Frage nach Menschen im Alten Testament

Buchvorstellung - 19.02.2011

Christian Frevel (Hg.)
Biblische Anthropologie
Neue Einsichten aus dem Alten Testament
(Quaestiones Disputatae, 237)

Freiburg: Herder 2010
460 Seiten, € 36,00
ISBN 978-3-451-02237-1 Pick It!

Der Sammelband bietet 18 Beiträge, zum Großteil aus dem Bereich des AT, aber auch aus NT und Systematik, die die Frage der biblischen Anthropologie aus verschiedensten Blickwinkeln beleuchten. Die Artikel gehen auf Vorträge bei der Jahrestagung der Katholischen Deutschsprachigen Alttestame

Christian Frevel führt zunächst in den Stand der Forschung ein und betont angesichts aktueller Fragen (insbesondere der Kenntnisse von Evolutionsbiologie und Neurowissenschaften, der Debatten um Gentechnik und Anfang und Ende des Lebens und eines demographischen Wandels hin zu einer „alten“ Gesellschaft) die Notwendigkeit und Relevanz einer erneuerten biblischen Anthropologie. Diese sei weder einheitlich noch könne sie direkte Antworten auf heutige Herausforderungen liefern, aber sie leiste einen Beitrag zu Antwortversuchen. Eine biblische Anthropologie, so Frevel, steht bleibend in der Spannung von historischer, die den spezifischen Kontext herausarbeitet, und theologischer Anthropologie, die Konstanten aufzuzeigen sucht.

Bernd Janowski erörtert seinen Ansatz einer konstellativen Anthropologie, die gekennzeichnet ist durch Aspektivität und Konnektivität sowie durch den Zusammenhang von Körperbild und Sozialstruktur, und konkretisiert diesen an drei Themen bzw. Texten: der Entsprechung der Geschlechter, der Anerkennung des Anderen, dem Gegenüber von Gott und Mensch.

Thomas Staubli geht der Rechtfertigung des Menschen vor Gott nach, die er als Berechtigung eines Menschen, vor Gottes Angesicht stehen zu dürfen, versteht. Er unterscheidet vier Grundtypen der Rechtfertigung im AT und betont ihre kultische Dimension und ihren Facettenreichtum, der sich durch zahlreiche Überschneidungen ergibt.

Maria Häusl untersucht Körperbilder und Körperkonzepte im AT. Sie streicht mit den Kulturwissenschaften die historische und kulturelle Bedingtheit dieser heraus und stellt danach Körperbilder des Lebensanfangs sowie das Bild des Körpers der Stadtfrau Zion, in dem Individual- und Gesellschaftskörper verknüpft erscheinen, eingehender dar.

Ludger Schwienhorst-Schönberger greift die antike Vorstellung des Agonismus für eine Deutung des Buches Kohelet auf, das diese Vorstellung in Verbindung mit der Wirklichkeit Gottes neu interpretiert.

Barbara Schmitz geht den Vorstellungen von Freiheit im AT nach, die immer geprägt sind von einem In-Beziehung-Stehen (v.a. Freilassung von Schuldsklaven, Befreiung aus Ägypten). Freiheit wird durch Gott ermöglicht, der dem Menschen Entscheidung und Verantwortung zumutet (Gen 2-3). In diesem Kontext interpretiert sie auch die Erzählung über die konkurrierenden Prophetien in 1 Kön 22.

Michael Konkel untersucht die Biographie des Propheten Ezechiel, der ganz Sprachrohr Gottes ist, während seine Persönlichkeit vollkommen ausgelöscht wird (Verstummungsmotiv). Ezechiel erscheint als Teil des zur Umkehr unfähigen Volkes Israel, dem er aber zugleich als Beispiel des von Gott neu erschaffenen Menschen gegenübergestellt wird.

Frank-Lothar Hossfeld zeigt anhand der Davidisierung des Psalters die Bedeutung der Lebensgeschichte Davids als anthropologisches Modell für den Psalter auf.

Ulrich Berges analysiert die Bedeutung des Sehens und Hörens im Jesajabuch im Hinblick auf die Aufgabe des Gottesknechtes. Der Aufruf zum Hören und das Sehen einer Vision (Jes 1) stehen am Anfang, der Verstockungsauftrag (Jes 6) bezieht sich gleichfalls auf Sehen und Hören. Jes 28-35 entfaltet die Wirksamkeit und die Aufhebung der Verstockung. Auf diese Motive greift Jes 40-55 zurück, um das Hören und Sehen des Gottesknechtes darzustellen.

Susanne Gillmayr-Bucher legt ausgehend von der Bedeutung der Kommunikation im AT die Darstellung von Emotionen, die einerseits das Innenleben der Betroffenen reflektieren, andererseits wesentlich soziale und kommunikative Phänomene sind, dar.

Simone Paganini stellt Beobachtungen zum Kranksein und zu Konstruktionen von Krankheit im AT an, die ein wichtiges Element einer alttestamentlichen Anthropologie darstellen, aber auch zur Theodizeefrage führen.

Franz Sedlmeier fragt ausgehend von Ps 8 nach Wert und Würde des Menschen. Die von ihm analysierten Texte aus Ijob zeigen, dass im AT an der „unveräußerliche[n] Würde mitten im abgründigen Leid“ (310) festgehalten wird, die von Anfang an besteht und im persönlichen Gottesbezug gründet.

Johannes Schnocks beschreibt Vorstellungen vom Übergang vom Leben zum Tod, aber auch von Tod zum Leben. Die Sphäre des Todes umgreift einen viel breiteren Bedeutungsbereich als nur den biologischen Tod. Sterben wird weithin als Beziehungsabbruch verstanden, es gibt aber auch Texte, die dies in Frage stellen und von einer bleibenden sozialen Eingebundenheit nach dem Tod ausgehen. Konzepte des Übergangs vom Tod zum Leben finden sich in den Totenerweckungen Elijas und Elischas, werden als Aufwachen vom Schlaf oder, stärker theologisch akzentuiert, als Neuschöpfung oder Rettung durch Gott, ausgedrückt.

Heinz-Josef Fabry und seine MitarbeiterInnen widmen sich der Anthropologie in qumranischen Texten, der Zwei-Geister-Lehre, Texten aus Hodajot und den Sabbatopferliedern. Sie sprechen primär über die erwählten Gemeindemitglieder und weisen ein starkes Element von Prädestination auf, das aber Raum für freie Entscheidung lässt.

Hubert Irsigler untersucht den Zusammenhang von Gottes- und Menschenbildern in Gen 2-3; Gen 1; Texten aus Ijob und Psalmen. Hermeneutischer Rahmen aller anthropologischen Aussagen des AT sind Gottesbezüge als Korrelationsverhältnisse. Die Frage nach dem Menschen wird stets vor dem Hintergrund der Gottesbeziehung gestellt und schöpfungstheologisch entfaltet.

Thomas Söding konstatiert einerseits die alttestamentliche Basis neutestamentlicher Anthropologie, andererseits auch neutestamentliche Charakteristika (eschatologische Zeiterfahrung, zentrale Bedeutung des Glaubens, Bedeutung der Ekklesia). Anthropologie und Christologie stehen bei Paulus in einem dialektischen Zusammenhang. Beispielhaft dafür interpretiert Söding die Adam-Christus-Parallele in 1 Kor 15 und Röm 5 vor dem Hintergrund von Gen 1-3.

Erwin Dirscherls Beitrag betrachtet aus systematischer Perspektive im Anschluss an E. Levinas das Gebet in seiner Bedeutung für den Zusammenhang von Anthropologie und Theologie im christlich-jüdischen Dialog.

Die vielfältigen Beiträge gehen der Frage nach Menschen im AT aus sehr unterschiedlichen Perspektiven und anhand verschiedener biblischer Texte nach. Sie werfen selbst wichtige Fragen für die weitere Forschung auf und weisen Wege, die eine aktuelle biblische Anthropologie zu beschreiten hat.

Agnethe Siquans (2010)

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