Boris Repschinski
Nicht aufzulösen, sondern zu erfüllen
Das jüdische Gesetz in den synoptischen Jesuserzählungen
(Forschung zur Bibel, 120)
Würzburg: Echter 2009
401 Seiten, € 42,00
ISBN 978-3-429-03151-0
Boris Repschinski widmet sich in seiner Habilitationsschrift einem sehr großen und weit diskutierten Themengebiet. Auf 400 Seiten versucht er die Haltung der drei synoptischen Evangelien zum jüdischen Gesetz näher zu erläutern und ihre Unterschiede herauszuarbeiten. Das angestrebte Ziel ist die Trennung der Religionen Judentum und Christentum näher zu untersuchen. Dazu verwendet er die „Neue Literarkritik“ und nimmt damit bewusst Abstand von Entstehungsmodellen und der Diskussion über die literarische Abhängigkeit der Evangelien untereinander (14).
Generell gliedert sich das Buch in fünf Abschnitte. In seiner Einführung legt er seine Methodik der „Neuen Literarkritik“ dar und erklärt seinen Ansatz der objektiven Textanalyse (15-45). In diesem Teil erläutert er auch einzelne Begriffe, die in den Evangelien für das jüdische Gesetz verwendet werden (45-55). Repschinski unterstreicht hier zu Recht die Pluralität des Umgangs und der Terminologie des Gesetzes im Judentum zur Zeit Jesu, beschränkt sich im christlichen Umgang mit dem Gesetz aber auf drei Begrifflichkeiten (Gesetz, Gebot, Mose).
In seinem Hauptteil widmet sich Repschinski ganz der Textanalyse der Evangelien und der Apostelgeschichte. Er startet jeweils mit einem hilfreichen Überblick über die Forschungsgeschichte zur jeweiligen Schrift. Danach geht er das Matthäus- (57-141), das Markus- (143-216) und das Lukasevangelium zusammen mit der Apostelgeschichte (217-350) Kapitel für Kapitel durch und befragt sie nach ihrem Verständnis und ihrem Umgang mit dem jüdischen Gesetz. Eine kurze Zusammenfassung ist der Ergebnisse ist schwer möglich, doch hat das jüdische Gesetz im Matthäusevangelium wenig überraschend den höchsten Stellenwert. Nach Repschinski hält Matthäus am Gesetz fest. Die Prophetie ist das hermeneutische Instrument der matthäischen Gesetzesinterpretation (139). Es kommt zu einer ethischen Umorientierung der Reinheitsgebote (137), doch kritisiert der kreative und autoritative Jesus des Matthäusevangeliums nicht das Gesetz selbst, sondern vor allem die Auslegung und Praxis der jüdischen Schriftgelehrten und Pharisäer (93-94).
Die folglich schwierig zu interpretierende Stelle Mt 23,2-3 versteht Repschinski in Bezug auf die Lehrtätigkeit und richterliche Tätigkeit der beiden Gruppen innerhalb der Synagoge (128-129). Repschinski vermutet, dass auch die Heiden der matthäischen Gemeinde beschnitten waren (141). Im Markusevangelium wird (besonders im Bezug auf die Reinheitsgebote) der Bruch zwischen Juden und Christen am ehesten spürbar (371). Lukas greift stark auf jüdische Traditionen zurück, hält jedoch von Beginn an eine gewisse Distanz zum Gesetz. Er gibt ein spannungsvolles Verhältnis wieder, wertet das Zeugnis der hebräischen Schriften aber als entscheidend, insofern es Auskunft über Jesus gibt (347). Doch haben die Beschneidung oder die Regeln zur kultischen Reinheit für Lukas keine Bedeutung mehr. „Die Uminterpretation des Gesetzes vom Handbuch für ethische Lebensweise und gesellschaftlich überprüfbare und einklagbare Ordnung in eine Prophezeiung der Heilstaten Gottes in Jesus und in den Gemeinden durch den Heiligen Geist hat zur Folge, dass große Teile des Gesetzes irrelevant werden.“ (348) Doch betrifft das nicht das ganze Gesetz an sich, wie die Sorge der Jerusalemer Urgemeinde in Apg 21,21 ausdrückt.
Den Abschluss bildet ein Kapitel in dem Repschinski die Ergebnisse zusammenfasst und drei Perikopen kurz miteinander vergleicht (351-371). Dabei handelt es sich um die Perikope vom Essen mit ungewaschenen Händen (Mt 15; Mk 7; Lk 11); die Verklärung (Mt 17; Mk 9; Lk 9) und die Erzählung vom reichen Mann (Mt 19; Mk 10; Lk 18). Dieses Kapitel ist hilfreich und lässt noch einmal stärker die Unterschiede der verschiedenen Schriften erkennen. Abgerundet wird das Buch durch ein
Literaturverzeichnis und ein ausführliches Verzeichnis der behandelten Bibelstellen.
Insgesamt unterstreicht die Arbeit die Verschiedenheit der Evangelien und bildet eine hilfreiche Zusammenfassung der Diskussion um das Gesetz in den synoptischen Evangelien, die besonders durch den Vergleich im letzten Abschnitt an Präzision gewinnt. Repschinski selbst mahnt im Bezug auf die Verwertbarkeit seiner Ergebnisse für eine historische Verortung der Evangelien zur Vorsicht (371) und sieht seine Arbeit als „Mosaikstein, der zur weiteren Verhältnisbestimmung zwischen frühchristlichen und frühjüdischen Traditionen dient“ (370).
Gertraud Harb (2010)
Quelle: www.biblische-buecherschau.de 2010
Katholisches Bibelwerk e.V. Stuttgart