Nick Page
Die letzten Tage Jesu
Protokoll einer Hinrichtung
München: Pattloch 2011
400 S. €19,99
ISBN 978-3-629-02282-0
Der populärwissenschaftliche Band ist die deutschsprachige Fassung der englischen Originalausgabe, die unter dem Titel The Longest Week. The Truth About Jesus’ Last Days im Jahr 2009 im britischen Verlag Hodder & Stoughton erschienen ist. Dem bayrischen Pattloch-Verlag, in dem die deutschsprachige Fassung nun erschienen ist, bleibt hoch anzurechnen, dass er den Mut aufgebracht hat, im deutschen Titel auf das im Zusammenhang mit biblischen Sachbüchern inflationäre wie nervtötende Wort „Wahrheit“ verzichtet zu haben
Der allgemeine Wettlauf verschiedenster Sachbuchautoren um die „Wahrheit“ zu diesem oder jenem Thema hat in den letzten Jahren überhand genommen und lässt die Leserschaft erschöpft zurück – Pattlochs Entschleunigung tut gut. Vor kurzem ist bei Hodder & Stoughton auch das Folgewerk The Wrong Messiah: The Real Story of Jesus of Nazareth herausgekommen, das wohl ebenfalls in Bälde in deutscher Übersetzung zu haben sein wird; mal sehen, was Pattloch mit diesem Titel machen wird.
Der Verfasser, Nick Page, ist ein Bestseller-Sachbuchautor aus dem englischen Oxfordshire, der sich selbst u.a. als „nicht-lizensierter Historiker“ bezeichnet und mittlerweile mehr als 60 monographische Werke vorgelegt hat, darunter eine Vielzahl biblischer Sachbücher wie What Happened to the Ark of the Covenant (2007), The Bible Book: A User's Guide (2008) u.v.m. Im deutschen Sprachraum war er bislang durch seine beiden Bücher Bibelblatt. Der Weltbestseller in Schlagzeilen (im Echter-Verlag 1999) und Akte Qumran: was die Bibel verschweigt (im Echter-Verlag 2000) bekannt. Er edierte aber auch wissenschaftlich anspruchsvollere Werke wie die Neuauflage des Harper-Collins Atlas of Bible History, dessen Originalversion (1990) von keinem Geringerem als dem berühmten US-amerikanischen Bibelwissenschaftler und Archäologen James Pritchard gefertigt wurde.
Im vorliegenden Band rekonstruiert Nick Page die Ereignisse der letzten Tage Jesu vom Einzug in Jerusalem bis zu seinem Tod am Kreuz und darüber hinaus bis zur Entdeckung seines leeren Grabes. Dabei fokussiert er primär auf die historisch greifbaren oder rekonstruierbaren Daten und nicht auf die spirituelle Dimension des Geschehens. Das Protokoll einer Hinrichtung, wie es im Untertitel heißt, ist kein theologisches Buch und schon gar nicht spirituelle bzw. Anschauungsliteratur. Der Autor versucht vielmehr, die Leserschaft in vergleichsweise lockerer Sprache auf eine spannende Reise in die Vergangenheit mitzunehmen. Es will ein „Geschichtsbuch“ sein, darauf legt der Autor wert, auch wenn er sich aller damit verbundenen Probleme bewusst ist und diese auch explizit anspricht.
Er untersucht die Passionsgeschichten in den vier kanonischen Evangelien, deckt Unterschiede in den Erzählungen auf und versucht eine plausible Linie der Ereignisse zu rekonstruieren. Page benützt aber nicht nur die Evangelien, sondern auch zahlreiche andere antike Schriftquellen, so die Schriften des jüdischen Historikers Flavius Josephus und rabbinische wie patristische oder klassische pagane Literatur. Dabei zeichnet er gleichzeitig ein Gesamtbild des antiken Jerusalem und seiner pluralen Gesellschaft. Insbesondere entwirft er auch Charakterstudien der handelnden Personen, vom römischen Statthalter Pontius Pilatus, dem „Karrieristen“, bis zum jüdischen Hohepriester Kajaphas, dem „Zerissenen“. Und er zeichnet ein Bild der Jünger Jesu in einer Konfliktsituation, die völlig außer Kontrolle gerät, in einer heiligen Stadt zu einem hohen Fest mit tausenden Pilgern, die sich durch die engen Straßen wälzen, eine religiös aufgeladene Atmosphäre, alles zusammen eine explosive Mischung.
Page greift bei seiner Darstellung auf bibelwissenschaftliche und archäologische Forschungsergebnisse zurück. Für ein populärwissenschaftliches Buch ungewöhnlich ist der vergleichsweise ausführliche Anmerkungsapparat, mit dem Nick Page seine Aussagen belegt, sowie die Bibliographie, die zeigt, dass der Autor wesentliche wissenschaftliche Literatur für sein Buch herangezogen hat, Standardwerke wie auch Erträge der jüngeren Forschung. Den Band schließt sogar ein ausführliches Namen-und Sachregister und hat damit formal alles, was ein tatsächlich wissenschaftliches Werk braucht. Nur eben sehr locker und leicht geschrieben.
Man muss sich im Einzelnen nicht allen Schlussfolgerungen des Autors anschließen. Man gelangt beim Lesen des Buchesjedoch zur Überzeugung, dass er sich mit der Materie ernsthaft auseinandergesetzt hat und weiß, wovon er schreibt. Das Buch fesselt, bildet, unterhält – Infotainment im besten Sinne des Wortes – es ist allemal die Lektüre wert, zu Ostern und durch den Jahreskreis hindurch.
Friedrich Schipper
Quelle: Katholisches Bibelwerk e.V. Stuttgart, Biblische Bücherschau 4/2011