Ulrike Bail u.a. (Hg.)
Bibel in gerechter Sprache
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2006.
2400 Seiten, 24,95€.
ISBN 978-3-579-05500-8
„Von deiner Freundlichkeit, ‘Lebendige’, ist die Erde erfüllt“ (Ps 119,64). „Macht euch auf den Weg und lasst alle Völker mitlernen. Taucht sie ein in den Namen Gottes, Vater und Mutter für alle, des Sohnes und der heiligen Geistkraft“ (Mt 28,19). Das klingt ungewohnt. „Gott ist jetzt auch weiblich“ titelte eine Zeitung. Was ist passiert? Zweiundvierzig Frauen und zehn Männer haben in fünf Jahren die Bibel neu übersetzt.
Ein Beirat unter Vorsitz des Kirchenpräsidenten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau Prof. Dr. Peter Steinacker hat die Übersetzungsarbeiten begleitet. Finanziert wurde das Projekt durch Spenden. Die Mehrzahl der Übersetzerinnen und Übersetzer hat einen protestantischen Hintergrund. Die Übersetzung, so die Herausgeber, „hat ihre Wurzeln in der Befreiungstheologie, der feministischen Theologie und dem christlich-jüdischen Dialog“ (9). Entsprechend geht es ihr um eine dreifache Gerechtigkeit: um eine geschlechtergerechte Sprache, um Gerechtigkeit im Hinblick auf den christlich-jüdischen Dialog und um soziale Gerechtigkeit. Am deutlichsten tritt das Bemühen um eine geschlechtergerechte Sprache hervor. Darauf soll sich im Folgenden meine kritische Würdigung beschränken.
„Glücklich sind die Frau, der Mann“
Unbestritten dürfte sein, dass vorhandene Bibelübersetzungen unter dem Gesichtspunkt einer geschlechtergerechten Sprache Fehler aufweisen. Ein Beispiel aus der Einheitsübersetzung: „Wohl dem Mann, der Weisheit gefunden, dem Mann, der Einsicht gewonnen hat“ (Spr 3,13). Richtig müsste es heißen: „Wohl dem Menschen (adam; Vulgata: beatus homo ...) ...“. Überraschend ist allerdings, dass Bibel in gerechter Sprache an dieser Stelle auch das Wort „Mensch“ meidet. Sie übersetzt: „Glücklich können sich alle schätzen, die Weisheit finden ...“. Irritierend wirkt die Übersetzung von Ps 1,1: „Glücklich sind die Frau, der Mann, die ...“. Aus hebräisch ha-isch „der Mann“ wird „die Frau, der Mann“. Das Bild verschiebt sich vom Singular in den Plural: „Wie Bäume werden sie sein“. Ein möglicher Bezug zwischen „Mann“ und David bzw. Christus (vgl. Augustinus) geht verloren, ebenso der Bezug zwischen „Baum“, „Baum des Lebens“ (Gen 2,9), „Weisheit als Baum des Lebens“ (Spr 3,18) und „Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit“ (1 Kor 1,24; vgl. Hieronymus). In Hos 11,9 wird allerdings hebräisch isch mit „Mann“, nicht mit „Frau, Mann“ übersetzt: „Denn Gott bin ich, und nicht ein Mann“. Das ist möglich (so übersetzt auch Martin Buber), aber nicht unumstritten. Wäre eine geschlechtergerechte Übersetzung nicht „Denn Gott bin ich, nicht ein Mann, nicht eine Frau“? In der Einleitung heißt es, „dass dieser Gott nicht männlich, diese Gottheit nicht weiblich war“ (10). Es gibt in der Forschung die durchaus ernst zu nehmende These, dass sich Gott in Hos 11 von einem spezifisch männlichen Verhalten distanziere. Die These ist allerdings nicht unwidersprochen geblieben (vgl. Num 23,19; 1 Sam 15,29). Revidierte Luther- und Einheitsübersetzung schreiben: „Denn ich bin Gott, (und) nicht ein Mensch“.
Feministische Linguistik
Um die Übersetzungstechnik von der Bibel in gerechter Sprache zu verstehen, muss man sich mit der im Hintergrund stehenden Theorie vertraut machen. Bibel in gerechter Sprache ist stark geprägt von Positionen der sogenannten feministischen Linguistik. Diese werden bereits in der Einleitung als nicht mehr hinterfragbar angesehen. Das ist aber keineswegs der Fall. Die Diskussion ist noch offen. Die feministische Linguistik untersucht den Zusammenhang von Sprache und Geschlecht. Sie kritisiert die deutsche Sprache als sexistisch, weil in ihr maskuline Formen von Substantiven und Pronomina generisch verwendet werden können. Der Satz „Alle Bewohner der Stadt sind umgekommen“ kann sich entweder nur auf die männlichen Bewohner der Stadt oder auf die männlichen und weiblichen Bewohner der Stadt beziehen. Solche Formulierungen, so sagt man, verleiten dazu, nur an Männer zu denken, auch wenn Frauen mitgemeint sind. Die Frauen bleiben „unsichtbar“. Um dem entgegenzusteuern, werden folgende Strategien verfolgt:
Neutralisierung („Alle Personen der Stadt“), Feminisierung, das heißt: konsequente Benennung von Frauen bei gemischten Gruppen (Splitting: „Alle Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt“), Einsatz des Binnen-I („Alle BewohnerInnen der Stadt“) und schließlich in radikaler Umkehr des generischen Maskulinismus der Einsatz des generischen Feminismus („Alle Bewohnerinnen der Stadt“). Die Bibel in gerechter Sprache praktiziert die ersten beiden Strategien: Neutralisierung und Feminisierung.
Ein Beispiel für Neutralisierung: „Wo ist der neugeborene König des jüdischen Volkes?“ (Mt 2,2; EÜ: „... der Juden“). Ein Beispiel für Feminisierung: „Die Philisterinnen und Philister stiegen hinauf und lagerten sich in Juda“ (Ri 14,9). Diese beiden Strategien, Neutralisierung und Feminisierung, durchziehen die gesamte Übersetzung. Beispiele für Feminisierung: „Jüngerinnen und Jünger Jesu“, „toragelehrte Frauen und Männer“ (EÜ: „die Schriftgelehrten“), „Pharisäerinnen und Pharisäer“, „Zöllnerinnen und Zöllner“; Beispiele für Neutralisierung: „eine schwer hautkranke Person“ (Mk 1,40; EÜ: „ein Aussätziger“), „Bauersleute gingen hinaus, um zu säen“ (Mk 4,3; EÜ: „ein Sämann ging aufs Feld“), Jesus saß als Zwölfjähriger „mitten unter den Lehrenden“ (Lk 2,46; EÜ: „mitten unter den Lehrern“).
Fragliche Feminisierungen
und Neutralisierungen
Mein Eindruck ist, dass die Bibel in gerechter Sprache dort, wo Frauen mitgemeint sein könnten, vom Wortlaut des Textes aber nicht ausdrücklich genannt sind, gern mit der Strategie der Feminisierung arbeitet, aber dort, wo eindeutig eine männliche Person oder männliche Personen genannt und gemeint sind, mit der Strategie der Neutralisierung. Zwei Beispiele für „verschleiernde Neutralisierung“: „Dieses ist mein geliebtes Kind, ihm gehört meine Zuneigung“ statt: „Dies ist mein geliebter Sohn“ (hyios, Mt 3,17). „Ihr werdet den Himmel geöffnet sehen und die Engel Gottes hinaufsteigen und hinabsteigen auf den erwählten Menschen“ (Joh 1,51; statt: „... auf den Menschensohn“).
Bibel in gerechter Sprache praktiziert Neutralisierung und Feminisierung allerdings auch dort, wo sie von der Sache, also vom Signifikat (in der Terminologie F. de Saussures) her, unangemessen oder sogar falsch sind. Johannes der Täufer verkündet nach Mk 1,7: „Nach mir kommt einer, der stärker (ischyroteros) ist als ich“.
Bibel in gerechter Sprache schreibt: „Nach mir kommt jemand machtvoller, als ich es bin. Verglichen mit dieser Person bin ich nicht gut genug, dass ich mich bücke und ihren Schuhriemen löse. Ich habe euch im Wasser getauft, sie aber wird euch in heiliger Geistkraft taufen“. Der Bezug auf Jesus wird durch Neutralisierung verschleiert. Jesus war nun aber einmal ein Mann, und das kann im Nachhinein nicht mehr rückgängig gemacht werden. Johannes der Täufer hat das schon kommen sehen.
Ein Beispiel für falsche Feminisierung: „Die Apostelinnen und Apostel versammelten sich um Jesus und berichteten ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten“ (Mk 6,30). Hoi apostoloi bezieht sich in Mk 6,30 allerdings auf die Zwölf, die Jesus in 6,7- 12 ausgesandt und die er in 3,13-19 eingesetzt hatte. Diese waren aber – zumindest dem Namen nach – Männer.
Eine Würdigung der Bibel in gerechter Sprache kommt an einer kritischen Auseinandersetzung mit Positionen feministischer Linguistik nicht vorbei. Das kann im Rahmen dieses Beitrags nicht geschehen. Ich möchte allerdings nicht verschweigen, dass ich viele ihrer Positionen nicht teile. Die Kritik am generischen Maskulinismus vermischt Genus (grammatikalisches Geschlecht) und Sexus (natürliches Geschlecht), verkennt die Beliebigkeit des sprachlichen Zeichens (in dem Sinne, dass es – von lautmalerischen Wörtern abgesehen – keinen naturgegebenen Zusammenhang zwischen dem Lautkörper des Zeichens und dessen Inhalt gibt) und lässt die historische Entwicklung der Sprache unberücksichtigt. Das Projekt kann schon aus rein sprachökonomischen Gründen selbst in Bibel in gerechter Sprache nicht konsequent durchgeführt werden. Die Frau, die seit zwölf Jahren an Blutungen litt, hatte von „vielen Ärzten vieles erlitten“ (Mk 5,26) – nicht von vielen Ärztinnen und Ärzten. Ijobs Freund Elifas hat gesehen, „wie ein Dummer Wurzeln schlug“ (5,3) – nicht wie ein Dummer und eine Dumme Wurzeln schlugen.
Gott, sie
Problematischer aber scheint mir zu sein, dass selbst das Modell der feministischen Linguistik durchbrochen wird, und zwar bei der Wiedergabe des Gottesnamens und der Gottesbezeichnungen. Hier stoßen wir auf das theologische Epizentrum der neuen Übersetzung. Beginnen wir mit dem wirkungsgeschichtlich bedeutsamen Text Gen 1,27: „Da schuf Gott Adam, die Menschen, als göttliches Bild, als Bild Gottes wurden sie geschaffen, männlich und weiblich hat er, hat sie, hat Gott sie geschaffen.“ Offensichtlich soll vermieden werden, dass das Wort „Gott“ durch das Personalpronomen „er“ substituiert und dass auf das Wort „Gott“ durch das Possessivpronomen „sein“ verwiesen wird. Deshalb wird, obwohl es im hebräischen Text anders steht, in die Passivkonstruktion ausgewichen: „als göttliches Bild, als Bild Gottes wurden sie geschaffen“ statt „als sein Bild, als Bild Gottes schuf er ihn (adam ‘den Menschen’)“. Diese Form der Übersetzung verstößt nicht nur gegen die Regeln der deutschen Grammatik, sondern ist, wie der weitere Textverlauf zeigt, auch in sich selbst nicht konsistent. Dies sei an der Übersetzung von Gen 2,2-3 gezeigt: „Gott aber brachte das eigene Werk am siebten Tag zum Abschluss, indem sie am siebten Tag von all ihrem Werk ruhte, das sie getan hatte. Und Gott segnete den siebten Tag und machte ihn heilig. Denn an ihm ruht sie von all ihrem Werk, das Gott geschaffen hat, um zu wirken.“ In Vers 2a wird hebräisches melakto mit „das eigene Werk“ übersetzt – wohl um die Übersetzung „sein Werk“ zu vermeiden. In Vers 2b und Vers 3 aber wird dasselbe Wort, nachdem man unter Missachtung der Regeln der deutschen Grammatik in die feminine pronominale Substitution gewechselt ist („... an ihm ruht sie ...“), mit „ihrem Werk“ übersetzt. Das ist nicht konsequent. Ist „ihr Werk“ politisch korrekter als „sein Werk“?
Die Herausgeber meinen, Gott „einseitig mit grammatikalisch männlichen Bezeichnungen zu benennen“, rufe eine männliche Vorstellung von Gott hervor. So werde „das Bilderverbot umgangen“ (10). Um dem entgegenzusteuern, setzen sie mit grammatikalisch falscher Pronominalisierung („sie“) ein weibliches Gottesbild daneben. Hier liegt ein dreifaches Missverständnis vor: Zum einen die bereits genannte Verwechselung von Genus und Sexus. Die Worte „der Gast“, „der Mensch“, „die Person“ bezeichnen in gleicher Weise männliche und weibliche Personen. Es besteht kein Grund, das Wort „Mensch“ zu meiden, weil es dem Genus nach ein Maskulinum ist (vgl. die Übersetzung von Spr 3,13). Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass sich das Bilderverbot des Dekalogs nicht gegen Sprach-, sondern gegen Kultbilder richtet. Nimmt man aber einmal das vorausgesetzte Textverständnis als gültig an, dann verstößt die praktizierte Übersetzungsmethode in gewisser Weise sogar gegen das Bilderverbot: Das in der Bibel möglicherweise vermittelte männliche Gottesbild wird als eine in sich geschlossene Größe verstanden und durch ein weibliches Gottesbild ergänzt. Diese Form innerbiblischer Bildvermehrung bleibt auf der Ebene der Bilder stehen und folglich auf der Ebene eines oberflächlichen Verstehens. So kann kaum eine tiefer gehende religiöse Identität entstehen. Es erscheint mir unwahrscheinlich, dass mit dieser Methode die Ebene der Bilder und Worte auf die zugrunde liegende Wirklichkeit hin durchbrochen wird.
Vielzahl göttlicher Namen
In Theorie und Praxis hat die christliche Tradition einen anderen Weg eingeschlagen, um das hier angesprochene und von den Herausgebern von Bibel in gerechter Sprache erkannte Problem zu lösen: den Weg der Reflexion, der Interpretation und der Meditation der vorgegebenen, begrenzten biblischen Sprachgestalt. Das Wort „Gott“ wird nicht durch ein regelwidriges „sie” ersetzt, sondern es wird – wie es Karl Rahner im Grundkurs des Glaubens tut – gefragt, was denn das Wort „Gott“ bedeute.
Thomas von Aquin reflektiert in der Summa contra gentiles ausführlich die Vielzahl der göttlichen Namen, die seiner Einfachheit und Einheit nicht widersprechen (I, 30- 36). Und da kennt die Tradition viele „Namen“, die über die biblische Tradition hinausgehen: das höchste Gut (summum bonum), das Gutsein selbst (ipsa bonitas), das Sein (esse), die Gottheit (deitas), das Göttliche (to theion). „Gottheit tief verborgen, betend nah ich dir“. Diese und viele weitere „Namen“ wollen nicht – und schon gar nicht regelwidrig – den Gottesnamen und die biblischen Gottesbezeichnungen ersetzen. Sie verstehen sich als Interpretationen der vorgegebenen, begrenzten und immer auch missverständlichen biblischen Sprachgestalt. „Nun aber werde ich ... nach bestem Können zur Erklärung der Namen Gottes schreiten. Es sei uns jedoch auch hier von allem Anfang an die Weisung der Heiligen Schrift eine Richtschnur, dass wir die Wahrheit der Aussagen über Gott „nicht in überredenden Worten menschlicher Weisheit“ ehren, „sondern im Erweis der Macht“ [1 Kor 2,4], die die biblischen Schriftsteller inspirierte“ – so beginnt Pseudo-Dionysius Areopagita sein für die christliche Tradition grundlegendes Werk Über die göttlichen Namen (De divinis nominibus, 585, 10B – Übersetzung Beate Regina Suchla, BGL 26, Stuttgart 1988).
In der Einleitung zu Bibel in gerechter Sprache wird beklagt, dass sich „die meisten Leserinnen und Leser der Bibel ... daran gewöhnt“ haben, „sich Gott ... in inneren und äußeren Bildern männlich vorzustellen“ (10). Das mag durchaus sein. Das Problem ist nicht neu. Bereits Origenes (185-251 n. Chr.) klagt, dass sich „die Einfältigeren unter denen, die sich der Zugehörigkeit zur Kirche rühmen“ von Gott „schlimmere Vorstellungen“ machen „als von dem rohesten und ungerechtesten Menschen“ (De principiis IV, 2,1). Deshalb ist die Bibel nicht ohne Interpretation, und das heißt: nicht ohne Tradition zu haben. Auch Augustinus hatte viele Jahre große Probleme mit dem Alten Testament. Die Probleme begannen sich aufzulösen, als ihm ein „unvergleichliches Licht“ (lux incommutabilis) aufging: Nicht der biblische Text ist grob, sondern das Verständnis, das ich ihm entgegenbringe.
Bild und Bildlosigkeit
Im frühen Mönchtum fand eine intensive Auseinandersetzung mit der Häresie der Anthropomorphiten statt, also mit denen, die sich von Gott ein Bild machten. Die Irrlehre war auch unter „fortgeschrittenen Mönchen“ verbreitet. Wie man von dieser Häresie durch eine angemessene Interpretation der Schrift und spirituelle Praxis geheilt werden kann, lehrt uns eine Geschichte, die Johannes Cassian (360-435 n.Chr.) erzählt.
Viele Mönche in Ägypten waren einer bildhaften Vorstellung von Gott verhaftet. In der Art, wie die Heilige Schrift von Gott sprach, und vor allem in der Aussage von Gen 1,26 sahen sie sich in ihrer Haltung bestätigt. Der Priester Paphnutius jedoch tadelte sie in ihrer Auffassung. Eines Tages kam ein hochgebildeter Diakon namens Photinus aus Kappadozien. Paphnutius bat ihn um eine Auslegung von Gen 1,26.
„Photinus legte dar, dass das 'Ebenbild und Gleichnis Gottes' von allen Kirchen nicht nach dem buchstäblichen Sinne, sondern geistig ausgelegt werde. In ausführlicher Rede und durch viele Zeugnisse der Heiligen Schrift erklärte und bewies er, dass die unermessliche, unbegreifliche und unsichtbare Größe Gottes nicht durch etwas bestimmt werden kann, was menschliche Augen erfassen sowie menschlicher Geist denken und beurteilen kann, denn diese Größe Gottes sei von unkörperlicher und nicht zusammengesetzter, einfacher Natur.“ Nun geschah Folgendes. Abt Serapion, der aufgrund strenger Askese als ein fast Vollendeter galt, wurde, nachdem er den Vortrag des Diakons gehört und sich mit den übrigen Mönchen zum Gebet erhoben hatte, in eine für ihn noch unbekannte Dimension des Glaubens geführt. „Er fühlte das menschenförmige Bild Gottes, das er gewohnt war, sich im Gebet vorzustellen, aus seinem Inneren schwinden. Verwirrt und hilflos brach Serapion in bitteres Weinen und anhaltendes Schluchzen aus, warf sich zu Boden und rief: 'Weh mir Unglücklichem! Sie haben mir meinen Gott genommen und nun habe ich keinen, an den ich mich halten kann, und weiß nicht, wen ich anbeten und bitten soll'“. 2 Abt Serapion durchleidet einen schmerzhaften Prozess. Wenn er nicht unter Schmerzen gelernt hätte, im Gebet seine Gottesvorstellung aufzugeben, wäre er in seiner geistigen Entwicklung erstarrt.
Bibel in gerechter Sprache möchte offensichtlich diesen Schmerz umgehen, oder, wo er bereits eingetreten ist, aus diesem Schmerz befreien. Sie bietet eine weibliche Seite im Gottesbild an. Mit einem so erweiterten Gottesbild lässt sich wieder leben. Bibel in gerechter Sprache sieht das Problem eines androzentrischen Anthropomorphismus zu Recht. Und sie leidet auch darunter. Aber die vorgeschlagene Therapie führt nicht zum Ziel. Sie vermag vorübergehend Erleichterung zu verschaffen. Doch der Irrtum bleibt. Er nimmt lediglich eine andere, zeitgemäßere Gestalt an.
Gott, Vater und Mutter
In der (orthodoxen) jüdischen Tradition lernen die Kinder anhand der Bibel Lesen und Schreiben und den korrekten Gebrauch der Sprache. Mit Hilfe von Bibel in gerechter Sprache ist das nicht mehr möglich. Ein Beispiel: „Ihr habt gehört, dass Gott gesagt hat: Liebe deine Nächste und deinen Nächsten und hasse die feindliche Macht. Ich lege das heute so aus: Begegnet denen, die euch Feindschaft entgegenbringen, mit Liebe und betet für die, die euch verfolgen. So werdet ihr Töchter und Söhne Gottes, eures Vaters und eurer Mutter im Himmel, die ihre Sonne über Böse und Gute aufgehen lässt und es über Gerechte und Ungerechte regnen lässt“ (Mt 5,43-45). Der Relativsatz „die ihre Sonne ...“ kann sich nur auf „Mutter im Himmel“ beziehen. Demnach entsteht der Eindruck, es gäbe einen Gott als Vater- (Gottheit) und daneben eine Mutter-(Gottheit). Letztere sei für den Umlauf der Sonne und für den Regen zuständig.
Bibel in gerechter Sprache gefällt es offenbar nicht, dass Jesus Gott als Vater anredet. So wird entweder „Vater“ durch „Gott“ ersetzt (Joh 17,1; Lk 23,46) oder durch „Mutter“ ergänzt (Mt 16,17: „Gott, für mich Vater und Mutter im Himmel“). Im Hintergrund dieser Textkorrekturen steht ein problematisches Schriftverständnis.
Es kommt darauf an, die Bilder der Bibel zu verstehen. Die Bilder bedürfen der Auslegung. Die Auslegung bedient sich der Sprache und damit weiterer Bilder. Bibel in gerechter Sprache aber trägt die Bilder der Auslegung in den Bibeltext selbst ein.
Selbstverständlich kann das Bild von Gott als Vater missverstanden werden. Aber das Bild von Gott als Vater und Mutter kann es in gleicher Weise. Das Problem liegt also in beiden Fällen auf Seiten der Bibelleser, nicht auf Seiten des Bibeltextes. Deshalb sollte man den Bibeltext nicht nach eigenem Geschmack ergänzen, sondern den vorliegenden, begrenzten Text richtig auslegen.
Bibel-Bibliothek
Es ist nicht einfach, letztlich wohl gar nicht möglich, die Bibel durchgehend konkordant zu übersetzen. In Bibel in gerechter Sprache wird dies in vielen Fällen, wo es möglich wäre und geschehen müsste, nicht getan. Nicht einmal die beiden Dekalogfassungen (Ex 20; Dtn 5) werden konkordant übersetzt. Das ist, wie in der Einleitung gesagt wird (24-26), Absicht. Dort wird gleich im ersten Satz von der „faszinierenden Bibliothek Bibel“ gesprochen (9). Damit ist aber nur die halbe Wahrheit gesagt. Die Tradition wusste immer darum, dass die Bibel auch ein Buch ist. Die Schriften werden „ein Buch genannt (unus liber appellantur)“ schreibt Hieronymus in seinem Jesaja-Kommentar (IX, 29, 9/12). Gerade die neuere Bibelwissenschaft arbeitet im Rahmen der so genannten „kanonischen Exegese“ die Einheit der Schrift wieder eindrucksvoll heraus. Das bedeutet aber, dass die Text- Text-Bezüge, wo sie vorliegen, durch möglichst konkordante Übersetzungen sichtbar zu machen sind und nicht durch frei variierende Wiedergaben verschleiert werden dürfen.
„Die Lebendige“
Ein dorniges Problem ist die Wiedergabe des Gottesnamens. Vielen Gläubigen ist nicht bewusst, dass die in den meisten deutschen christlichen Bibelübersetzungen (Luther, Zürcher Bibel, Einheitsübersetzung) gebräuchliche Gottesbezeichnung (nomen appellativum) „Herr“ bzw. „HERR“ die Wiedergabe des hebräischen Gottesnamens (nomen proprium) JHWH ist. Bibel in gerechter Sprache bricht mit dieser Tradition. Sie verwendet nicht mehr die Gottesbezeichnung „der Herr“. Sie übersetzt das Tetragramm vielfältig, nicht einheitlich. Dabei greift sie auch auf die ältere und neuere jüdische Tradition zurück. Sie spricht in diesem Zusammenhang von Lesevorschlägen. Wo das Tetragramm steht, finden sich, grau hinterlegt und mit einfachen Anführungszeichen, die an den hebräischen Buchstaben Jod erinnern sollen, in bunter Variation folgende „Lesevorschläge“: Adonaj, ha-Schem (der Name), ha-Makom (vgl. Est 4,14), ICH, DU, ER, SIE, der Eine, die Eine, die Lebendige, der Lebendige, Schechina („Einwohnung“), GOTT (in Kapitälchen! – nicht zu verwechseln mit „Gott“ oder „Gottheit“ als Übersetzung von elohim), der Heilige, die Heilige, der Ewige, die Ewige, Ich-bin-da. Selbst in einem Satz kann das Genus der Pronomina wechseln, sodass jemand, der die Regeln der deutschen Sprache beherrscht, nicht mehr weiß, wer überhaupt gemeint ist: „Mose sagte zu 'Ihr': 'Ach, meine Herrin, ich habe noch nie gut reden können, auch nicht, seitdem du mit mir sprichst. Mein Mund ist unbeholfen, meine Zunge schwer.' 'Er' zu ihm ...“ (Ex 4,10f). Bei den „Gottesbezeichnungen“ sind also zwei Problemfelder deutlich zu unterscheiden: die Übersetzung der hebräischen Gottesbezeichnung elohim mit „Gott“ und die genannten vielfältigen Lesevorschläge für den Gottesnamen JHWH. In beiden Fällen liegen Brüche vor. Bei der Verwendung des Wortes „Gott“ wird – aus genannten Gründen – mit einer Regel der deutschen Grammatik gebrochen, indem das Wort genusinkonsistent („Gott – sie“) gebraucht wird, bei den Lesevorschlägen zum Gottesnamen wird – wie es in der Einleitung ausdrücklich heißt – mit der Tradition gebrochen, insofern die Wiedergabe mit „der Herr / der HERR“ aufgegeben wird. Was ist davon zu halten?
Fortschreibung statt Übersetzung
Mich überzeugen die angeführten Gründe nicht. Es wird u.a. mit dem Verweis auf die jüdische Tradition argumentiert. Dabei fällt allerdings auf, dass ausgerechnet jene jüdische Tradition übergangen wird, die für die christliche Tradition bestimmend wurde: die Wiedergabe des Gottesnamens JHWH mit kyrios „Herr“ in der Septuaginta. In dieser Tradition steht auch das Neue Testament. So dürfte der eigentliche Grund, das Wort „Herr“ als Wiedergabe von JHWH zu meiden, darin liegen, Aspekte von „Autorität und Herrschaft“ von Gott fernzuhalten. Das wird in der Einleitung (18) auch angedeutet, leider aber nicht begründet. Das ist problematisch.
Mose darf Gott zwar nicht mehr als „mein Herr“, wohl jedoch als „meine Herrin“ anreden (Ex 4,10.13). Ist die Herrin weniger autoritär als der Herr? Noch problematischer wird es, wenn das Wort kyrios im Neuen Testament umschreibend umgangen wird. Dadurch gerät das subtile biblische Sprachgefüge aus dem Lot. So darf Jesus offensichtlich nicht mehr „Herr“ genannt werden, selbst wenn Maria von Magdala dies nach Joh 20,18 getan hat: „Ich habe den Herrn (ton kyrion) gesehen“ wird zu „Ich habe Jesus den Lebendigen gesehen“. Hier kann nicht mehr von Übersetzung gesprochen werden. Der Text wird einfach umgeschrieben. Die „Übersetzung“ wimmelt von derartigen Eintragungen und Ergänzungen. Statt „das er unseren Vätern verheißen hat, Abraham und seinen Nachkommen auf ewig“ (EÜ) heißt es „wie sie es unseren Vorfahren zugesagt hatte, Sara und Abraham und ihren Nachkommen für alle Zeit“ (Lk 1,55). Die Hinzufügung von „Sara“ ist gut gemeint, steht aber nicht im Text. Aus Gründen der „Geschlechtergerechtigkeit“ wird Sara hinzugefügt. Hätte man aus Gründen sozialer Gerechtigkeit nicht auch noch Hagar, Saras Magd (oder Sklavin), hinzufügen und mit Rücksicht auf den interreligiösen Dialog unter den Nachkommen (Abrahams und Hagars) auch noch Ismael sichtbar machen müssen? Was hier praktiziert wird, ist keine Übersetzung, sondern eine Fortschreibung. Mit diesem Phänomen sind wir aus der Text- und Überlieferungsgeschichte der Bibel sehr wohl vertraut. Viele Texte – besonders die des Alten Testaments – sind über Jahrzehnte und Jahrhunderte hin angewachsen. Dieser Prozess kam – grob gesprochen – mit der Kanonisierung zum Abschluss. Danach beginnt die Phase der Kommentierung. Der Text gilt als unantastbar. Durch Kommentierung wird er lebendig gehalten.
Bibel in gerechter Sprache versucht, in die Phase der produktiven Textentstehung einzugreifen. Der vorgegebene Text wird in eine durch eine spezifische Diskussionslage („Geschlechtergerechtigkeit, soziale Gerechtigkeit, Gerechtigkeit gegenüber dem Judentum“) geprägte Lebenswelt hinein fortgeschrieben.
Interpretation statt Erweiterung
Das Verdienst von Bibel in gerechter Sprache liegt meines Erachtens darin, dass hier eine Not zur Sprache kommt, die von vielen, die in Theologie und Kirche Verantwortung tragen, überhaupt nicht wahrgenommen wird. Das ist schon sehr viel. Der von Bibel in gerechter Sprache eingeschlagene Weg, die Not zu beheben, ist allerdings ein Irrweg. Es wäre zu fragen, ob er nicht auch Folge einer Bibelwissenschaft ist, die die großen hermeneutischen Diskussionen ihrer eigenen Geschichte nicht mehr kennt und versteht. Die Bibel ist eine historisch und kulturell gewordene, hochgradig geprägte Gestalt. Noch vor wenigen Jahren sah man in der Rückkehr zu einer als weitgehend abgeschlossen angesehenen historischen Ursprungsbedeutung biblischer Texte einen Weg der Befreiung von einer lebensfremd gewordenen Tradition. Viele haben es in der Zeit des „Bibelfrühlings“ so erfahren, und das ist dankbar anzuerkennen. Inzwischen nimmt man aber wieder in aller Deutlichkeit die Grenzen des Ursprünglichen wahr. Diese Grenzen werden zu Recht als problematisch angesehen. Das war in der Tradition nicht anders.
Doch die Tradition hatte ein hoch differenziertes Verfahren der Schriftinterpretation entwickelt, dem es gelang, die Grenzen des Textes als Wink des Heiligen Geistes zu verstehen, in die Tiefe zu gehen. So öffnete sich eine zweite, geistige Ebene des Verstehens, die nicht mehr bei der Intention des historischen Autors stehen blieb, sondern weiter ging und nach der intentio auctoris, der Intention des Urhebers, der Intention des Heiligen Geistes fragte. In der Neuzeit hat man das geistige Schriftverständnis als nicht textgemäß verworfen. Nun steht man vor den Grenzen der historischen Wahrheit und ist enttäuscht. Durch Erweiterungen der Textgrenzen wird versucht, der Not zu entkommen. Doch nicht der Text bedarf der Erweiterung, sondern das methodisch-hermeneutische Repertoire seiner Interpretation. Das wäre ein Weg, dem Anliegen von Bibel in gerechter Sprache, insofern es berechtigt ist, nachzugehen.
Fazit
Hinsichtlich der angestrebten Geschlechtergerechtigkeit sind bei Bibel in gerechter Sprache zwei Problemfelder zu unterscheiden. Das eine betrifft die Geschlechtergerechtigkeit im Hinblick auf die Benennung von Menschen. Hier steht die Übersetzung in der noch relativ jungen, etwa dreißigjährigen Tradition feministischer Linguistik. Manches halte ich für akzeptabel und anregend, vieles für übertrieben und falsch. Das zweite Problemfeld betrifft die Geschlechtergerechtigkeit im Hinblick auf Gott. Dieses Problem ist alt. Im Grunde geht es um den biblischen Anthropomorphismus. Dieser wird unter gender-Aspekt kritisch betrachtet und zu heilen versucht. Das Anliegen ist berechtigt, gehört aber nicht in die Übersetzung, sondern in die Auslegung der Schrift. Die in der Übersetzung vorgeschlagenen Lösungen zerstören die subtile Sprachgestalt der Bibel. Zudem bleiben sie dem Anthropomorphismus verhaftet. Dieser nimmt nur eine zeitgemäßere Gestalt an.
Ludger Schwienhorst-Schönberger (2007)
Quelle: Katholisches Bibelwerk e.V. Stuttgart, Biblische Bücherschau 2008.