Differenzierte Gottesrede

Buchvorstellung - 26.01.2012

Bernhard Fresacher (Hg.)
Neue Sprachen für Gott
Aufbrüche in Medien, Literatur und Wissenschaft

Ostfildern: Matthias-Grünewald-Verlag 2010
140 Seiten, € 16,90
ISBN: 978-3-7867-2810-8


In der Moderne ist die traditionelle Gottesrede in die Krise gekommen. Wie kann angesichts einer zunehmend differenzierten plural verfassten und mobilen Gesellschaft, angesichts der Zentralität des individuellen Subjekts für die Konstruktion der Wirklichkeit, angesichts einer digitalen Kommunikationsflut ohne Beispiel und nach Aufklärung und im Angesicht der atheistischen Gottesbestreitung und der doch vorhandenen religiösen Indifferenz glaubwürdig und verantwortet von Gott und über Gott gesprochen werden?

Und dies angesichts der Tatsache, dass Religion im weitesten Sinne in transformierter, nichtkirchlicher Form in der Gesellschaft zwar nach wie vor präsent ist, das kirchliche Zeugnis von der Gegenwart Gottes hier und jetzt aber die Mehrzahl der Menschen in den Industrienationen Europas nicht mehr erreicht. Welche Form von religiöser Kommunikation ist in der Lage, für die christliche Gottesrede Anknüpfungspunkte zu bieten? Wie kann das Zeugnis des christlichen Glaubens als Niederschlag der eigenen Erfahrung so dargeboten werden, dass es den Adressaten erreicht und nicht über ihn hinweggeht? Wie kann eine adäquate Kommunikation des Glaubens stattfinden, die nicht eine Einbahnstraße ist, sondern ein gegenseitiges Lernen? Wie kann von Gott, von dem nicht wie von einem anderen „Gegenstand“ gehandelt werden kann, „geredet“ werden, dass die Rede die Zeitgenossen erreicht?

Das Buch von Bernhard Fresacher widmet sich solchen Fragen, indem die Beiträge aus unterschiedlichen Perspektiven auf neue Formen der Glaubenskommunikation als Gottesrede blicken. Der Titel ist interessanterweise insofern mehrdeutig, als er neben der Kommunikation von Zeugen an ihre Zeitgenossen als Rede von Gott und der Rede im Namen Gottes (7) auch die Sprachen meinen kann, die Gott selbst spricht, sprechen muss, um die Menschen der Moderne zu erreichen. Fresacher konzediert, dass in der Moderne nicht nur der Inhalt, sondern vor allem die Form, wie etwas daherkommt, entscheidend dafür ist, ob etwas ankommt (10). So stellt sich Glaubenskommunikation als ein Unterfangen dar, bei dem man in der „Lage der Standpunktgebundenheit und der Unkontrollierbarkeit des Verstehens“ (10) eines adäquaten Empfangens auf Seiten des Rezipienten nicht sicher sein kann. Gottesrede wird so zum Wagnis. Aber wer entscheidet denn eigentlich, wie die Gottesrede anzukommen hat? Bewahrt diese Tatsache nicht die Unverfügbarkeit der Präsenz Gottes als ungeschuldetes und unverdientes Geschenk?

Sprache, so Fresacher, sei ja schließlich nicht nur ein Vehikel, um Inhalte zu transportieren, sondern stelle ihrerseits Formen bereit, in denen der Mensch die Welt und sich selbst verstehen könne, also in gewisser Weise selbst neue Welten erschaffe. Ludger Verst weitet den Blick vom sprachlichen Verständnis auf den Bereich des nicht sprachlich kodierten Verstehens in der Dynamik der Bildsprache von Film und Fernsehen. Nur als persönlicher Standpunkt und im Handeln sei in den Medien die Wahrheit, um die es im Glauben gehe, zu bezeugen. Der Kommunikator gehöre mit in den Vermittlungsprozess. Verst kritisiert die Versuche kirchlicher Rede, in den Medien durch gespielte Dialogizität und wortlastige Redundanz Inhalte zu platzieren. Sein Vorschlag ist, „Bilder sprechen zu lassen und nicht Experten, die es angeblich wissen oder besser wissen“ (19). Der Film habe eine eigene religiöse Syntax. Wichtig seien vor allem Leerstellen und semantische Pausen. Filmische Kollagen zielten fragmentarisch „auf ein Verständnis von gelingendem Leben, das eben nicht gleich eine ganze Welt ergeben muss und vom Zuschauer ein Bekenntnis verlangt“ (21). Bilder seien nicht nur zur Illustration des „Eigentlichen“ da, sondern sprächen ihre eigene Sprache.

Erich Garhammer setzt sich kritisch mit der These von Georg Langenhorst auseinander, es gebe in der zeitgenössischen Literatur eine neue Unbefangenheit in der Rede über Gott. Er diagnostiziert vielmehr höchst unterschiedliche Sprechversuche. Nach Felicitas Hoppe sei der Glauben an Gott in der Literatur ein „großartiges Entbanalisierungs-Programm“, ein „Protest gegen die Verzwergung im Entertainer-Schraubstock und die Zerbröselung Gottes im Thesenzwang des Wissenschaftsbetriebs“ (30). Reiner Kunze stehe für eine Sprache, die Gott als den Unverfügbaren nicht in Besitz nehme, da sich der Künstler nicht für den Glauben instrumentalisieren lasse. Poesie sei die Leerstelle für eine Wirklichkeit jenseits alles Sichtbaren. Für Petra Morsbach sei Literatur ein Ort der Freiheit. In ihrer Theorie des Erzählens stellt sie die These in den Raum, dass gutes Erzählen „immer vollzogene Erkenntnisarbeit sei“ (42). Hanns-Josef Ortheil versuche den Wiederanschluss an den Glauben literarisch in einer besonderen biografischen Situation. In Garhammers Beitrag wird das Ringen um eine adäquate Sprache deutlich, wo doch keine adäquat sein kann. Das Wort Gott könne nicht als Verengung, Beschwichtigung, Pflaster oder Käfig Verwendung finden. Die Poesie, die Metapher, die Erzählung und die biografische Sprache seien Ausdruck einer literarischen Annäherung an religiöses Sprechen. Saskia Wendel reflektiert in einem fundamentaltheologischen Beitrag über die Vernünftigkeit der Gottesrede und die Überzeugungskraft des christlichen Glaubens. Der Mensch könne nur in freier Zustimmung glauben, da die Freiheit Gottes und die Freiheit des Menschen einander entsprächen. Offenbarung müsse ungeschuldet und vernünftig vermittelbar sein. Der Glaube, mehr als bloßes Meinen oder gar Wünschen, sei im Unterschied zu einem Beweiswissen ein Wissen besonderer Art: ein affektiver, voluntativer und intellektueller Akt des Vertrauens und des Verlassens auf etwas (59). Religiöse Erfahrung sei nicht eine erstmalige vorgängige Wahrnehmung, sondern immer schon kulturellkontextuell und sprachlich vermittelt und geprägt. Man müsse daher immer von einer Pluralität religiöser Erfahrung ausgehen.

Bernhard Fresacher fragt nach religiöser Intelligenz, wie Theologie als vernünftiges Durchdringen des Glaubens angesichts der Bestreitung durch die Aufklärung und die Wissenschaften in der Moderne Raum greifen kann. Religion sei herausgefordert, zu lernen, sich auf eigene unverwechselbare Weise – und als involvierte Teilnehmerin – an der sozialen Kommunikation der Gesellschaft zu beteiligen. Evolutionspsychologische und kulturpolitische Erklärungsversuche griffen zu kurz, um das Phänomen religiöser Bindung zu erfassen. Es gehe nicht um Methoden der Vermittlung von festen Botschaften. Vielmehr sei die Kirche in der Moderne wie alle Unternehmen zur laufenden Überprüfung dessen herausgefordert, was sie tue. Der christliche Glaube finde sich als Teil einer Vielfalt unter den Vorzeichen der individuellen Selbstbestimmung wieder. Es gebe keinen direkten Zugang zum Verstehen, sondern immer ein a priori sprachlich und kulturell imprägniertes Denken und Fühlen. Religiöses Verstehen sei nur über Medien möglich, die ihrerseits wieder ungeahnte Freiheitsräume erschlössen. Die religiöse Wahrheit habe bescheiden und ehrfürchtig aufzutreten, die Gesellschaft sei „nicht als das feindliche Außen der Kirche zu betrachten, sondern als Resonanzraum ihrer Botschaft“ (95). Theologie habe die Aufgabe der Vermittlung des Christentums mit seinem eigenen normativen Anspruch, der auch wissenstheoretischen Anfragen standhalten müsse.

Margit Eckholt erklärt Mystik und Subjektivität als Grundsignaturen der modernen Religiosität. Die „Suche nach einer ursprünglichen, authentischen persönlichen und nicht hintergehbaren Gotteserfahrung“ (100) und das Austarieren von Glaube und Leben seien die Herausforderungen gegenwärtiger Religiosität. Mit Michel de Certeau interpretiert Eckholt Mystik als Einladung zur Reise zu neuen kreativen Formen der Gottrede. Die von der Mystik nahegelegte Kommunikationsform sei nicht unter der Kategorie des Inhalts, sondern des Aktes der Aussage, des faire, des 108). Der mystische Text führe zu einem neuen Ereignis und stelle für den Leser eine Wegbeschreibung zur Begegnung mit dem Fremden dar. Gott könne als der Fremde durch Sprache nie angeeignet werden. Gottrede sei wie eine Partitur, die immer neu aufzuführen und zu inszenieren sei. Eckholt wirbt für neue Formen der Gottrede als „Arbeit an der Gastfreundschaft dem Fremden gegenüber“ (122). Sie nennt Akademien und den Dialog mit Kunst, Kultur, anderen Religionen, Politik und Wirtschaft als die Orte, an denen Kirche in das hineinwächst, was sie von Gott her ist (vgl. 122). Judith Könemann stellt die vornehmlich biografisch vermittelte Subjektivität als Grundlage des Religiösen dar. Die Selbstthematisierung des eigenen Lebens sei ein Ausdruck der persönlichen Identität. So werde Religion zum Ort der Vergewisserung der eigenen Person und ihrer Geschichte. Dies habe zur Konsequenz, dass der Mensch selbst über die Rolle des Religiösen in seinem Leben entscheide. Eine Pastoral der modernen Lebenswelt sei „vom Subjekt her zu formulieren“ (135). Seelsorge, Gestaltung von Gottesdiensten und Bildungsarbeit sollten diesem Faktum Rechnung tragen. Es sei immer neu nach der Korrelation von Selbstthematisierung und christlicher Glaubenspraxis zu fragen. Diese könne nur im Modus des Angebots und als gemeinsamer Suchprozess realisiert werden. Die Beiträge in diesem spannenden Bändchen stellen einen weiten Religionsbegriff vor Augen. Gottesrede sei immer und per se vermittelt und metaphorisch. Bei der anregenden Lektüre wird schnell deutlich, dass die Gottesrede so differenziert, so unabgeschlossen und kontextuell ist, wie sich die Moderne als „Projekt“ in sich offen und kontextuell darstellt. Eindrucksvoll ist das Bekenntnis zu den autonomen Teilbereichen gesellschaftlicher Kultur, in denen sich die Gottesrede je spezifisch vollzieht, ebenfalls eindrucksvoll der durchgängige Cantus firmus zur Subjekthaftigkeit und Personalität der Menschen in der Moderne

Wie jedoch eine Übereinkunft differenzierter Gottesrede zur Verständigung von Gläubigen unterschiedlicher Couleur erreicht werden oder wie authentisches Sprechen von Gott über die Ebene des Individuums hinaus – also auf der Ebene einer Kommunität als Glaubensgemeinschaft – in der Moderne gelingen kann, davon könnte in diesem Buch etwas mehr zu lesen sein. In jedem Falle: ein anregendes, ein missionarisches Buch.

Hubertus Schönemann


Quelle: ɛὐangel, Heft 2/2010


(BW)