Michael Hesemann
Maria von Nazareth
Geschichte - Archäologie – Legenden
Augsburg: St. Ulrich Verlag. 2011
304 Seiten m. farb. Bildteil 22,00 €
ISBN: 978-3-86744-163-6
Eine Biographie über Maria von Nazareth, die Mutter Jesu, zu schreiben, ist kein leichtes Unterfangen: Zu schwierig ist die Quellenlage, zu groß die Gefahr, dieser Frau in ihrer Darstellung nicht gerecht zu werden – sie zu banalisieren, zu verkitschen oder „falsch“ zu erhöhen.
Michael Hesemann, Historiker und Fachjournalist für zeit- und kirchengeschichtliche Themen, begibt sich mit seinem populärwissenschaftlichen Buch auf die Suche nach der historischen Maria von Nazareth und ihrer zeit- und religionsgeschichtlichen Einordnung. Er bedient sich auf dieser Suche einer Vielzahl von Quellen, ohne dabei eine einseitig zu befürworten oder auszuschließen. Biblische und apokryphe Schriften, historische Berichte (etwa von Herodot oder Flavius Josephus), Erzählungen, Legenden und Bilder gehören genauso dazu wie archäologische Zeugnisse und werden alle gleichberechtigt für seinen Versuch einer Rekonstruktion des Lebens der Maria von Nazareth herangezogen. 52 überwiegend farbige Abbildungen z.B. von ausgewählten Lokalitäten, Mariendarstellungen, Grundrissen und Inschriften veranschaulichen einzelne dargestellte Sachverhalte. In seinen Ausführungen nutzt Hesemann auf faszinierende Art und Weise die Vorgehensweise einer „Zeitreise“, verbunden mit einer schrittweisen Fokussierung: Ausgehend von heute noch zu besichtigenden oder erschließbaren Zeugnissen geht er allmählich zurück bis in die Zeit Marias, nimmt dabei zunächst das Gesamte in den Blick und fokussiert schließlich auf den eigentlichen Schauplatz.
Hesemann beginnt seine nüchternen und zugleich spannenden Schilderungen zu Geschichte, Archäologie und Legenden Marias mit dem von P. Badde neu entdeckten Marienbild der „Advokata“ im Dominikanerinnenkloster Santa Maria del Rosario auf dem Monte Mario, welches möglicherweise noch in der Zeit und im Umfeld des Evangelisten Lukas entstanden ist. Unter dem Titel „Die Fülle der Zeit“ führt er anschließend in das messianisch-augusteische Zeitgeschehen ein und betrachtet die verschiedenen Prophezeiungen von Vergil bis hin zu den essenisch-jüdischen Erwartungen. Anschließend werden die Verwandtschaftsverhältnisse Marias vor allem auf der Grundlage des Protoevangeliums des Jakobus näher beleuchtet, um sie anschließend als eine „Tempel-Jungfrau“ mit essenischer Nähe ausführlicher zu beschreiben. Dem schließen sich Überlegungen zu geschichtlichen, sozialen und biographischen Umständen der Geburt Jesu an. Mehr auf legendären lokalen Überlieferungen beruhen die Ausführungen zur Flucht der Familie Marias nach Ägypten und zu ihrem dortigen Aufenthalt. Grundlage der Rekonstruktion der Reiseroute bildet dabei die Autorisierung dieser durch den koptischen Papst Shenouda II. Im Abschnitt „Unter dem Kreuz“ wendet sich Hesemann ausführlich den Wegen Marias mit ihrem Sohn Jesus, ausgehend von der Hochzeit in Kana bis hin zur Kreuzigung Jesu in Jerusalem, zu.
Unter Rückgriff auf die aktuelle Forschungslage erfolgt im Abschnitt „Die Tochter Zion“ die nähere Beschreibung des Abendmahlssaals am Jerusalemer Berg Zion, um auch hier die Nähe Marias und des Jesuskreises zu den Essenern nachzuweisen. Den Angaben der seliggesprochenen Seherin Anna Katharina Emmerick nachgehend, wendet sich Hesemann schließlich dem Marienhaus in Ephesus zu, in welchem sich Maria wahrscheinlich mit dem Apostel Johannes aufhielt, bis sie im Jahr 48 mit ihm zum Apostelkonzil nach Jerusalem aufbrach und dort am Zionsberg starb. Abschließend wird noch auf die Überlieferung der Entdeckung des Mariengrabes im Kidrontal durch den Apostel Thomas eingegangen.
Im Anhang des Buches findet sich eine zusammenfassende Zeittafel, in welcher die rekonstruierten (durchaus plausiblen) Zeitangaben des Lebens Marias und Jesu aufgeführt werden. Das sehr umfangreiche Literaturverzeichnis lädt durchaus zu einer Weiterbeschäftigung mit dem Thema ein. Besonders hervorzuheben sind die zahlreichen Hintergrundinformationen zu den geschichtlichen Zeitumständen, den unterschiedlichen Legenden um Maria sowie zu der Entstehung und Entwicklung von Traditionen und Bräuchen der Marienverehrung, die die Ausführungen sehr gut ergänzen. Die Art und Weise, wie Hesemann die archäologischen Funde und ihre wissenschaftlichen Auswertungen sowie die von ihm genutzten Quellen zu theologischen Aussagen in Beziehung setzt, ist im Großen und Ganzen recht gut gelungen. An manchen Stellen wäre jedoch ein etwas kritischerer Umgang mit den einzelnen Quellen wünschenswert gewesen. Am Ende steht dennoch ein in sich recht stimmiges Bild der historischen Maria von Nazareth mit und in ihrer Zeit. Die sehr lebendige und anschauliche Schreibweise verleitet dazu, das Buch bis hin zur letzten Seite nicht mehr aus der Hand legen zu wollen.
Annett Giercke-Ungermann
Quelle: Eulenfisch Literatur 5 (2012), Heft 1, S. 9f.