühlmann, um ihrer selbst willen die öffentliche Meinung als kritisches Korrektiv. Kirche sei einerseits „Unterbrechung“ der üblichen Kommunikation im Sinne einer Gegenöffentlichkeit, andererseits sei sie als ein Partner unter vielen auf dem Marktplatz der Meinungen zur Wahrheitsfindung im Diskurs der Kräfte in der pluralen Gesellschaft präsent und müsse daher Medien und ihre Eigengesetzlichkeiten ernst nehmen. Bühlmann sieht die Gestaltung der Öffentlichkeitsarbeit, Management und Marketing als pastorale Führungsaufgaben und plädiert für eine milieusensible Kommunikationsstrategie. Im Gesamtduktus des Beitrages ergibt sich die Vermutung, dass es beim Missionarischen offensichtlich doch auf ein gutes Marketing oder eine gute Fassade, eine gute Public Relation ankomme. Weiterführend wäre eine Vertiefung des Gedankens gewesen, dass Kirche nicht nur Medien nutze, sondern selbst in ihren Zeugen Medium ist.
Josef Meili führt in aktuelle Missionsansätze in anderen Kontinenten in ihrer Bedeutung für die Pastoral in Europa auf dem Horizont weltkirchlicher Lerngemeinschaft ein. Seine Erfahrung ist: Religion ist allgegenwärtig. Die Minorität der Christen in vielen Ländern stellt die Frage nach der Identität und nach dem Auftrag (Sendung) der Kirche in einem konkreten Raum. Es ist insbesondere die Minoritätserfahrung, die persönliche Beziehungen, Solidargemeinschaft, Freiwilligenarbeit unterstützt und zur Diversität der Dienste und Aufgaben (Charismenorientierung) führt. Hier kommt die Sorge der Binnenbezogenheit m. E. etwas zu kurz. Die andere Dimension, die Zeugniserfahrung, unterstützt nach Meili Grundhaltungen, andere willkommen zu heißen, ihnen aber auch ihre Freiheit zu lassen. Diese Erfahrung lässt offene Plattformen, Raum für Begegnung und Auseinandersetzung zu, in denen in Offenheit, Toleranz und Respekt dennoch der jeweilige Standpunkt bezogen werden kann.
Christoph Gellner stellt in einem weiteren Grundlagenbeitrag „Dialog, Zeugnis und Mission – ein Widerspruch?“ die dialogische Grundoption des Konzils, die die überkommene Selbstverabsolutierung der katholischen Kirche aufgebrochen hat, in den Horizont interreligiöser Begegnungspraxis. Er markiert das Spannungsverhältnis zwischen unaufgebbarer Christusorientierung und einer neuen Offenheit für das Glaubenszeugnis der Anderen. Im Anschluss daran zitiert er das Wort der Deutschen Bischöfe „Allen Völkern sein Heil“ (2004): „Toleranz und Position schließen sich nicht aus, sie sind eng miteinander verbunden.“ [Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Allen Völkern sein Heil. Die Mission der Weltkirche (Die Deutschen Bischöfe 76). Bonn 2004, 52.]. Entscheidend ist für ihn die Pluralitätsfähigkeit des Christentums, wenn es Toleranz nicht als Schwäche betrachtet, sondern ihr aus der Mitte des eigenen Glaubens positive Bedeutung zumisst. Gellner bezieht diese Hermeneutik kritisch auf die Erklärung Dominus Jesus (2000), die von der „Heilsnotwendigkeit der eigenen Kirche“ und von den „Defiziten der Anderen“ (90) redet. Vielmehr ziele „die christliche Sendung nicht in erster Linie zur förmlichen Konversion des Anderen, sondern arbeitet an der eigenen Umkehr zur christlichen Mitte“ (91). Der Glaube daran, dass Gott schon da ist, qualifiziert Mission in der Weise, dass sie „als immer neue Verleiblichung des Wortes Gottes in der Kraft seines Geistes im achtsamen Hören auf die immer schon erfolgten Vergegenwärtigungen in der ganzen Schöpfung, einschließlich der außer‐christlichen Kulturen und Religionen“ (94), zu verstehen ist.
Helga Kohler‐Spiegel führt diese Gedanken weiter zur Darstellung von Grundhaltungen missionarisch‐ diakonischer Pastoral, die aus einer Kultur der Begegnung entstehen. Ebenso von der Grundoption ausgehend, dass Gottes Zuwendung bereits in der pluralen Welt wirkt, stellt sie Fragen des Dialogs in den Kontext der Entwicklung der Individual‐Identität. Identität als Balance zwischen personaler (für wen halte ich mich?) und sozialer (für wen halten mich die anderen?) Identität konstruiert sich in divergierenden Erfahrungen immer wieder neu mit Hilfe von deutenden Narrationen. Damit verbindet sich für Kohler‐Spiegel ein ausgewogener Umgang mit Nähe und Distanz und mit den Grenzen des eigenen Ich. Neben Empathie benötigt es Sprachfähigkeit und Authentizität in der Gestaltung personaler Beziehung.
Arnd Bünker stellt im Interview mit dem Fribourger Pastoraltheologen Francois‐Xavier Amherdt die in der französischsprachigen Theologie entwickelte Pastoral des „engendrement“ („Zeugung“) vor, die mit dem Verständnis der Kirche als einem Weg, die Gegenwart Gottes im Beziehungsgeschehen zwischen Menschen zu entdecken, korreliert. Es geht dabei um Entdeckungen als Erfahrungen des Berührtseins, der Einfachheit, der Demut und der Dankbarkeit. Seelsorger können lediglich einen bestimmten Rahmen für eine echte persönliche Begegnung mit Jesus Christus schaffen. Kirche wird in dieser Sichtweise weniger als Institution als vielmehr als Ereignis einer bestimmten Art zu sein verstanden. Dies hat Auswirkungen auf das Verständnis der Zugehörigkeit zur Kirche. Wenn Menschen sich auf einen solchen Prozess der Suche nach den Spuren Gottes in ihrem Leben einlassen, gehören sie in gewisser Weise zur Kirche. Für eine entsprechende Gestaltung kirchlicher Gemeinschaft kommen Erfahrungen kleiner Gemeinschaften analog zu Small Christian Communities in den Blick, die sich mit einer kontemplativen Grundhaltung im Gebet um die Schrift versammeln und versuchen, miteinander die Gegenwart Christi zu leben. Dies ist eine Form von Pastoral, die man nicht wie eine Sachinformation lehren kann, sondern die eingeübt und realisiert werden will. So entsteht eine Kirche, die sich auf das Überraschende des Glaubens einlässt. Bünker schließt den Band mit einem weiteren Grundlagenbeitrag, der feststellt, dass Kirche keine Mission hat oder vollzieht, sondern Mission ist, nicht im Sinne einer Rettung der Menschen aus einer als verloren charakterisierten Welt, sondern vielmehr gerade in einem Glauben, der mit der Welt solidarisch ist. Bünker greift damit auf Gedanken von Marie‐Dominique Chenu zurück, für den der Glaube keine Sache ewiger Wahrheiten ist. Zeit und Geschichte werden daher zu Orten, die explizit einer theologischen Deutung bedürfen, weil Gott sich in ihnen als gegenwärtig offenbart. In Nachahmung der Inkarnation des göttlichen Wortes ist Kirche dazu berufen, sich angesichts der Zeichen der Zeit in die Wirklichkeit hineinzubegeben und in der Auseinandersetzung damit ihre Gestalt zu entwickeln.
Die Stärke des Bandes liegt insbesondere in der inspirierenden und recht unterschiedlich akzentuierten Darstellung der grundsätzlichen Hermeneutik eines dem dialogischen Paradigma verpflichteten Missionsverständnisses. Die Illustration mit Erfahrungen und Bildern, wie dies denn in der pastoralen Alltagspraxis Umsetzung finden kann, wird weitgehend dem Leser überlassen.
Hubertus Schönemann
Quelle: εύangel, Heft 4/2011
(BW)