Wunder in wessen Namen?

Buchvorstellung - 12.06.2011

Klaus Berger
Der Wundertäter
Die Wahrheit über Jesus

Freiburg u .a.: Verlag Herder. 2010
276 Seiten 19,95 €
ISBN 978-3-451-33200-5

„Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind“ lässt Johann Wolfgang von Goethe den verzweifelten Faust, der sich am Rande des Suizids bewegt, sagen. Nach Klaus Berger sind die Wunder auch für die neuere Schultheologie vor allem ein Kind des Osterglaubens. Allerdings sind die Wunder diesem auf Ostern reduzierten Glauben eher ein Problemkind, und das mag daran liegen, dass die gesamte Schrift einer solchen Theologie eher frag- als glaubwürdig geworden ist. Berger selbst beschreitet in seinem Buch einen anderen Weg. Er wagt den Aufbruch zu jenen Sphären des (wissenschaftlich verantworteten) Glaubens, die Faust verwehrt blieben, und betont neu, dass die Wunder in der Botschaft Jesu „keine Fremdkörper“, sondern „ihre unmittelbare Verwirklichung“ darstellten.
 

Sie seien die „Umsetzung von Gottes Politik in Fakten“. Noch deutlicher: „Wer die Botschaft Jesu – historisch und systematisch gesehen – ohne seine Machttaten deuten möchte, hat nicht einmal die Hälfte verstanden“.

Was nun hat Berger denn verstanden? Der Leser darf zu Recht gespannt sein. Der Titel klingt vollmundig. Wer das Buch jedoch aufschlägt und liest, merkt schnell, dass Vorwürfe des „Fundamentalismus“ (Drewermann) und der „Sackgasse“ (Söding), von denen Berger berichtet, nicht greifen und der Verfasser umgekehrt mit viel Esprit den Leser zum Nachdenken bringt: „Ich selbst meine dagegen, dass diejenigen, die unsere Wirklichkeit gegen Wunder abdichten, sich eher fragen sollten, ob sie mit ihren vermeintlich abschließenden Instrumenten historischer Kritik der Herausforderung durch das Phänomen Wunder wirklich gewachsen sind“. Es kann für den Religionsunterricht wesentlich sein, sich mit Berger der Herausforderung durch die biblischen Wundergeschichten neu zu stellen, auch wenn sein Buch eher als Hintergrundlektüre denn als Unterrichtsmaterial geeignet ist.

Berger wehrt sich dagegen, „den Erdgeruch zu zerstören“, der den Wundern anhaftet, „eben damit nicht wieder alles, was Jesus ausmacht, nur reine Theorie ist“. An einer fundamentalistischen, am Buchstaben klebenden Lesart der Wundergeschichten liegt es Berger aber ebenfalls eindeutig nicht: „Es geht hier nicht einfach um ein Faktum, das neben andere Fakten zu legen wäre. Das wäre so, als wenn man ein Wäschestück neben anderen gut gefaltet und gebügelt im Schrank ablegt und verwahrt. Dann würde es einen nicht sonderlich berühren, weil man ohnehin ‚alles glaubt’“. Ich empfinde Berger als einen Anwalt des biblischen Textes, wenn er schreibt: „Sinn und Funktion ist vielmehr die bleibende Anfrage: Wie wäre es, wenn das stimmte, was hier berichtet wird? Hierbei geht es nicht um die Absicherung von Fakten, sondern um deren provokatorische Funktion.“ Sein Fazit: „Ein (mystisches) Faktum ist nicht dann gegeben, wenn man es erklären und – gegebenenfalls durch experimentelle Wiederholung – beweisen kann.“

Berger geht von einem Nebeneinander verschiedener „Regelkreise“ aus, wobei in jedem eigene Gesetzmäßigkeiten gelten. Die physikalische Welt, die der Werte, der Ästhetik und der mystischen Wirklichkeit Gottes können nicht einfach denselben Kriterien unterworfen werden. „Die Existenz von Schönheit liegt ‚auf der Hand‘, man muss sie nicht beweisen.“ Nicht die Frage, ob ein Wunder sein kann, war dem Autor des Bibeltextes wichtig, sondern die Legitimität, also die Frage, in wessen Namen ein Wunder geschehen ist. Aus dieser Perspektive wagt Berger einen neuen Zugang zu den Wundern Jesu. Er fasst sie von Anfang an als Taten auf, die über alle Theorie hinausgehen. Auf die neue Lehre Jesu folgt die neue Tat – nicht nur im Neuen Testament, sondern auch im Leben der Kirche: „Jede Eucharistiefeier ist die Erfüllung der vorangehenden Wortverkündigung.“ Berger bezeichnet Wunder als „ein Hineinstolpern in die Wirklichkeit Gottes“. Sein Buch ist eine Einladung an den Leser, mit hineinzustolpern.

Igna Kramp CJ

Quelle: Eulenfisch Literatur 4 (2011), Heft 1, S. 12f.