Basiswissen für den jüdisch-christlichen Dialog

Buchvorstellung - 20.06.2011

Hubert Frankemölle
Das jüdische Neue Testament und der christliche Glaube
Grundlagenwissen für den jüdisch-christlichen Dialog

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer. 2009
256 Seiten 27,00 €
ISBN 978-3-17-020870-4

Unter dem Titel „Das jüdische Neue Testament und der christliche Glaube“ legt Hubert Frankemölle nach seiner Emeritierung als Professor für Exegese des Neuen Testaments (2004) eine Publikation vor, die an sein Studienbuch „Frühjudentum und Urchristentum“ aus dem Jahr 2006 anknüpft und die sich erkennbar der langjährigen Erfahrung in der Lehre verdankt. Das Buch ist gefüllt mit einer Vielzahl an Themen, die klassischerweise in Werken der Einleitung in das NT (z. B. Gruppierungen im Judentum zur Zeit Jesu, der biblische Kanon etc.) oder in christologischen Monographien (z. B. jüdische Vorstellungen der Immanenz Gottes, Christologische Hoheitstitel etc.) erörtert werden.
 

Frankemölle nähert sich diesen Themen entlang seiner „Grundthese“, wonach die ntl. Texte „als genuin jüdische Schriften“ zu verstehen sind. Ebenso unterstreicht er mit Nachdruck die historische Tatsache, „dass Jesus von Nazareth Jude war“, was insbesondere nach 1945 „zu den Grunderkenntnissen der christlichen Kirchen“ zähle.

Frankemölle stellt seinem Buch eine Einführung (zusammen mit dem Vorwort) voran, in der er sich an einen breiten Leserkreis wendet und eine gewisse Aktualität in seine Untersuchung einflicht. Die Relevanz der Thematik für den christlich-jüdischen Dialog wird ebenso deutlich wie ihre hermeneutischen Konsequenzen für das Gesamtverständnis der Bibel („Wie soll man das Neue Testament lesen? Wie der Papst?“ S. 22-28). Insgesamt bietet er acht Hauptteile von recht unterschiedlichem Umfang. Zentral ist das sechste Kapitel, wo er gegen den (vermeintlichen) Anspruch der Singularität im Christentum in verschiedenen Anläufen herauszustellen versucht, dass beispielsweise der Glaube an die Auferstehung oder die Vorstellung vom stellvertretenden Leiden/Tod eines Einzelnen keine christlichen Spezifika darstellen. Im Judentum zur Zeit Jesu seien diese Glaubensinhalte bereits vorfindbar gewesen. In ähnlicher Weise bettet er auch die auf Jesus bezogenen Hoheitstitel (z. B. „Christus“, „Sohn Davids“ oder „Menschensohn“) in ihre biblische und außerbiblisch-jüdische (Philo von Alexandrien) Vorgeschichte ein. Es gelingt Frankemölle auf diese Weise, die durchgängige Treue Gottes in der einen Heilsgeschichte nachvollziehbar zu machen. Der neue Bund ist keine Aufkündigung des alten Bundes. Ohne die bleibend gültige Erwählungsgeschichte Israels würde die Kirche ihre Heilswurzel verlieren.

So sehr dieser Ansatz unverzichtbar ist für jedes sachgemäße Verständnis des Neuen Testamentes, so sehr enthalten manche Thesen auch die Gefahr der Überzeichnung. Dies geschieht m. E., wenn Frankemölle behauptet, das Christentum sei keine neue Religion. In dieser Sichtweise gerät zu sehr aus dem Blick, dass „Judentum“ sich nicht allein als eine Glaubensgemeinschaft, sondern zunächst als eine Volkszugehörigkeit definiert. Gerade dies ermöglicht es dem Judentum, in sich eine Vielzahl an Glaubensüberzeugungen zu integrieren. Man kann als Jude an die Auferstehung der Toten glauben oder auch nicht. Diese Unterschiede gab es zur Zeit Jesu (zwischen Sadduzäern und Pharisäern) bis in die Gegenwart. Das Neue des Christentums besteht aber doch gerade darin, dass die Zugehörigkeit zur Kirche aus dem Bekenntnis des gemeinsamen Glaubens stammt und dass diese Zugehörigkeit prinzipiell allen Menschen (vgl. Gal 3,28) offensteht. Darüber hinaus ist bei aller glaubensgeschichtlichen Vorprägung der christologischen Hoheitstitel dennoch (mit Frankemölle!) die Singularität des Ereignisses festzuhalten, dass diese Hoheitstitel als nachösterliches Geschehen im Sinne der „Identität mit einem Menschen“ über die historische Person des gekreuzigten Jesus von Nazareth ausgesagt und als göttliche Offenbarung geglaubt werden. Man kann dies als ein singuläres Ereignis im Judentum sehen, freilich eines, das vor die Entscheidung stellt und Wirkkraft über die Welt des Judentums hinaus hat (vgl. 1Kor 1,22-24).

Die Betonung der jüdischen Wurzeln des Christentums ist notwendig und unverzichtbar. Die Reduzierung des Christlichen auf eine Strömung im Judentum wird dem historischen Phänomen jedoch nicht gerecht. Zusammenfassend verdanken wir H. Frankmölle eine Vielzahl an Einsichten, die den jüdischen Ursprung des Neuen Testaments transparent werden lassen. Umso bedauerlicher ist es, dass der Lesefluss von auffällig vielen Druckfehlern und grammatikalischen Holprigkeiten erschwert wird. Nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen Verweise auf vornehmlich deutschsprachige Literatur ist es den Lesern jedoch möglich, die Themen zu vertiefen und auf diese Weise zusätzliche Grundlagen für den jüdisch-christlichen Dialog zu erwerben.

Christof Strüder

Quelle: Eulenfisch Literatur 4 (2011), Heft 1, S. 18f.