Wolfgang Michalke-Leicht
Kompetenzorientiert unterrichten
Das Praxisbuch für den Religionsunterricht
München: Kösel-Verlag 2011
240 Seiten
ISBN 978-3-466-37013-9
Mit der vorliegenden Publikation ist es dem Herausgeber Wolfgang Michalke-Leicht und dem Köselverlag gelungen, ein wirkliches Praxisbuch für kompetenzorientierten Religionsunterricht vorzustellen. Die Beiträge der unterschiedlichen Autorinnen und Autoren lassen deutlich werden, dass die vorgestellten Überlegungen zu den Unterrichtsarrangements alltagserprobt und erfahrungsgesättigt sind. Sie sind unisono getragen von einer Vision eines „neuen“ Religionsunterrichts, der sich als diametral gegensätzlich von bisherigen didaktischen Modellen abzugrenzen weiß. Dabei überzeugt das Buch in seinen beiden Teilen, einem theoretischen Input und unterrichtlichen Umsetzungen.
Im ersten Teil werden „Einsichten und Aussichten“ in und auf das Konzept gegeben, die in knapper Form die wesentlichen Pfeiler dessen benennen und beschreiben, was es bedeutet, kompetenzorientiert zu unterrichten. Sie bieten dem Praktiker wertvolle Hinweise zu den Grundsätzen der Kompetenzorientierung, sowohl in Bezug auf den Perspektivwechsel im Blick auf Unterricht, den der Ansatz initiiert, als auch in Bezug zu den damit verbundenen Konsequenzen in den weiteren Dimensionen von Unterrichtsplanung und Unterrichtsanalyse.
Diese Konsequenzen werden einzeln entfaltet. Sie bedeuten für die Lehrkraft ein Neuverständnis der Lehrerrolle im Unterricht, das Cornelia Patrzek-Raabe im Kapitel Lehrerinnen und Lehrer in unterschiedlichen unterrichtlichen Handlungssituationen aufzeichnet. Wolfgang Michalke-Leicht präzisiert dieses Rollenverständnis im Kapitel Kultur der Wertschätzung für das Feld Leistungsbewertung. Er differenziert zwischen Lern- und Leistungssituationen und stellt alternative Formate der Leistungsmessung und Leistungsbewertung vor. Dabei stellt er sich dem mir offensichtlichen Grundwiderspruch zwischen Kompetenzorientierung und zentralen Abschlussprüfungen. Seine auch an anderer Stelle schon veröffentlichten Vorschläge für lernförderliche und dem Grundanliegen der Kompetenzorientierung angemessene Feedback-Formate sind sicherlich wichtige methodische Ideen und Vorschläge, die dem Prinzip der Ressourcenorientierung und nicht dem der Defizitorientierung folgen. Sie sind passgenau zu den Überlegungen zum Prinzip Selbstorganisiertes Lernen (Stefan Schipperges) und der Forderung, dass Unterricht von Anforderungssituationen und Lernanlässen (Georg Gnandt) ausgehen muss, vermögen m.E. aber nicht den o.g. Grundwiderspruch zu lösen.
Klaus-Peter Sajak referiert in Bildungspläne-Bildungsstandards-Kompetenzen das grundlegende Modell der Kompetenzorientierung, das auf den administeriellen Vorgaben der Kultusministerkonferenz, der Deutschen Bischofskonferenz und den einheitlichen Prüfungsanforderungen für das Abitur basiert. Dabei macht er deutlich, dass im als Paradigmenwechsel beschriebenen Blick auf Unterricht keineswegs die Inhalte aus dem Fokus rücken, sondern Kompetenzen immer an Inhalten entfaltet, gefördert und gemessen werden. Dies nimmt Georg Gnandt im schon genannten Kapitel auf und stellt – in Anlehnung an die Forschungsergebnisse von Andreas Feindt – sechs Qualitätskriterien für Anforderungssituationen und Lernanlässe auf:
1. Individuelle Lernbegleitung, 2. Metakognition, 3. Vernetzung von Wissen und Fertigkeiten, 4. Übung und Überarbeitung, 5. kognitive Aktivierung, 6. lebensweltliche Anwendung.
Verfolgt man die Diskussion um Kompetenzorientierung, so ist ein neuer Blick in der Analyse und Planung von Unterricht hin zur Outcome-Orientierung Konsens aller Ansätze. Dabei wird der Vergleich zum bisherigen Unterricht gerne als Perspektivwechsel bezeichnet, der leicht in schwarz-weiß-malerischer Beschreibung bisherigen und neuen Unterricht gegenüberstellt. Dem erliegt das vorliegende Buch nicht. Legt man die Qualitätskriterien von Feindt dem, was bisher als „Guter Unterricht“ galt, zugrunde, so liegen die Unterschiede m.E. eher im analytischen Blick auf dessen Beschreibung und der Planung des Ressourceneinsatzes, weniger in der grundsätzlichen Bewertung. Dem Herausgeber geht es mitnichten darum, „die bisherige Unterrichtspraxis über Bord zu werfen.“ Vielmehr komme es darauf an, die „Perspektive zu wechseln“, um „an entscheidenden Stellen eine bescheidene, aber deutliche Akzentverschiebung vorzunehmen“ (78). Für diese Akzentverschiebung bietet das, den ersten Teil abschließende, Kapitel Lernsequenzen einen Vorschlag für den Aufbau und die Struktur dieser Lernsequenzen. Das vorgelegte Planungsschema sieht 10 Analyseschritte der Unterrichtsplanung vor, die inhaltlich vom Thema ausgehend mit didaktischen Fragen der Zielsetzungen und deren Begründungen beginnen. Ein Thema, so der Herausgeber, könne aber nur dann zum Lerngegenstand werden, wenn es gelingt, einen Lernanlass zu initiieren, d.h. es über kognitive Dissonanzen problemorientiert zu präsentieren. Aspekte der methodischen Umsetzung und der strategischen Zielerreichung sind ebenso Planungsschritte wie optionale Lernwege, Materialfrage und die Überprüfung des Lernerfolgs. Die Planungsschritte sind niveaubezogen auszubuchstabieren. Allem liegt der baden-württembergische Bildungsplan zugrunde.
Mit diesem ersten Teil ist es dem Herausgeber gelungen, einen knappen aber aussagekräftigen und praxistauglichen Überblick über das Konzept eines kompetenzorientierten Religionsunterrichts zu präsentieren, der die Grundpfeiler des Ansatzes konzise darstellt und als Analyseinstrument für die im zweiten Teil folgenden Unterrichtsbeispiele gut geeignet ist.
Der zweite Teil Lernsequenzen für den Religionsunterricht in den Sekundarstufen 1 und 2 stellt fünf Lernarrangements für die Unterstufe, vier für das Lernalter 7./8. Klasse, weitere fünf für die Abschlussklassen der Sekundarstufe bzw. die Eingangsstufe und zehn Vorhaben für die Oberstufe vor. Im Überblick finden sich alle „Klassiker“ eines religionspädagogischen Curriculums wieder, es stehen genuin biblisch orientierte Vorschläge neben solchen, die den Schülerinnen und Schülern größtmögliche Freiheit in der Erarbeitung ihrer gewählten Problemstellung und der Konzeption ihrer Lernergebnisse eröffnen. Ethische Fragestellungen, interreligiöse Begegnung, Dogmatik, Liebe und Partnerschaft sind neben kirchenhistorischen Facetten und kirchenpädagogischen Ansätzen, usw. aufgeführt.
Im Wissen, dass eigene Erfahrungen, Vorlieben, Affinitäten und Distanzen grundlegend urteilskonstituierend sind, wird meine Rezension nicht der Versuchung erliegen, hier „gute“ und „weniger brauchbare“ Vorschläge zu unterscheiden. Schülerklientel, schulische Rahmenbedingungen, eigene Fach- und Methodenkompetenz usw. sind weitere Gelingensbedingungen für Unterricht, die in veröffentlichten Stundenarrangements nicht normativ konkret berücksichtigt werden können.
Ich will mich begnügen mit einem übergreifenden Blick auf die vorgestellten Ideen.
Alle Vorschläge sind bemüht, das ernst zu nehmen und umzusetzen, was im ersten, theoretischen Teil der Publikation grundgelegt ist. Die Ideen haben hohes kreatives Potenzial und setzen weitestgehend auf „selbstorganisiertes Lernen“ und selbstverantwortetes Lernen, in dem sich die Lehrkraft ihrer Rolle als Begleiter, Coach, Moderator bewusst ist. Es werden Angebote gemacht und der Lernprozess wird unterstützt. Dabei wird deutlich, dass dies ein Lernprozess für beide Seiten ist: SchülerInnen wie Lehrkräfte.
Ob alle Lernsequenzen die o.g. sechs Gütekriterien wirklich konsequent erfüllen, wird sich sicherlich erst im genauen Ablauf, d.h. im konkreten Unterricht bestimmen lassen. Schon bei der Lektüre ist aber offensichtlich, dass bei allen Vorschlägen zumindest von kompetenzangereichertem Unterricht gesprochen werden kann. (Zur Unterscheidung vgl. die differenzierenden Einlassungen im o.g. Beitrag von G.Gnandt.)
Das Buch spiegelt dezidiert seine Provenienz. Allen Beispielen liegt der Bildungsplan von Baden-Württemberg zugrunde, eine Kompatibilität mit anderen bundesländerspezifischen Konzepten zur Kompetenzorientierung ist nur bedingt gegeben. Schon allein deshalb, weil unter anderem der bildungspolitisch verwendete Kompetenzbegriff, Aspekte der Niveaukonkretisierungen und Standards, die Positionierung der Fachinhalte und weitere m.E. wichtige Setzungen in den Kompetenzrastern nicht ländereinheitlich geregelt sind bzw. verstanden werden.
Etliche AutorInnen haben auch am Religionsbuch „Mittendrin“ mitgearbeitet, in dessen Konsequenz eine große Anzahl der Materialverweise und Verfahrensvorschläge daran angelehnt ist, bzw. darauf Bezug nimmt. Dies erschwert die Rezeption in anderen geografischen Kontexten und didaktischen Traditionen ein wenig, bzw. erfordert eine parallele Lektüre.
Dies alles schmälert aber den Wert der vorliegenden Publikation als Praxisbuch für die Hand der Lehrkraft und deren konkreten Religionsunterricht in keinster Weise. Die theoretische Einführung bietet ein brauchbares und praxisorientiertes Analyseinstrument für kompetenzorientierte Unterrichtsplanung, die an Beispielen im zweiten Teil konkretisiert wird. Transferleistungen in andere, länderspezifische Rahmenbedingungen sind möglich, deren Konkretion kann wohl als Lernanlass und Anforderungssituation für den Leser, die Leserin verstanden werden.
Frank Wenzel