Elija-Traditionen im Markusevangelium

Buchvorstellung - 10.02.2011

Johannes Majoros-Danowski
Elija im Markusevangelium
Ein Buch im Kontext des Judentums
(BWANT, 180)

Stuttgart: Kohlhammer 2008
284 Seiten, €39,00
ISBN 978-3-17-020438-6

J. Majoros-Danowski untersucht in seiner bei Klaus Wengst in Bochum entstandenen Dissertation die Gestalt, Bedeutung und literarische Funktion der Elija-Traditionen im Markusevangelium. Dabei versteht er „die Aussagen über Elija nicht als mehr oder weniger zufällige Aufnahme von umlaufenden Traditionen (…), sondern als Teil einer umfangreichen schriftgelehrten Diskussion um diesen Propheten“ (23) und verortet das Mk damit konsequent im jüdischen Kontext. Dementsprechend sieht Majoros-Danowski im Autor des Mk einen „schriftgelehrte[n] Jude[n] (und Jesusanhänger)“ (36), der z.B. auch mit den aramäischen Targumen und ihren Auslegungstraditionen, also den z.T. bereits auf das 1. Jh. n. Chr. zurückgehenden kommentierenden Übersetzungen ersttestamentlicher Schriften für den synagogalen Gebrauch, vertraut war. Dies versucht Majoros-Danowski u.a. mit Parallelen zwischen dem Jesajatargum und dem Mk nachzuweisen (37f).

Als Gesamtergebnis seiner Untersuchungen sieht Majoros-Danowski im Unterschied zur überwiegenden Forschungsmeinung nicht nur die mk Erzählungen über Johannes den Täufer, sondern auch über Jesus selbst typologisch von Elija-Traditionen geprägt: „Vom ersten Auftreten bis zum Lebensende speist sich die Gestaltung der Biografie Jesu aus der Elijas. Ortsangaben und Reiserouten der Elijaerzählung werden für kleinere und größere Abschnitte des Markusevangeliums fruchtbar gemacht, so etwa für die Reise in phönizische Syrien oder die große Reise vom hohen Norden nach Jerusalem. Offen bleibt dabei, inwieweit die Erinnerungen an historische Begebenheiten die Auswahl von Abschnitten der Elijaerzählung beeinflussen oder umgekehrt Lücken in der historischen Erinnerung kreativ durch geografische Motive der Elijaerzählung geschlossen werden“ (243). Dabei habe der Autor des Mk, so Majoros-Danowski, durch die bewusste Aufnahme oder Auslassung bestimmter Aspekte des zeitgenössischen Elija-Bildes auch das von ihm gezeichnete Jesusbild gezielt gestaltet: Traditionen vom gewaltsamen Eifer Elijas habe der Evangelist beispielsweise ausgeblendet und auch „nur wenige Wunder Elijas der Elijaerzählung verarbeitet. Ein größeres Interesse hat der Verfasser an Abschnitten, in denen erzählt wird, wie Elija verfolgt wird und flieht, um schließlich gestärkt zurückzukehren. Der Verfasser empfiehlt seinen Leserinnen und Lesern, von öffentlichen Bekenntnissen abzusehen und sich nicht zu Martyrien hinreißen zu lassen. Nach dem Vorbild der Elijaerzählung rät er im Falle von Verfolgung zu Rückzug und Flucht. Umgekehrt solle jedoch niemand durch Distanzierungen im Stich gelassen werden. In diesem Fall gelte es, sich – mit dem Mut Elijas – zum leidenden Messias Jesus zu bekennen“ (243f). Für diese Zusammenhänge führt Majoros-Danowski den Begriff „biografisch-typologische Haggada“ ein. Im Mk werden nach Majoros-Danowski jedoch nicht nur Elijatraditionen, sondern auch Mose-, David-, Elischa- und Jona-Überlieferungen verarbeitet und im Stile biografischtypologischer Haggadot für die Jesuserzählung fruchtbar gemacht (244f).

Einige tragende Pfeiler an Majoros-Danowskis Argumentation sind nicht neu:
Verschiedene ältere und jüngere Einzelstudien und Kommentare haben bereits zahlreiche Bezüge zwischen Elija-Traditionen und beispielsweise den Jüngerberufungen Jesu hergestellt sowie die expliziten Erwähnungen Elijas im Mk untersucht. Neu sind jedoch die Differenzierung und Präzision verschiedener Einzelanalysen, die Herausarbeitung der postulierten Elija-Jesus-Typologie sowie der Versuch, diese Aspekte des Mk im Kontext biblisch-jüdischer Schriftgelehrsamkeit des 1. Jh.s n. Chr. zu verorten. Wesentliche Aspekte dieser Thesen stehen in Gegensatz zu den sonst überwiegenden Forschungsmeinungen, dass das Mk eher in einem Milieu entstanden sei, in dem auch Heidenchristen eine wichtige Rolle spielen und dass im Mk primär Johannes der Täufer dem Elija typologisch gegenübergestellt werde. Für das Problem der sich überschneidenden und damit z.T. widersprüchlichen Identifizierungen zwischen Elija, Johannes und Jesus bietet Majoros-Danowski ein aus der Ethnologie entliehenes Modell „asymetrischer Identitätsaussagen“ als Lösung an, „die nur unter Annahme einer dreistelligen Beziehung [nämlich unter Einbezug der Gottesbeziehung, D.H.] verständlich sind. Johannes ‚ist’ Elija in Bezug auf Gott, aber Elija ist nicht Johannes. Jesus ‚ist’ Elija in Bezug auf Gott, aber Elija ist nicht Jesus. Jesus ‚ist’ Johannes in Bezug auf Gott, aber Johannes ist nicht Jesus“ (184f).

Bei den von Majoros-Danowski näher untersuchten Abschnitten des Mk (Mk 1,1-15 wird exemplarisch besonders ausführlich bearbeitet, Mk 1,16-20; 6,14-16 und 8,27-30; 7,24-30; 9,2-13; 10,35-45; 14,32-41; 15,33-39 wesentlich kürzer) diskutiert der Autor jeweils zunächst den historischen, dann den biblischen (inkl. frühjüdischen) und schliesslich den markinischen Kontext des jeweiligen Textes. Beim Buchkontext innerhalb des Mk greift er u.a. auf das Strukturen- und Aktantenmodells nach A. Greimas zurück.

Für die Herausarbeitung der postulierten Elija-Jesus-Typologie selbst stellt Majoros-Danowski den untersuchten Abschnitten des Mk u.a. Texte aus den Elija-Erzählungen der Königsbücher gegenüber und konstatiert jeweils literarische, thematische und geografische Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten. Hier hätte ich mir – bei allen anregenden Beobachtungen im Detail – eine vertiefte methodischhermeneutische Diskussion über die Chancen und Grenzen von Intertextualität gewünscht, besonders dort, wo es sich bei den postulierten Bezügen um recht häufige und allgemeine Verben, wenig spezifische Formulierungen oder relativ zwangsläufige Orts- und Reiseangaben handelt.

Ausserhalb der mehrheitlichen Forschungsmeinung liegen die weit reichenden Schlussfolgerungen, die Majoros-Danowski aus seinen Untersuchungen für den Entstehungskontext des Mk zieht: Zeitlich setzt er das Mk mit Hinweis auf postulierte Anspielungen auf Ereignisse in Judäa und dem vorderen Orient „bereits vor dem Beginn des jüdischen Freiheitskampfes, wahrscheinlich um das Jahr 60 n. Chr.“, an (25). Für diese These führt er – auf erklärtermassen relativ schwacher Quellenbasis – als weiteres Argument an: „Mit der von mir vermuteten Abfassungszeit wird verständlich, warum sich der Verfasser des Markusevangeliums noch positiv auf Elija beziehen konnte. Nach dem jüdischen Freiheitskampf der Jahre 66 bis 70 n. Chr. und der vermutlichen Vorbildfunktion Elijas für die Gruppe der ‚Zeloten’ wäre dies nicht mehr so einfach möglich“ (241). Für den Abfassungsort des Mk hält Majoros- Danowski es mit Blick auf die Verklärungsszene, für deren (literarische) Lokalisierung nach Mk 8,27 sich der Hermon als geografisch nächstliegender Berg empfiehlt, und demnach „[a]ufgrund der zentralen Stellung des Hermons im Aufbau des Markusevangeliums und seiner ihm zugesprochenen Dignität als Offenbarungsort … für wahrscheinlich, dass das Buch in örtlicher Nähe desselben abgefasst wurde: in Batanäa oder im nördlichen Galiläa“ (203). Dabei weist Majoros-Danowski jedoch die Argumente für eine Entstehung weiter im Westen des Römischen Reiches oder in Rom selbst relativ pauschal zurück und diskutiert, soweit ich sehe, beispielsweise die zahlreichen Latinismen im Mk, die eine wichtige Stütze dieser Vermutung bilden, nicht.

Zusammenfassend wünsche ich Majoros-Danowskis Buch, dass es gerade wegen seiner z.T. überraschenden Thesen intensiv diskutiert und in seiner Tragfähigkeit für die Einzelanalysen sowie für die Gesamtinterpretation des Mk geprüft wird. Vermutlich werden sich nicht alle Thesen auf Dauer halten lassen. Doch seine Studie bietet viele anregende Beobachtungen, um sich vertieft mit den jüdischen Kontexten des Mk und seines Verfassers auseinanderzusetzen. Und dass die noch von J. Gnilka vertretene These, das Mk sei „für die Heidenchristen des Westens“ verfasst worden, allzu sehr vereinfacht (jedenfalls dann, wenn man „heidenchristlich“ als weitgehende Vernachlässigung oder gar Abgrenzung von selbstverständlichen jüdisch-judenchristlichen Wurzeln versteht), das legen ja schon die zwar leicht distanzierten, aber offenbar immer noch genügend relevanten Diskussionen um Sabbatgebote, Reinheitsfragen und andere Aspekte der Halacha in Mk 2, Mk 7 u.ö. nahe und ist dementsprechend in der neueren Forschung zu Gunsten der Hypothese einer aus Juden- und Heidenchristen gemischt zusammengesetzten mk Gemeinde aufgegeben worden.

Detlef Hecking (2011)

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