Weston W. Fields
The Dead Sea Scrolls
A full history. Volume I
Leiden: Brill 2009
592 Seiten, €78,00
ISBN 978-90-04-17581-5
Weston Fields ist seit 1991 Direktor der Dead Sea Scrolls Fundation und hat als solcher in den vergangenen beiden Jahrzehnten sehr eng mit den Herausgebern der offiziellen Ausgabe der Handschriften vom Toten Meer zusammengearbeitet. Bereits 1999 begann er das Projekt, dessen erster Teil nun veröffentlich worden ist, und dessen Ziel es ist alle noch lebenden Wissenschaftler und Protagonisten der „ersten Stunden“ aufzusuchen und zu interviewen. Er traf unzählige Menschen, die auf ganz unterschiedliche Weise seit den 1950er Jahren die Geschichte der Entdeckung, des Ankaufs und der Veröffentlichung der Handschriften beeinflusst und mitbestimmt haben. Als Ergebnis dieser Tätigkeit liefert er mit dem vorliegenden Buch ein außerordentliches Werk, das wie kein anderes Licht in die Geschichte jener Menschen bringt, die von Beginn der ersten Entdeckungen an für die Handschriften vom Toten Meer zuständig waren.
Der erste Band des zweiteilig konzipierten Werkes widmet sich der Zeit von 1947 bis 1960, beginnend mit dem Fund der ersten Handschriften. 1960 war ein entscheidendes Jahr, da von da an Herausgeber und Verantwortliche des archäologischen Museums Palästina gezwungen waren, Sponsoren zu gewinnen, wollten sie ihre Tätigkeit weiter finanzieren.
Vf. rekonstruiert nach Augenzeugenberichten die damaligen Ereignisse. Und er lässt die Protagonisten von damals selbst zur Sprache kommen. Oftmals zitiert er sie wörtlich oder gibt ihren Briefverkehr wieder. Auf dieser Weise entsteht für den Leser der Eindruck, er erfahre die faszinierende Geschichte der Dead Sea Scrolls unmittelbar aus dem Mund deren Entdecker und Erforscher. Wie kein anderer Autor vor ihm liefert Vf. dabei völlig unbekannte Details und Informationen, die bis dato nur wenigen Insidern bekannt waren. Es wird nicht eine rekonstruierte Geschichte beliebig nacherzählt, sondern das Vergangene auf der Basis von historischen Dokumente dokumentiert, welche am Ende des Buches – in Form von Endnoten – auch für den Leser transparent gemacht werden. Das Buch ist also nicht als populärwissenschaftliche Produktion einzustufen, sondern als geschichtswissenschaftliches Werk, das –methodisch sauber – die Geschichte der Handschriften erleuchtet.
Dabei wird nicht nur schriftliches Material – Briefe, Tagebücher und Aufzeichnungen von Telefongesprächen –aufgearbeitet, sondern auch vielfältiges Bildmaterial präsentiert. 60 Jahre alte Fotographien haben ebenso Eingang in das beeindruckende Oeuvre gefunden, wie zeitgenossische Abbildungen der Protagonisten und der Schriftrollen.
Mit Spannung erwartet nun die internationale Forschungsgemeinschaft den zweiten Teilband, für Qumran-Forscher aber auch für jene ein unverzichtbares Werk sein wird, die an diesem faszinierenden Kapitel der Bibel- und Archäologieforschung Interesse haben.
Vf. liefert ein ausgeglichenes Bild von den ersten Tagen der Qumran-Forschung und rückt die ersten – oft heftig kritisierten – Herausgeber der Schriften von Höhle 4 in ein besseres Licht. Sie werden dargestellt, als das, was sie sind, ganz konkrete Menschen mit ihren Stärken und Schwächen, denen man allein aufgrund einer Einschätzung ihrer Arbeit – deren Umgang gerade am Beginn von kaum jemandem eingeordnet worden war – nicht gerecht werden kann. Die Biographien dieser Menschen sind von den Entdeckungen am Toten Meer entscheidend mitgeschrieben worden. Einerseits wurde das Leben dieser jungen Wissenschaftler entscheidend durch die Funde geprägt, andererseits haben sie eine entscheidende Rolle bei der Veröffentlichung und Entzifferung der Rollen gespielt. Die Protagonisten der ersten Stunde, die in der Literatur manchmal idealisiert manchmal verteufelt worden sind, erscheinen nun – dank der Arbeit von Fields – in einem ganz anderen Licht. Es waren hochqualifizierte Forscher, die sich in einem Wechselbad der Gefühle bewegt haben müssen. Sie lebten den Traum eines jeden Wissenschaftlers; etwas Großartiges und Unbekanntes erforschen zu dürfen. Dennoch versuchten sie ein normales Leben weiter zu führen, wenngleich dieses nicht mehr dasselbe sein konnte wie vor der Entdeckung der Handschriften. Das Buch beschreibt nicht nur die moderne Geschichte der Handschriften, sondern schreibt auch eine Geschichte von Erfolg und Scheitern. Ein durchaus faszinierendes Moment.
Geschichtsschreibung ist von der Auswahl der darzustellenden Ereignisse abhängig und natürlich trifft Vf. diesbezüglich Entscheidungen bzw. kann und will dem Leser lange nicht das gesamte von ihm gesammelte Material anvertrauen. Dennoch verfällt er nicht dem Geschichten-Erzählen, was unter Umstände auch tendenziös sein könnte, sondern schöpft aus der Fülle seines reichhaltigen Quellenmaterials. Protagonisten kommen selbst zu Wort, eine neue, zum Teil überraschende Gewichtung der Ereignisse rund um die Herausgabe der Schriften, die Ausgrabungen in Kirbeth Qumran und die Menschen, die dafür Verantwortung trugen, kristallisiert sich heraus. Besonders interessant etwa erscheint die Gestalt von Lankaster Harding, dem man ansonsten wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird und der nun als eine der wichtigsten Persönlichkeiten dieser ersten Jahre hervortritt. Das Buch verdient mit Sicherheit das Prädikat „lesenswert“, ist dabei schlicht gehalten und macht neugierig auf mehr. Die Dead Sea Scrolls und ihre Geschichte haben Alt- und Neutestamentliche Bibelwissenschaft, aber auch Judaistik und Archäologie unvergleichlich beeinflusst. Vf. erzählt diese Geschichte neu, er erzählt sie spannend und mitreißend. Man darf jedenfalls auf den zweiten Band erwartungsvoll gespannt sein.
Simone Paganini (2011)
© www.biblische-buecherschau.de 2011
Katholisches Bibelwerk e.V. Stuttgart