Entwurf einer "Bibel in gerechter Sprache"

Buchvorstellung - 28.11.2009

Ulrike Bail u.a. (Hg.)
Bibel in gerechter Sprache

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2006
2400 Seiten, 24,95€.
ISBN 978-3-579-05500-8

„Vieles und Großes ist uns durch die Tora, die prophetischen Schriften und die anderen Bücher, die ihnen folgen, gegeben worden. Dafür – das heißt für seine Bildung und Weisheit – ist Israel zu loben. Doch sollen nicht nur diejenigen, die diese Schriften lesen können, Erkenntnis gewinnen, sondern die Lernfreudigen sollen auch imstande sein anderen zu nützen, und zwar in Wort und Schrift. … Ich lade euch nun also ein, mit Wohlwollen und Aufmerksamkeit das Gelesene aufzunehmen und dort Nachsicht zu üben, wo wir trotz intensiven Bemühens bei der Übersetzung vielleicht doch nicht die genaue Ausdrucksweise getroffen haben. Denn das, was bei uns auf Hebräisch gesagt wird, hat ja nicht mehr genau dieselbe Kraft, wenn es in eine andere Sprache übertragen wird. Das gilt nicht nur für das vorliegende Buch, sondern auch die Übersetzungen der Tora, der prophetischen Schriften und der übrigen Bücher unterscheiden sich nicht unwesentlich von den Fassungen in der Originalsprache.“

Diese Zeilen stehen nicht im Werbeprospekt der „Bibel in gerechter Sprache“, sondern im Buch des Jesus Ben Sirach, das für katholische Christinnen und Christen zu den Schriften der Bibel zählt. Der Enkel des Jesus Sirach teilt mit, dass er im 38. Jahr der Regierungszeit des Königs Euergetes (vermutlich im Jahr 132 v. Chr.), nach Ägypten kam und dort so beeindruckt war vom Bemühen um hohe Bildung in seiner Umgebung, dass er sich entschlossen hätte, das Buch seines Großvaters ins Griechische zu übersetzen. Er hat mit seinem Prolog ein kostbares kleines Dokument der Reflexion auf Theorie und Praxis des Übersetzens hinterlassen, das auch für das, was im Prozess des Entstehens der „Bibel in gerechter Sprache“ leitend war, treffende Gesichtspunkte benennt.


Gerechtigkeit – gegenüber dem Judentum

„Vieles und Großes ist uns durch die Tora, die prophetischen Schriften und die anderen Bücher, die ihnen folgen, gegeben worden“ – zuerst einmal wird dankbar anerkannt, welch ein Schatz mit den Heiligen Schriften auf uns gekommen ist. Das ist sicherlich auch das oberste Motiv, der Beweggrund, der alle, die im Herausgabekreis tätig waren, alle, die im wissenschaftlichen Beirat unterstützend dazugehörten, und alle 52 Übersetzerinnen und Übersetzer gleichermaßen bestimmt hat: Uns ist ein kostbares Vermächtnis gegeben, an dem wir uns freuen und aus dem wir unsere Identität beziehen.
Gleich im ersten Satz ist auch schon ein Signal zu finden für eines der Prinzipien, das bei der Übersetzung leitend war und das Stichwort „Gerechtigkeit“ konkret füllt: Dieser neuen Bibelübersetzung war es nicht zuletzt darum zu tun, eine Sprache zu finden, die sich um eine Wahrnehmung des Selbstverständnisses des Judentums bemüht, eine Sprache, die Respekt vor der eigenen, eigenständigen Glaubensgeschichte des Judentums ausdrückt und die eine Tradition der christlichen Judenfeindschaft oder doch zumindest einer christlichen Überheblichkeit gegenüber dem Judentum aufbrechen möchte. Das Signal dafür ist die Wiedergabe des griechischen Wortes „Nomos“ durch das hebräische Wort „Tora“. Damit hat Angelika Strotmann, die Übersetzerin des Sirachbuches, zunächst einmal den hebräischen Originaltext, der Ben Sira mit dem Werk seines Großvaters vorlag, sichtbar gemacht. Gleichzeitig aber geschieht dadurch eine wichtige und intendierte Bedeutungsverschiebung. Die Standard-Übersetzung von „Nomos“ durch „Gesetz“, die sprachlich korrekt wäre, wird vermieden, weil sie bei Christen und Christinnen gleichsam eine ganze Assoziationskette abruft, die mit einer Abwertung des Judentums verbunden ist: den Gegensatz von Gesetz und Gnade bzw. von Gesetz und Evangelium, von Altem Bund und Neuem Bund, von Jesus Christus als dem, der das Gesetz des Judentums kritisiert, ja in großen Teilen außer Kraft gesetzt hätte.
Demgegenüber hält die Bezeichnung „Tora“ fest, dass es um das Gesamt der Weisungen geht, die das Judentum auf Mose bzw. auf die Gottesgabe am Sinai zurückführt, und dass diese Weisungen nach jüdischem Selbstverständnis als Weisungen für ein Leben vor Gottes Angesicht dienen.
Die „Bibel in gerechter Sprache“ bietet eigene Hilfestellungen, solche Überlegungen hinter den Übersetzungen zu entdecken und nachzuvollziehen. Am Innenrand des Bibeltextes stehen Verweiswörter aus dem griechischen bzw. hebräischen Urtext (am Anfang des Sirachbuches z.B. „nomos“), die im Anhang in einem Glossar zusammengefasst sind und erläutert werden. An den dort gebotenen über 300 Stichwörtern lässt sich auch für solche, die der biblischen Ursprachen nicht mächtig sind, nachvollziehen, welche zentralen Begriffe der Ursprachen mit welchen deutschen Wörtern wiedergegeben wurden, welches Bedeutungsspektrum das jeweilige ursprachliche Wort abdeckt und welche theologischen Motive die jeweilige Übersetzung geleitet haben. In diesem Sinne will das Glossar zu eigener theologisch-biblischer Arbeit anregen und sie unterstützen.


Jüdischer und christlicher Kanon

Im ersten Satz des Ben Sira ist aber nun nicht vom Nomos bzw. von der Tora ganz allgemein als der Gottesweisung die Rede, sondern es geht ganz konkret um den Pentateuch, die fünf Bücher des Mose, die Martin Buber in seiner Übersetzung der Bibel ja als „Bücher der Weisung“ bezeichnet hat. Jesus Sirach nennt die Tora neben den „prophetischen Schriften“ und den „anderen Büchern“ als die drei Teile, die sich offenbar schon zu seiner Zeit zur Heiligen Schrift fügten.
Das führt zu einem zweiten Punkt, dem Aufbau der „Bibel in gerechter Sprache“. Sie folgt nämlich in der Reihenfolge der Schriften zunächst der jüdischen Tradition, wenn sie nach dem Pentateuch die Bücher Josua bis 2 Könige und die prophetischen Schriften bringt, also die jüdischen „Vorderen und Hinteren Propheten“, dann die anderen Schriften, auch hier in der Folge der Hebräischen Bibel (so dass z.B. die „fünf Rollen“ Hoheslied, Rut, Klagelieder, Kohelet und Ester zusammenstehen), danach die sog. deuterokanonischen bzw. apokryphen Schriften und anschließend das Neue Testament. Das ist zwar für Leserinnen und Leser, die ihre christliche Bibel gut kennen, erst einmal gewöhnungsbedürftig, kann aber auch noch einmal sensibel dafür machen, dass die Reihenfolge der biblischen Bücher nicht beliebig ist, sondern sowohl im Judentum als auch im Christentum Spiegel einer bestimmten Theologie ist.
In der jüdischen Bibel, die mit dem Satz schließt „Jede/r unter euch soll (nach Jerusalem) hinaufziehen“ (2 Chr 36,23), ist es die Zentrierung der Hoffnungen Israels auf die Heilige Stadt, die zum Ausdruck kommt, in der christlichen Bibel, in der das Alte Testament mit einem Abschnitt über den Propheten Elija schließt (Mal 3,22-24), geht es um den (prophetischen) Vorausblick auf Johannes den Täufer in den Evangelien. Wenn die „Bibel in gerechter Sprache“ in dem Teil, der Judentum und Christentum gemeinsam ist, die jüdische Folge der Heiligen Schriften aufnimmt, könnte das zum Beispiel den Blick darauf lenken, dass auch die christliche Bibel in ihrer letzten Schrift, der Offenbarung des Johannes, mit einem großartigen Bild der Heiligen Stadt schließt, dem vom Himmel herabsteigenden Jerusalem (vgl. Offb 21-22). Theologische Überlegungen zu Jerusalem als Heiliger Stadt bekommen so einen ganz wichtigen Stellenwert für eine christliche Theologie im Gespräch mit dem Judentum (und darüber hinaus mit dem Islam).


„Lernfreudige“ – zum Projekt der „Bibel in gerechter Sprache“

Im zweiten Satz bei Ben Sira werden die Gelehrten, die eine Übersetzung anfertigen können, „Lernfreudige“ genannt. Diese Bezeichnung trifft auf das gesamte Team derer, die an der „Bibel in gerechter Sprache“ mitgearbeitet haben, zu: Ihnen allen war es ein Anliegen, „anderen zu nützen“, die Heilige Schrift so weiterzugeben, dass sie in der heutigen Zeit Menschen anspricht.
Angestoßen durch die Bibelarbeiten auf den Evangelischen Kirchentagen des letzten Jahrzehnts, für die jeweils bereits eigene Übersetzungen „in gerechter Sprache“ angefertigt wurden, entstand bei den dafür verantwortlichen Theologinnen und Theologen der Gedanke, diese Impulse für eine Neuübersetzung der ganzen Bibel fruchtbar zu machen. „Gerechte Sprache“ bemisst sich dabei an mehreren Kriterien. Es geht zum einen darum, die nach der Shoah gewachsene christliche Sensibilität gegenüber dem Judentum auszudrücken und die seit den 70er Jahren zunehmend gewachsene Sensibilität in Geschlechterfragen aufzunehmen. Zum anderen möchte die Übersetzung die Ergebnisse der sozialgeschichtlichen Exegese, die sich besonders um die Profilierung der kleinen Leute in der Welt der Bibel bemüht, sichtbar werden lassen. Ganz grundsätzlich und damit verbunden will die Übersetzung natürlich dem Bibeltext in seinen Originalsprachen gerecht werden und strebt zudem eine gut verständliche zeitgemäße Sprache an, die insbesondere auch bei den großen theologischen Begriffen neue und eigene Wege sucht.
Der Herausgabekreis ist rein evangelisch. In der Anfangsphase des Projektes hat es noch einmal grundsätzliche Diskussionen über mögliche und realistische interkonfessionelle, interreligiöse und internationale Erweiterungen gegeben. Unter anderem war ein Ergebnis dieser frühen Diskussionen, dass ein wissenschaftlicher Beirat gebildet wurde, in dem neben zwei katholischen Mitgliedern, dem praktischen Theologen Norbert Mette und der Alttestamentlerin Irmtraud Fischer, mit Micha Brumlik auch ein jüdisches Mitglied zu finden ist. Ein weiteres Ergebnis dieser Diskussion war, dass nicht nur der Kanon der Schriften, die die Reformatoren als verbindlich übernommen haben, übersetzt werden sollte, sondern man auch die bei Luther sogenannten Apokryphen hinzunahm, so dass auch alle weiteren Schriften, die zum katholischen Kanon der Bibel gehören, eingeschlossen sind.
Von vornherein haben die Herausgeber und Herausgeberinnen signalisiert, dass sie, in guter Tradition der feministischen Theologie, ökumenische Offenheit pflegen und praktizieren wollen. Dass es vor allem ein evangelisches Projekt ist und geblieben ist, macht dennoch Sinn, weil für eine neue Bibelübersetzung im Bereich der aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen vielleicht noch einmal eine andere Dringlichkeit und Notwendigkeit vorlag als für den katholischen Raum. Ich spiele damit auf die entscheidende Rolle der Heiligen Schrift für die Reformation an, aber auch auf die Bedeutung, die die Bibelübersetzung Martin Luthers für den deutschen protestantischen Sprachraum gewonnen hat. Luther, so wird man ohne Übertreibung sagen können, ist über seine Bibelübersetzung nicht nur sprachschöpferisch tätig geworden, sondern identitätsstiftend für die evangelische Kirche, die von Deutschland ihren Ausgang nahm. Aus dieser hohen Bedeutung Luthers gleichsam als Kirchenvater der Reformation und seiner Übersetzung als identitätsstiftendes Dokument bis heute ist es wohl auch erklärbar, dass im Vorfeld und kurz nach Erscheinen der Bibel in gerechter Sprache aus bestimmten protestantischen Kreisen eine scharfe, zuweilen schmollende, manchmal fast hämische Kritik zu hören war.
Dahinter stehen brisante theologische Fragen, die eine offene und faire Diskussion nötig hätten: Wie steht es mit dem Hören auf das Judentum denn wirklich? Wie steht es mit der Geschlechtergerechtigkeit denn konkret? Wie verstehen die Kirchen ihren Auftrag zu sozialer Gerechtigkeit in der Welt? Vielleicht aber auch ganz grundsätzlich: was bedeutet eigentlich „sola scriptura”, die Schrift allein?

An der Bibel in gerechter Sprache haben insgesamt 52 Übersetzerinnen und Übersetzer mitgearbeitet, mit einer überaus deutlichen Mehrheit der Frauen, 42 der 52, unter ihnen neun katholische Bibelwissenschaftlerinnen – damit ist diese Bibelübersetzung die erste, die überhaupt in erkennbarer Zahl Frauen beteiligt.
Hinzuweisen ist auch auf die Phase der Praxiserprobungen, die vorgesehen war und an der sich Gemeinden nach Wunsch beteiligen konnten, um die übersetzten Texte in Gottesdiensten oder Bibelarbeiten auf den Prüfstand zu bringen. Die zahlreichen Arbeitstreffen des Herausgabekreises und vor allem auch der Untergruppen der Übersetzenden wurden aus Spenden finanziert, die von einer außerordentlich aktiven und effektiven Spendenfrau, Luise Metzler, eingeworben wurden. Dadurch war auch ein beträchtlicher Druckkostenzuschuss zur ersten Auflage möglich, der den Preis dieser Auflage sehr niedrig hielt. Das Getragenwerden der Arbeit durch Spenden drückt noch einmal sichtbar aus, wie breit das Projekt auch bereits im Vorfeld akzeptiert wurde. Die Evangelische Kirche von Hessen und Nassau hat für fünf Jahre mit Hanne Köhler eine Pfarrerin als Projekt-Koordinatorin freigestellt und damit erneut ihren Willen und ihre Bereitschaft bekräftigt, den Anliegen einer Theologie, die sich um Geschlechtergerechtigkeit und um Sensibilität gegenüber dem Judentum bemüht, Raum zu geben.


„Übersetzen“

Jesus Sirach weiß, wovon er spricht, wenn er darum bittet, „Nachsicht zu üben, wo wir trotz intensiven Bemühens bei der Übersetzung vielleicht doch nicht die genaue Ausdrucksweise getroffen haben“. Der Übergang eines Textes oder einer Rede in eine andere Sprache bedeutet immer auch eine Verschiebung, so sehr man sich auch um Nähe zum Original bemühen mag. Selbst wenn man sich um eine möglichst wortgetreue Übersetzung bemüht, muss man sich eben doch der Worte und der Grammatikstrukturen der anderen Sprache bedienen – weder aber ist die Grammatik noch die Wortsemantik zwischen zwei Sprachen einfach so kompatibel, dass dabei annähernd das Gleiche herauskommt.
Das Spektrum der Überlegungen, die nötig sind, wenn man übersetzt, und erst recht, wenn man die Bibel übersetzt, einen so wirkungsvoll gewordenen Text, einen Text gleichzeitig, der in Judentum wie Christentum in hohen Ehren gehalten wird, lässt sich an einem kleinen Wortspiel erläutern, das Jürgen Ebach, einer der Herausgeber der „Bibel in gerechter Sprache“, ins Spiel gebracht hat (1): überSETZEN ist immer auch ÜBERsetzen – Hinüberbringen des Textsinns in eine andere Sprache und damit auf ein anderes Terrain des Verstandenwerdens, in eine andere Welt, in der er verstanden werden soll. Dieses Bild des ÜBERsetzens, das ja das einer Fähre zwischen zwei Ufern einspielt, hat noch eine weitere Dimension, die beim Übersetzen eine Rolle spielen kann: denke ich von der Seite des ursprachlichen Textes her, werde ich mich beim Übersetzen insbesondere darum bemühen, Anwältin des Textes zu sein; denke ich von der Zielsprache her, könnte mein Akzent eher darauf liegen, diesen Text den neuen Hörern und Leserinnen möglichst verständlich zu machen. Diese beiden Interessen müssen nicht einmal gegenläufig sein, sondern es kann gerade Anwaltschaft für den Text bedeuten, ihn möglichst in die neue Sprache bzw. Welt zu inkulturieren. In jedem Fall gilt deshalb: wer eine gute ÜberSETZERIN oder ÜBERsetzerin werden will, sollte den Imperativ befolgen: ÜBersetzen! Das meint in einer ersten Bedeutung zunächst einmal das Ersetzen der ursprachlichen Wendungen, Begriffe und Strukturen in die Zielsprache – ein nie leichtes Unternehmen, das die Beherrschung der Sprache voraussetzt. ÜB ersetzen – das meint in einer zweiten Annäherung aber auch weitergehend die schwierige Aufgabe, den Sinn des ursprachlichen Textes möglichst über-zu-setzen, sodass dieser Text selbst die Chance bekommt, gehört zu werden. Und drittens ist gemeint, dass man möglicherweise immer wieder nachbessern muss, wenn man feststellt, dass ein Ausdruck, den man zur Übersetzung gewählt hat, nicht trifft, dass er vielleicht in einem bestimmten Kontext verstanden wird, in einem anderen wieder nicht.
An dieser Stelle sei angemerkt, dass zur Zeit im deutschsprachigen Raum zwei weitere Bibelübersetzungsprojekte, genauer zwei Revisionsprojekte laufen, die Revision der (reformierten) Zürcher Bibel und die Revision der (katholischen) Einheitsübersetzung. Hier geht es wirklich nur um Revisionen, also Korrekturen des vorliegenden übersetzten Textes, aber auch dies ist ja bereits Signal dafür, dass Übersetzungen ihre Zeit und ihren Ort haben und veränderungsbedürftig sind. Für die „Bibel in gerechter Sprache“ spricht, dass sie im Vorwort ihre Übersetzungskriterien offen legt und diskutierbar macht, wie auch im internen Arbeitsprozess zwischen den Übersetzern und Übersetzerinnen bereits angeregte Debatten über die angemessenen Kriterien geführt worden sind. Es blieb im Endeffekt auch eine recht große Bandbreite von Akzentsetzungen nebeneinander stehen. Man findet zum Beispiel Übersetzungen, die die Option für eine inklusive Sprache eher vorsichtig umsetzen, neben solchen, die kreativ neue Wege suchen, und Übersetzungen, die sich eher an der Veranschaulichung des historischen Kontextes orientieren, stehen neben solchen, die stärker die Aktualisierung für die Gegenwart suchen.


Gerechtigkeit – gegenüber den Geschlechtern

Vor welche Herausforderungen sich die Übersetzer und Übersetzerinnen im Hinblick auf die Option für eine geschlechtergerechte Sprache sahen, sei beispielhaft an einem kleinen Abschnitt aus dem 44. Kapitel des Jeremiabuches erläutert. Jeremia richtet ein Gotteswort an all die, die aus Judäa und Jerusalem nach Ägypten geflohen sind und nun hier neben dem einen Gott allein auch andere Gottheiten verehren. Auf der einen Seite hatte Maria Häusl, die Übersetzerin, sich auseinander zu setzen mit Bezeichnungen von Kollektiven, die eine Mehrzahl von männlichen und weiblichen Menschen umfassen, im hebräischen Text aber mit einem maskulinen Plural benannt sind, etwa „alle Judäer“ in Ägypten in Jer 44,1 (natürlich sind Frauen und Kinder „mitgemeint“) oder die „Knechte, die Propheten“ in 44,4 (angesichts einer historischen Wirklichkeit, dergemäß es auch im Alten Israel Prophetinnen gab), oder die Rede von den „Sünden der Väter“ in 44,9, die sicherlich auf die gesamte Familie zu beziehen ist. In solchen Fällen war zu entscheiden, wie diese Ausdrücke so wiederzugeben seien, dass die hinter dem maskulinen Plural „versteckten“ Frauen sichtbar werden können. Auf der anderen Seite aber ist Jer 44 ein Text, der selbst bereits an bestimmten Stellen von Frauen neben Männern spricht, wenn er etwa die „Sünden der Könige von Juda“ und „Sünden ihrer Frauen“ nennt (Jer 44,9) oder androht, dass aus Juda ausgerottet werden „Mann und Frau, Kind und Säugling“ (44,7). Wenn dieser Wechsel im biblischen Text zwischen „genderblinden“ und „gendersensiblen“ Formulierungen nicht verwischt werden soll, können die „Judäer“ nicht einfach mit „Judäer und Judäerinnen“ und die „Propheten“ nicht einfach mit „Propheten und Prophetinnen“ wiedergegeben werden. Maria Häusl hat sich dafür entschieden, Jeremia zu „allen Leuten aus Juda“ sprechen zu lassen, die „Propheten“ mit „prophetisch begabte Menschen“ wiederzugeben und die „Sünden der Väter“ als die „Sünden der Eltern“ zu verstehen. So hat sie die Option für eine geschlechtergerechte Übersetzung umgesetzt, die hinter den maskulinen Formen das „ganze Israel“ sichtbar macht, und ist gleichzeitig den Differenzierungen des hebräischen Textes gerecht geworden.


Der eine Name und die vielen Anrufungen Gottes

Ein zentrales Anliegen der „Bibel in gerechter Sprache“ ist es, ein neues Gespür im Umgang mit dem Namen Gottes zu wecken. Für Christen und Christinnen ist, zumal vermittelt über das Kreuzzeichen, die Anrufung Gottes als Vater, Sohn und Heiliger Geist selbstverständlich. Darüber hinaus benutzen viele Christen und Christinnen die Bezeichnung „Gott“ gleichsam wie einen Namen; sie glauben ja an den Einzigen, an die eine Gottheit, die diese Bezeichnung verdient. Eine christliche Theologie, die sich auf ihre jüdischen Wurzeln besinnt, wird jedoch daran erinnert und daran erinnern, dass Israels Gott einen Namen hat, der dem Mose am brennenden Dornbusch offenbart wird (vgl. Ex 3,13-15), zunächst in erklärend umschreibender Weise („Ich bin, der ich bin“), dann auch in der Form, die die hebräische Bibel mit den vier Konsonanten „JHWH“ schreibt. Nach allem, was wir wissen, wurde dieser Name JHWH schon zur Zeit Jesu nicht mehr ausgesprochen, sondern ersetzt durch Platzhalter-Bezeichnungen. Die beiden geläufigsten, Adonaj im Hebräischen und Kyrios im Griechischen, umfassen die Bedeutung des Herr-Seins Gottes und werden in den deutschsprachigen Bibeln auch durchweg mit „der Herr“ wiedergegeben. Die „Bibel in gerechter Sprache“ sucht zum einen der jüdischen Theologie zu entsprechen, die die Heiligkeit des Namens Gottes dadurch wahren möchte, dass man ihn nicht ausspricht; sie sucht zum anderen aber auch die Verfestigung einer Vorstellung Gottes aufzubrechen, die mit dem deutschen Wort „Herr“ gegeben ist. „Herr“ ist ja heutzutage die Anrede für jeden Mann, transportiert aber nach wie vor die Bedeutung von Herrschaft=Dominanz, sodass mit der Benennung Gottes als des „Herrn“ eine unheilige Allianz von Männlichkeit, Herrschaft und Göttlichkeit stabilisiert zu werden droht. Die „Bibel in gerechter Sprache“ schlägt für die Übersetzung des Gottesnamens JHWH ein Spektrum von unterschiedlichen Bezeichnungen vor, die aus der jüdischen und/oder christlichen Tradition gewonnen sind, also tragende Aspekte des biblischen Gottes benennen. So lautet etwa der Anfang von Ps 23 in der Einheitsübersetzung „Der Herr ist mein Hirte; nichts wird mir fehlen“; in der „Bibel in gerechter Sprache“ liest sich der Vers so: „Adonaj weidet mich; mir fehlt es an nichts“. Ps 28,1 hat in der Einheitsübersetzung den Wortlaut „Zu Dir rufe ich, Herr, mein Fels“; in der „Bibel in gerechter Sprache“ steht „Ewiger“ anstelle des „Herrn“.
„Der Ewige“ ist eine durch die Bibelübersetzung von Moses Mendelssohn im Judentum geläufig gewordene Gottesbezeichnung; die „Bibel in gerechter Sprache“ greift sie auf ebenso wie auch das von Martin Buber eingeführte, mit Kapitälchen geschriebene „ER“. Daneben steht in manchen Übersetzungen, etwa der des Buches Exodus, auch das Pronomen „SIE“. Dieser Übersetzung deshalb eine Sexualisierung der Gottesvorstellung vorzuwerfen gleicht der Strategie, den Boten mit der Unglücksnachricht für die Botschaft, die er überbringen muss, zu bestrafen: durch die abwechselnde Wiedergabe des Gottesnamens mit ER bzw. SIE wird der unbezweifelbar männliche Bezug des von Buber benutzten Ersatznamens ER möglicherweise allererst bewusst, aber zugleich doch auch aufgebrochen. Dieser Intention, Verfestigungen, die mit bestimmten Gottesbezeichnungen einhergehen, aufzubrechen, dient auch die Textleiste, die über jede Seite des Bibeltextes mit gerader Seitenzahl läuft, aus dem Gesamtspektrum der für den Gottes-Namen benutzten Bezeichnungen eine Auswahl bietet und dazu anregen möchte, diese mitzuhören oder an die Stelle der gewählten Bezeichnung zu setzen.
Eine besondere Herausforderung stellt bei diesem herrschaftskritischen Ansatz die neutestamentliche Bezeichnung Jesu als des Kyrios dar. An einigen zentralen Stellen bleibt das Bekenntnis zu Jesus als dem „Herrn“ in der traditionellen Form stehen, wie etwa in 2 Kor 4,5: „Wir verkünden ja nicht uns selbst, sondern dass Jesus Christus Herr ist“. Häufig aber wird dieses Grundbekenntnis verbal wiedergegeben; so in Röm 1,4: „Jesus, der Messias, dem wir gehören, eingesetzt als Gottes Sohn in Vollmacht …“. Dieser Versuch, nicht immer nur „Herr, Herr“ zu sagen (vgl. Mt 7,21), soll, so der Kommentar im Glossar (S. 2368), „die traditionelle Sprachform variieren und auch auf diese Weise die Tradition lebendig halten, damit die bleibende Aussage ‚Herr ist Jesus Christus’ umso kräftiger hervortreten kann“.

Marie-Theres Wacker (2007)

(1) Jürgen Ebach, Gerechte Bibelübersetzung – ein Projekt, in:
Christof Hardmeier u.a. (Hg.), Freiheit und Recht (FS F.
Crüsemann), Gütersloh 2003, 15-41. Vgl. zum Projekt auch
Martin Leutzsch, Dimensionen gerechter Bibelübersetzung, in:
Sonderdruck zum Projekt „Bibel in gerechter Sprache“, Gütersloh
2002, 5-32.

© www.biblische-buecherschau.de 2008
Katholisches Bibelwerk e.V. Stuttgart