Auseinandersetzung des Judentums mit Jesus
Buchvorstellung - 24.05.2011
Walter Homolka
Jesus von Nazareth im Spiegel jüdischer Forschung
(Jüdische Miniaturen, 85)
Berlin: Hentrich & Hentrich 2009
88 S. €12,90
ISBN 978-3-941450-03-5
Der Rabbiner Walter Homolka zeichnet in einem kleinen Bändchen von nur 70 Seiten eine Geschichte der Auseinandersetzung des Judentums mit der Gestalt Jesus von Nazareth nach. Auf den ersten Seiten fasst er das Leben Jesu nach der neueren Forschung zusammen und beleuchtet dabei besonders seine jüdische Identität (9-16). Darauf folgt ein Kapitel über Jesusbilder im Judentum bis zur frühen Neuzeit, in dem Homolka die „Toledot Jeschu“, aber auch die Rolle Jesu im Talmud, rabbinische Polemik und christliche Zensur dieser Polemik behandelt (17-30).
Dann folgt ein verglichen mit den anderen Teilen eher längerer Teil über die Rolle jüdischer Gelehrter in der historischen Jesusforschung (31-62). Angestoßen von einer christlichen Neuorientierung an der historischen Person Jesu begannen auch jüdische Gelehrte diesem Menschen Jesus näher zu erforschen, vor allem aus dem Impuls heraus ohne Aufgabe der jüdischen Identität an der Gesellschaft teilhaben zu können (43). Homolka behandelt in diesem Kontext die jüdische Aufklärung und viele verschiedene bedeutende Beiträge jüdischer Gelehrter (Geiger, Baeck, Klausner, Ben-Chorin, Lapide, Ehrlich u.a.) bis in die heutige Zeit, die er jeweils in ihren geschichtlichen Kontext verortet.
Einen letzten Teil widmet er dann dem 2008 erschienenen Jesusbuch von Joseph Ratzinger und der darin weitgehend fehlenden Auseinandersetzung mit jüdischen Standpunkten und Gelehrten (einzige Ausnahme: Jacob Neusner) (63-72). Die gänzlich verschiedenen Perspektiven führen dabei notwendigerweise zu einer Kritik an der Hermeneutik Ratzingers. In einem kurzen Fazit fasst Homolka seine Ergebnisse zusammen (73f): Er konnte in diesem Büchlein aufzeigen, „dass die Wahrnehmung im Jesu um Judentum selbst eine spannende Entwicklung genommen hat: von Distanz und ängstlicher Abgrenzung zu vorsichtiger Auseinandersetzung, später sogar zur Heimholung Jesu mit apologetischer Absicht bis hin zu einer heute weitgehend geklärten selbstbewussten Position mit einem Bild von Jesus als einer Stimme in einem vielfältigen jüdischen Spektrum seiner Zeit. Die Ergebnisse jüdischer Forschung, vor allem seit dem 19. und 20. Jahrhundert, waren dafür verantwortlich.“
Insgesamt stellt das Buch interessante Fragen an die christliche Identität (vor allem mit Blick römisch-katholische Kirche), wie die Bedeutung Jesu als historische Person, aber auch den Umgang mit der jüdischen Identität im Christentum. Es bietet in aller gebotenen Kürze (wenn auch die Zeit vor der Aufklärung äußerst kurz gehalten wird) nicht nur eine interessante Zusammenschau jüdischer Positionen durch die Jahrhunderte, sondern gibt auch Anstoß zur Selbstreflexion und zur eigenen Auseinandersetzung mit dem jüdischen Bild Jesu.
Gertraud Harb
Quelle: Katholisches Bibelwerk e.V. Stuttgart, Biblische Bücherschau 4/2011