Was feiern wir an Weihnachten?

Buchvorstellung - 20.12.2011

Rainer Oberthür/ Renate Seelig
Die Weihnachtserzählung

Stuttgart: Gabriel Verlag 2011
26 Seiten
ISBN 978-3-522-30262-3

Der Gabriel-Verlag hat gemeinsam mit dem bekannten Religionspädagogen Rainer Oberthür ein großformatiges Bilderbuch unter dem Titel „Die Weihnachtserzählung“ herausgebracht. Es soll sich, nach Auskunft des Verlags, für Kinder ab dem vierten Lebensjahr eignen. Wendet man sich als erstes der Bebilderung von Renate Seelig zu – so wie noch nicht des Lesens kundige Kinder vorgehen würden – so fällt ins Auge, dass die Weihnachtsgeschichte offenbar zweimal vorkommt.

Jedenfalls sind zwei unterschiedliche Krippendarstellungen zu finden, allerdings mit identisch gekleideten Menschen. Warum dies?
Zieht man den Text zurate, fällt auf, dass er sich an echten (oder fiktiven) Kinderfragen orientiert. Die erste Frage „Warum feiern wir eigentlich Weihnachten, Papa?“ könnte durchaus noch von einem Kind im Vorschulalter stammen. Die Antwort überfordert dann aber deutlich. Fünfjährige wissen noch nichts mit der gesamten Heilsgeschichte anzufangen, mit Jesu öffentlichem Auftreten, der Kreuzigung und Auferstehung. Die Antwort auf die zweite Frage „Wann wurde Jesus denn geboren“ ist ähnlich schwierig: „Jesus Christus ist die Sonne, die von Gott kommt“, deren Ursprung darin liegt „dass Jesus auferweckt und wieder bei Gott ist“ begreifen selbst viele Erwachsene kaum. Das gilt auch für die Ausführungen zur Frage: „Dann feiern wir also Weihnachten, weil wir Ostern feiern?“, in denen es heißt: „Das Licht der Weihnachtskerzen kommt von der Osterkerze“. Der Hintergrund, der für das Verständnis der Antworten nötig ist, kann nicht einmal dem Religionsunterricht der Grundschule entstammen.

Der Autor fährt dann fort, zunächst die Weihnachtsgeschichte nach dem Matthäusevangelium zu erzählen. Die Ausführungen sind so schwierig und voraussetzungsreich, dass sie sich nicht für Zuhörer oder Leser der angezielten Altersgruppe eignen. Z.B. sind keine Kenntnisse der Propheten Jesaja, Bileam, Micha und Hosea vorhanden. Wie im Matthäusevangelium geschrieben, endet der Abschnitt mit der Flucht nach Ägypten. Auch die folgenden Abschnitte sind kaum der religiösen Lebenswelt von kleinen Kindern entnommen. Absichten eines Evangelisten beim Abfassen des Evangeliums sind ihnen völlig fremd. Eine Frage nach der Geschichte, die der andere Erzähler (Lukas) kennt, stellt sich ihnen nicht. Hierzu ist ferner zu bemerken, dass die meisten Kinder erst im Religionsunterricht der vierten Klasse lernen, dass die vier Evangelisten zu denselben Ereignissen Unterschiedliches geschrieben haben. Das synoptische Arbeiten mit den Texten selber erfolgt erst in der Mittelstufe.

Wie schon beim Matthäusevangelium so ist auch beim Lukasevangelium der hier verfasste Text für die Altersgruppe unverständlich, z.B. dass der Name „Gabriel“ eine Bedeutung hat („Gott ist meine Kraft“) oder dass Zacharias einen Tempeldienst verrichtet, ist vermutlich unbekannt. Es ließen sich weitere Beispiele anführen. Selbst wenn nach Abschluss der eigentlichen Erzählung des Lukasevangeliums Kinderfragen beantwortet werden, so sind diese in ihrer Antwort viel zu schwierig.

Zusammenfassend lässt sich folgendes feststellen: Die bildliche Darstellung und der Textkorpus der vorliegenden Neuerscheinung richten sich an ganz unterschiedliche Altersgruppen. Aus den Illustrationen ließen sich mit anderen Texten zwei Weihnachtsbücher für kleine Kinder gestalten – je eines nach Lukas und Matthäus getrennt. Der Text wiederum kann je nach Vorbildung von Kindern und Jugendlichen der Mittelstufe verstanden werden. Auch hier ist die Feststellung „Die Krippe und das Kreuz gehören zusammen. Wer die Erzählungen von Jesu Leben, Tod und Auferstehung kennt, kann Weihnachten wirklich feiern“ mehr als erklärungsbedürftig. Das gilt auch für: „Wer die Worte der Propheten kennt, kann die Geschichten über Jesu Kindheit wirklich verstehen“. Vielen Eltern, die dieses Buch wegen der sehr schönen Bebilderung kaufen, wird der Text überwiegend ein Rätsel bleiben, da auch ihnen die Voraussetzungen und Vorkenntnisse fehlen.

Barbara Wieland