Sjef van Tilborg
Das Johannes-Evangelium.
Ein Kommentar für die Praxis.
Überarbeitet von Rainer Dillmann und Detlev Dormeyer
Stuttgart: Verlag Kath. Bibelwerk 2005.
XIV + 320 Seiten, 24,90€.
ISBN 978-3-460-33128-0
Im Jahr 2003 verstarb überraschend der Nijmegener Exeget Sjef van Tilborg, der in den vergangenen Jahren besonders durch seine synchron orientierten Auslegungen zum Johannes- und zum Lukasevangelium bekannt geworden war. Im Anschluss und in Weiterführung an die Arbeiten Bas van Iersels zeigte sich van Tilborg als offen für die verschiedensten modernen wie postmodernen Herausforderungen an die Exegese des Neuen Testaments, ohne dabei die Basis historisch-kritischen Arbeitens zu vernachlässigen. Posthum erschien nun dieser schöne Kommentar zum Johannesevangelium, der sich – wie die bisher in der selben Reihe erschienenen Arbeiten zu Mk, Lk und Apg – an ein breites Publikum wendet, ohne das Detailinteresse wissenschaftlicher Exegese zu vernachlässigen.
Wer eine klassische Einleitung in das Johannesevangelium erwartet, wird jedoch enttäuscht werden: Van Tilborg geht vielmehr auf die Grenzen historisch-kritischer Methodik im Zusammenhang mit der bibelpastoralen Praxis ein: Er möchte seine Leserinnen und Leser in Dialog mit dem Text bringen. Dies geschieht auf drei Ebenen: mit dem Text auf der Ebene der erzählten Geschichte, mit dem Erzähler der Geschichte, der immer wieder in den Vordergrund tritt, und mit dem tatsächlich schreibenden Verfasser und seinen Lesern und Leserinnen (vgl. S. X). Van Tilborg setzt seine Kommentare jeweils mit strukturellen Überlegungen ein, er analysiert erzählerische Positionen und gibt theologische Erklärungen zum Text. Auf einer eigenen Ebene werden die Erzählerkommentare behandelt, d.h. die den Text immer wieder durchziehenden Randbemerkungen und kommentierenden Sätze, die aus der reinen Erzählzeit und Erzählwelt heraustreten. Mit diesen Bemerkungen möchte der Autor des Textes ja besonders eindeutig darauf Einfluss nehmen, wie seine Adressaten das Erzählte interpretieren. Van Tilborg blendet in seinem Kommentar keineswegs die historische Ebene aus - immer wieder zeigt er, wie Aspekte des Textes mit der konkreten Situation der johanneischen Gemeinde zusammenhängen.
Van Tilborgs Kommentar ist sicherlich nicht anspruchslos. Obwohl er sich an ein breites Publikum wendet, ist er niemals oberflächlich. Wie sehr dem Autor auch (entscheidende!) Details des Textes am Herzen liegen, zeigt sich z.B. immer wieder in seinen Überlegungen zur angemessenen Übersetzung des Textes (etwa im Prolog). Immer wieder gelingt auch das Kunststück, auf knapp bemessenem Raume deutlich mehr darzustellen als nur die wichtigsten exegetischen Linien und damit Leserinnen und Leser für die Tiefen des Textes zu sensibilisieren. Weniger glücklich bin ich mit der Entscheidung, den Terminus Ioudaioi häufig geographisch mit „Judäer“ (z. B. in der Tempelreinigung oder der Heilung des Gelähmten, wo es keineswegs nur um den Unterschied zwischen Galiläern und Judäern geht) wiederzugeben. Damit verhindert man tatsächlich antijüdische Interpretationen des Textes, beraubt diesen andererseits aber eines (gefährlichen!) Potenzials, mit dem vielleicht auf andere Weisen umgegangen werden sollte. Trotz dieses Details ist dieser aus jahrelangen Vorarbeiten erwachsene Kommentar nicht nur für gebildete Laien und Studierende, sondern auch für das theologische Fachpublikum eine überaus lohnende Lektüre.
Tobias Nicklas (2007)
Quelle: Katholisches Bibelwerk e.V. Stuttgart, Biblische Bücherschau 2008.