Treue im Beziehungsleben unserer Zeit

Buchvorstellung - 20.08.2012

Markus Spieker
Mono
Die Lust auf Treue

München: Pattloch. 2011
256 Seiten 19,99 €
ISBN 978-3-629-02281-3

Wohin geht die Flucht? Nach Hause. In die Familie. In den einmal vor vielen Jahren begonnenen Lebensentwurf. Oder wenigstens dorthin, wo er nach allen Brüchen und Zerstörungen noch zu ahnen sein könnte. Eine Frau und ein Mann haben sich füreinander entschieden. Noch einmal, fast ein halbes Leben nach ihrem Anfang.

Ein Schimmer von Versöhnung legt sich über die letzten Seiten von Jonathan Franzens Roman „Freiheit“, letztes Jahr als der neue große amerikanische Gesellschaftsroman bejubelt. Am Ende finden Walter und Patty wieder zusammen. Nicht allzu glaubwürdig und mit einem Hauch von Kitsch. Nichts, so kann man resümieren, ist so stark wie diese Bindung. Kein anderer Lebensversuch, kein Umweg und kein Seitenweg hat so viel Kraft. Und darin ist das Ganze doch wieder glaubwürdig – weil alle Beteiligten wie Vögel mit zerzausten Federn und mindestens angebrochenen Flügeln am Ende ihres Romans ankommen, und das eben nicht leichtfüßig. Sie müssen einander und sich selbst nichts mehr vormachen, wissen, was es heißt, den anderen zu verletzen und zu betrügen. Ganze Sinngebäude sind gestürzt und zerstört worden – und am Ende bleibt so etwas wie Familienglück. Teuer erkauft.

Markus Spieker ist der belesene und zumindest aus Beobachtung kundig gewordene Führer durch die gute heile Welt der Treue. Nein, so stimmt das nicht ganz; denn vor allem ist Spieker mit seinem Buch „Mono“ der Führer durch die Welt des Bösen und Abschreckenden. Kurz: durch unsere Gegenwart. Markus Spieker ist ARD-Hauptstadt-Journalist, 39 Jahre alt und Single. Bekannt wurde er vielen durch seine früheren Bücher „faithbook“ oder „Mehrwert“. Klare, sportlich formulierte christliche Bekenntnisliteratur.
Seit ungefähr einem Vierteljahrhundert träumt er von der großen Liebe. Er kennt so eine große treue Liebe – am Beispiel seiner Eltern kann er sich aufrichten. Genau deshalb hat er nach eigenen Worten auch noch nicht gefunden, was er sucht. Seine Leitfrage lautet ungefähr so: Bin ich eigentlich normal, wenn ich die treue Liebe für die einzig sinnvolle halte oder sind es die anderen, die sich durch viele Betten schlafen, bis sie frustriert mit sich allein bleiben? Wer hat denn Recht? Ist Monogamie biologische Unmöglichkeit oder menschlicher Adel? Also: eine tour d’horizon zum Thema Treue als Selbstvergewisserung.

Was bei dem Versuch herauskommt, die Treue und damit sich selbst im Beziehungsleben unserer Zeit zu positionieren, hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Ganz viele offene Türen rennt der Autor dort ein, wo er die zweifelhaften Blüten einer libertinistischen, sexualisierten und ichfixierten Welt beschreibt und in ihrer Absurdität geißelt. Da ist viel Medien- und Modernitätsschelte, teilweise witzig, teilweise salopp; da ist viel Gruselkabinett eines hedonistisch-pornografischen Zeitalters; da ist viel Populärwissenschaft und ein bisschen Kultur: Goethe, Shakespeare und Hollywood; und große Persönlichkeiten wie Jochen Klepper tauchen in Spiekers Panorama auch noch auf.

Auch wenn er die Wege zur Treue beschreibt, ist Spieker facettenreich: Seine Ratschläge erinnern allerdings an eine Mischung zwischen Benimm-Ratgebern aus der Tanzschule und kumpelhafter Pfadfinder-Selbstbeherrschungsliteratur (wie sich zum Beispiel der seitensprunggefährdete Mann verhalten soll, „wenn die Hölle in der Hose losbricht und das Tier in uns erwacht und zur Fütterung ruft“). Es sind solche Passagen, die das Buch schwer erträglich und peinlich machen: die Sprache ist oft vereinnahmend („Wir sprechen heute über Beziehungen wie BWL-Studenten über Aktienkäufe.“) und über weite Stecken ebenso sexualisiert wie die kritisierte Gesellschaft. Das ist anbiedernd und unnötig. Den ordinären Tonfall der gebrandmarkten Lebenswelt kann ein Autor getrost dort lassen, wo er hingehört – auch dann würde man verstehen, was er meint.

Noch weitaus ärgerlicher ist der predigtartige Ambitus, der sich durch das ganze Buch zieht; schlecht gemachter Tun-Ergehenszusammenhang in einem Schwarz-Weiß-Kontrast, den es in der Welt, in der ich lebe, nicht gibt. Es ist billig, am Ende des Kapitels über Ausbeutung und Verramschung der Liebe, über den Marktcharakter des heutigen Beziehungslebens zu schreiben: „Weniger ist vielleicht nirgendwo so viel mehr wie in der Liebe, oder um es mit dem vom HIV-Virus (sic!) getöteten Freddie Mercury zu sagen ‚Too Much Love Will Kill You’“. Solche Geschmacklosigkeiten sind zahlreich. Fazit: Spiekers Anliegen ist ehrenwert, das Thema der Treue ist tatsächlich ein Buch wert, aber die Lust auf Treue versteht Spieker nicht zu wecken. Seine Selbstsuche hätte er getrost mit sich alleine abmachen können.

Übrigens: Spieker zitiert am Ende seines Buches die mit Abstand kitschigste Szene aus Jonathan Franzens Roman, das Wiederfinden von Walter und Patty nach all den Jahren – und heult dazu, wie er schreibt, ein paar Tempotaschentücher voll. Der ganze Rest des starken Romans gehört aber auch dazu – und diese Lesezeit wäre wirklich gut investiert, wenn einem daran gelegen ist, die Komplexität gegenwärtigen Beziehungs- und Treuelebens etwas besser zu verstehen.

Peter-Felix Ruelius

Quelle: Eulenfisch Literatur 5 (2012), Heft 1, S. 37f.