Constantin Klein / Hendrik Berth / Friedrich Balck (Hrsg.)
Gesundheit – Religion – Spiritualität
Konzepte, Befunde und Erklärungsansätze (Gesundheitsforschung)
Weinheim – München: Juventa Verlag 2011
423 Seiten, € 32,00
ISBN: 978‐3‐7799‐1979‐7
Seit den 1990er Jahren ist die Anzahl der Studien und Publikationen explosionsartig angestiegen, die sich mit dem Verhältnis von Religion/ Religiosität/ Spiritualität und psychischer wie körperlicher Gesundheit befassen. Die überwiegende Zahl der Arbeiten stammt aus den USA. Doch auch im deutschsprachigen Raum findet die Thematik vermehrt Interesse, und den Forschungsstand in diesem Gebiet möchte der vorliegende Sammelband mit 21 Beiträgen sichten und zusammenfassen.
Dabei kommen vornehmlich Medizin, Psychologie und Gesundheitswissenschaften zu Wort, aber auch Theologen und Religionswissenschaftler. Zu Beginn thematisieren drei Beiträge die Schwierigkeit und Vielfalt der Begriffsdefinitionen für Religion, Religiosität und Spiritualität einerseits und Gesundheit, Krankheit, Wohlbefinden und Lebensqualität andererseits; denn je nach Begriffsverständnis ergeben sich deutlich unterschiedliche Grundlagen für die jeweiligen Messungen und Befragungen (und die verschiedenen gebräuchlichen Fragebogenskalen, die der dritte Beitrag vorstellt).
Die Differenzen werden gut sichtbar, wenn beispielsweise Michael Utsch und Constantin Klein innerhalb desselben Beitrags ihre Argumente dafür darlegen, weshalb sie Spiritualität oder Religion/ Religiosität für die grundlegenderen, umfassenderen Begriffe halten. Sechs Beiträge nehmen dann das Thema aus der Perspektive der Religionen bzw. der neuen Religiosität in den Blick. Ein Schnelldurchgang von der vorgeschichtlichen Zeit bis zum 20. Jhdt. ist der Aufsatz von Walter Bruchhausen; für das Verhältnis von Medizin und Religion gilt, wie er deutlich machen kann: „Es besteht […] keineswegs die oft angenommene geradlinige Entwicklung von der prähistorischen Identität bis zur beziehungslosen Unterschiedenheit heute“ (93), sondern eine spannende, wechselvolle Beziehung. Drei Beiträge gehen speziell auf Judentum, Christentum und Islam ein, auf deren geistige Grundlagen, Kulturgeschichte und heutige Stellung zu Medizin und Heilung; besonders gelungen sind die kompakten Ausführungen von Ulrich Eibach zur christlichen Perspektive auf Gesundheit und Krankheit.
Eine besondere Herausforderung für die (Schul‐)Medizin geht vom neuen, „esoterischen“ Heilungsmarkt aus, den Markus Hero übersichtlich vorstellt und gekonnt analysiert. Der Überblick über „Religiosität in Deutschland, Österreich und der Schweiz“ von Stefan Huber schließlich korrespondiert stark mit dem Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung und zeigt, dass für einen nicht unerheblichen Anteil der Patienten Religion eine wichtige Rolle spielt. Unter der Überschrift „Fokus Gesundheit“ beleuchten schließlich in einem dritten Teil zwölf Beiträge verschiedene medizinische Bereiche und wie Religion, Religiosität und Spiritualität dort einwirken. Dabei geht es nicht um somatische Wunderheilungen etc., sondern vornehmlich darum, wie Religiosität/Spiritualität das psychische Wohlbefinden und die Lebensqualität stärken und Bewältigungsstrategien im Krankheitsfall bereitstellen – z. B. bei chronisch Kranken, Krebspatienten, Schizophreniepatienten und Depressiven. Die Forschungserkenntnisse sprechen insgesamt dafür, dass Religion eine nicht unbedeutende Rolle im Gesundheitsbereich spielt und bei der Bewältigung von Krankheiten helfen kann – aber die Ergebnisse sind oft widersprüchlich und verlangen nach genaueren Unterscheidungen, z. B. zwischen verschiedenen Gottesbildern oder extrinsischer und intrinsischer Religiosität.
Trotz des angestrebten Blicks speziell auf den deutschsprachigen Raum kommen die Autoren nicht an den amerikanischen Untersuchungen vorbei; und etliche Beiträge stellen v. a. zahlreiche Studien und Zahlen nebeneinander und versinken in statistischem Fachchinesisch, wodurch die Lesbarkeit für Nichtfachleute deutlich erschwert wird. Da ist es hilfreich, dass die Aufsätze in der Regel auch Zusammenfassungen der jeweiligen Ausführungen bieten. Von den Forschungsergebnissen her thematisiert eine Reihe von Beiträgen auch die Frage, was diese für die Praxis von Kliniken, Ärzten, Psychotherapeuten etc. bedeuten: Hier besteht noch viel Sensibilisierungs‐ und Verbesserungsbedarf, um den spirituellen Bedürfnissen und Ressourcen gerecht zu werden. Insgesamt ist das Buch keine Kost für den interessierten Leser, der sich kompakt, übersichtlich und schnell darüber informieren möchte, was die Forschung zum Verhältnis von Religion und Medizin zu sagen hat. Schon an den umfangreichen Literaturangaben zeigt sich, dass sich der Band an Fachleute richtet, die damit weiterarbeiten möchten. Waren in der Vergangenheit (und sind teilweise noch) viele Mediziner, Psychologen und stärker noch Psychotherapeuten gegenüber Religiös‐Spirituellem recht reserviert, so fällt die Unbefangenheit auf, mit der im vorliegenden Band Fachleute aus verschiedenen Disziplinen wie Medizin, Psychologie, Religionswissenschaft und Theologie ihre Erkenntnisse zusammenstellen. Auch wenn das Buch es nur am Rande thematisiert, liefern die Beiträge doch wichtige Anhaltspunkte und Anregungen für eine gerade aus Sicht der Weltanschauungsarbeit akute Herausforderung: das Bedürfnis vieler Menschen nach Heilung in Verbindung mit Heil, nach einer Medizin, die über die „Gerätemedizin“ hinaus auch spirituelle Dimensionen anspricht, „ganzheitlich“ ist – ein Bedürfnis, das leider auch so manchen in die Arme unseriöser alternativ‐esoterischer Anbieter treibt.
Martin Hochholzer
Quelle: εύangel, Heft 3/2011
(BW)