Ernst Vielhaber
Alten Wein in neue Schläuche!
Biblische Sprachbilder für heute gedeutet
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2010
272 S. €19,95
ISBN 978-3-579-08098-7
In den synoptischen Evangelien warnt Jesus davor, neuen Wein in alte Schläuche zu füllen, denn der neue Wein könnte die alten Schläuche zerreißen (Mk 2,22par.). Wie aber verhält es sich mit dem umgekehrten Vorgehen? Ernst Vielhaber, evangelischer Pfarrer im Ruhestand und ehemaliges Mitglied der Landessynode der Evangelisch¬lutherischen Landeskirche Hannover, greift genau diese offene Stelle auf. Viele biblische Sprachbilder, die sich im Laufe des frühen Christentums auch zu Bekenntnisformen und -formeln entwickelt haben, erscheinen ihm nicht mehr zeitgemäß, quasi »im alten Schlauch«.
Die Arbeitshypothese seines Buches lautet, dass die alten Sprachbilder, die dem antiken dreistöckigen Weltbild verhaftet sind, in der nachaufklärerischen naturwissenschaftlichen Postmoderne nicht mehr verständlich sind und deshalb aktualisiert werden müssen, um dem heutigen Menschen den Zugang zur biblischen Botschaft zu ermöglichen.
Gelingt die selbstgestellte Aufgabe, unverständlich gewordene Sprachbilder zu aktualisieren, biblische Auffassungen aus dem Antiken ins gegenwärtige Weltbild zu übertragen und Retro-und Projektionen als Existenzdeutungen zu entziffern?
Letztlich geht es Vielhaber nicht darum, die biblischen Sprachbilder oder frühchristlichen Symbola umzuschreiben oder zu ersetzen, sondern aktualisierend zu deuten. Sein Ausgangspunkt ist dabei das Wort vom Weinschlauch: »Den Vergleich, mit dem Jesus einen religiösen Brauch für überholt erklärt hat, kann man auch auf religiöse Begriffe und Vorstellungen anwenden, die einer weit entfernten Zeit entstammen: Wenn sie nach zweitausend und mehr Jahren für manche Menschen nicht mehr dazu taugen, das, was Jesus und die biblischen Autoren sagen wollten, verständlich auszudrücken, muss man für sie auch alten Wein in neue Schläuche umfüllen, also die immer noch gültigen Wahrheiten aus dem hinderlich gewordenen alten Vorstellungsrahmen herauslösen und in gegenwärtige Vorstellungenübertragen« (S.41). Die Übertragungsleistung ist dabei eine mehrfache, da Vielhaber nicht nur den sprachlich-literarischen und zeitlich-sozialgeschichtlichen Kontext berücksichtigen will, sondern auch das Textwachstum und die Frage, welche Dicta historisch sind (bzw. welcher Überlieferungsstufe sie jeweils angehören könnten) mit berücksichtigt.
Das ist ein anspruchsvolles Programm und bereits in seiner Anlage nicht ohne Widerhaken. So fordert Vielhaber in seinem hermeneutisch angelegten Ausblick: »Jesus ist Mensch, darum hat er auch teil an der Kultur seiner Zeit. Aus dieser zeitgebundenen Kultur muss der Christ Jesu Auffassungen herauslösen und sie in die ebenso zeitgebundene Kultur der eigenen Gegenwart und in die eigene Situation übertragen« (S.238). Es sei also zunächst zwischen der Botschaft selbst und ihrer kontextbedingten sprachlichen Einkleidung zu unterscheiden. Welche Probleme sich der Versuch einer Trennung des vermeintlich Zeitbedingten vom Überzeitlichen einkauft, ist in der Auslegungsgeschichte vielfach zu beobachten und steht immer unter dem Vorbehalt, dass eine fremde Enzyklopädie nie vollständig eingeholt werden kann. Das vorgestellte Bild der Antike und die daraus abgeleiteten Erkenntnisse bleiben notwendig ein zeitbedingtes Konstrukt.
Die zweite Differenzierung, historisch wahrscheinlichere Stellen unwahrscheinlicheren vorzuziehen und nur das, was mit ausreichender Wahrscheinlichkeit als authentisches Jesuswort gilt, als solches zu zitieren, ist nicht minder problematisch. Wie komplex die historische Rückfrage ist, zeigt das Ringen der Leben-Jesu-Forschung noch immer: die Positionen derer, die annehmen, die ipsissima vox Jesu ließe sich aufgrund bestimmter Kriterien herausarbeiten und jener, die die Rückfrage hinter den Text aufgrund kulturwissenschaftlicher Erwägungen für höchst problematisch halten, sind diametral entgegengesetzt, ohne dass sich ein Konsens abzeichnet. Zehn Fallstudien bilden den Hauptteil von Vielhabers Ausführungen. Die einzelnen Abschnitte, unterschiedlich lang und ausführlich, widmen sich den Sprachbildern Auferstehung, Christus/in Christus, Ewigkeit/ewiges Leben, (Heiliger) Geist/im Geist/geistlich, Gerecht/Gerechtigkeit, Gott, Himmel/Himmelfahrt, Reich Gottes, Sohn Gottes und Wiederkunft. Sie sind jeweils in sich geschlossen und schlagen den Bogen von der Herleitung der jeweiligen Sprachform aus Altem und Neuem Testament über die Wirkungsgeschichte hin zur Aktualisierung, die meist auch eine deutende Neuübertragung biblischer Texte umfasst.
Die einzelnen Schritte sind dabei sorgfältig und auf der Basis neuerer Fachliteratur erarbeitet, dennoch nicht immer überzeugend. Die hermeneutischen Vorüberlegungen in Form des zweifachen Filters stehen der Aktualisierung mitunter im Wege und nehmen den biblischen Ausdrücken einiges von ihrer Sprachkraft und Wirkmächtigkeit. So sind Auferstehung in Herrlichkeit, geistlich und in Christus mit den Begriffen das Leben bekommt Glanz in Gott, im Glauben oder von Christus gepackt stark eingeschränkt. Auch ließe sich lang diskutieren, ob die Verlagerung des ewigen Lebens in ein wahres oder sinnvolles Leben in dieser Welt nicht an der eigentlichen Aussage des biblischen Sprachbildes vorbeigeht. Hier stellt sich durchaus die Frage, ob der Glaube an ein ewiges Leben über den irdischen Zeitraum hinaus wirklich nur ein Phänomen der Antike ist, das der aufgeklärte Mensch in jedem Fall aufgeben muss oder ob nicht eher persönliche Erfahrungen mit einer – zugegebenermaßen häufig recht problematischen – Jenseitsorientierung, die die Katechese und Predigt über einen langen Zeitraum dominiert hat, die Aktualisierung stimulieren. Ein solches Ringen mit der Tradition ist an vielen Stellen des Buches zu spüren und wird diejenigen ansprechen, die ähnliche Fragen bewegen. Andere wiederum werden von der teils scharfen Positionierung irritiert sein.
Wenn Vielhaber von der Kirche fordert, »den Sätzen über die Wiederkunft Jesu und das Gericht jedoch, die in altkirchlichen Bekenntnissen stehen, sollte sie einen gebührenden Platz im Museum der Lehr-und Glaubensgeschichte geben« (S. 231), so lässt sich dies – ebenso wie die Überlegung den Titel Sohn Gottes im Zuge eines nachtheistischen Glaubensbildes aufzugeben – als Angriff auf und Loslösung von der Tradition sehen, der zum Widerspruch reizt. Damit aber wird möglicherweise eine große Chance vertan: Biblische Bilder in ihrer Wirkkraft zu verstehen und diese in ihrer Vielfalt für die aktuelle Situation fruchtbar zu machen.
Sandra Hübenthal
Quelle: Katholisches Bibelwerk e.V. Stuttgart, Biblische Bücherschau 5/2011