Theologie der Klagelieder

Buchvorstellung - 20.05.2011

Carmen Diller
Zwischen JHWH-Tag und neuer Hoffnung
Eine Exegese von Klagelieder 1
(ATS, 82)

St. Ottilien: EOS-Verlag 2007
596 S. €48,00
ISBN 978-3-8306-7306-4

Not und Anfechtung vor Gott artikulieren und für einen Neuanfang offen werden¬mit dieser Monographie liegt die bislang ausführlichste und reichhaltigste Forschungsarbeit zu Klgl 1 vor. Dabei folgt Verf.’in dem Methodenprogramm H. Irsiglers, der die Arbeit auch betreut hat. Die äußerst sorgfältige Textkritik führt zur Textgrundlage, der die Transkription nach der Biblia Hebraica transcripta Bd. 13 folgt (W. Richter).
 

Die Strukturanalyse führt über Wort-, Satz-und Textebene zur poetischen Gestaltung des Textes und dann weiter zu Textaufbau und Textfunktion, zu Fragen nach der geprägten Sprache und Gattung, nach inhaltlichen Motiven und Traditionen. Dabei achtet die Autorin immer wieder auf Übersichten, Tabellen, verdeutlichende Grafiken und verständliche Sprache. Divergierende Forschungspositionen werden sorgfältig abgewogen und Entscheidungen klar begründet. Alle einschlägige Literatur ist eingearbeitet, auch was wichtige altorientalische Parallelen betrifft (wobei sie differenziert eine eigenständige israelitische Stadtklage postuliert).

Besonders ertragreich ist die Bearbeitung der Gattungsfrage, der Poetologie und der Motiv-und Traditionsgeschichte. Hier wird die Dissertation zu einem aktuellen Nachschlagewerk für eine Vielzahl wichtiger Motive
(z.B. die weinende Gottheit, die Stadt als Frau, Jerusalem als Buhlerin…), die sich über das detaillierte Inhaltsverzeichnis gut auffinden lassen (wobei ein zusätzliches Stichwortregister gerade für diese Publikation sinnvoll gewesen wäre). Der Textvergleich zu Nah 3,1-7; Jes 47 und Jes 54 mit rund 140 Seiten bildet einen weiteren gelungenen Schwerpunkt. Von allgemeinem Interesse dürfte die anregende zusammenfassende Interpretation sein, die das Menschen-und Gottesbild von Klgl 1 darstellt.

Dabei geht es um die zentrale Frage der religiösen „Einordnung“ der Eroberung und Zerstörung Jerusalems: Wo war JHWH, als das Unheil geschah? Warum wollte er nicht helfen? Klgl 1 benutzt dazu die älteren Vorstellungen vom JHWH-Tag (bzw. den JHWH-Tagen) und der Zionstheologie. Der strafende, zornige und kriegerische Gott, der sich gegen sein eigenes Volk wendet, ist zugleich der gerechte und der einzig denkbare Gott (universaler Monotheismus), an den sich die Gläubigen wenden, um sich über ihre Gottesbeziehung nach der Katastrophe neu vergewissern zu können. Die Autorin zeigt sehr schön, wie mittels solcher Klagelieder im Verlauf möglicher Gottesdienste durch Identifikationsbildung und Aussprache auch der kritischen Anfragen, mit Schuldbekenntnis und Freispruch durch JHWH (und auch indirekt JHWHS durch die Gläubigen, Theodizee!), eine ritualisierte „Leidbewältigung“ geschieht und damit ein Neuanfang ermöglicht wird. Und dies ist eine Frohbotschaft für vergleichbare geschichtliche und persönliche Engführungen bis heute. Zu dieser Auseinandersetzung lädt Klgl 1 ein. Frau Diller sollte dieses wichtige bibeltheologische Thema in weiteren Publikationen verbreiten helfen.

Bernd Feininger (2011)

Quelle: Katholisches Bibelwerk e.V. Stuttgart, Biblische Bücherschau 4/2011