Christian Metzenthin
Jesaja-Auslegung in Qumran
(AThANT, 98)
Zürich: Theol. Verlag 2010
383 Seiten, € 56,00
ISBN 978-3-290-17545-0
Christian Metzenthin liefert mit seiner Zürcher Dissertation einen wichtigen Beitrag zur Rezeptionsgeschichte des Jesaja-Buches, indem er sorgfältig alle Stellen in den Qumran-Schriften auswertet, in denen dieses eine Rolle spielt. Ziel der Arbeit ist es, die Jesaja-Auslegung in Qumran in einen größeren historisch-hermeneutischen Kontext einzuordnen.
Zu diesem Zweck nähert sich der Verf. seinem Thema mit großem Anlauf in Form eines ausführlichen Grundlagen-Teils, der fast ein Drittel der Arbeit ausmacht. Darin finden sich zunächst wichtige Begriffsklärungen hinsichtlich der verschiedenen Formen von Schriftrezeption: M. unterscheidet – je nach dem Grad der Übereinstimmung mit dem Prätext und der Art der Kenntlichmachung – zwischen ausgewiesenen, expliziten und impliziten Zitaten sowie Verweisen und Anspielungen, wobei er sich in seinen Einzelauslegungen im Wesentlichen auf die ausgewiesenen
und expliziten Zitate beschränkt.
Sodann widmet sich M. den Anfängen der Prophetenauslegung – und beginnt im AT selbst, wobei ein exemplarischer Schwerpunkt auf der Schriftauslegung in Dan 9 liegt. Auffällig ist dabei die fließende Grenze zwischen Auslegung und Fortschreibung: Die innerbiblische Auslegung eines Prophetentextes versteht sich auch selbst als prophetisch, weshalb man sie als „prophetische Prophetenauslegung“ (64) bezeichnen kann. In den – nach protestantischer Terminologie – apokryphen und pseudepigraphischen Schriften dominiert laut M. das Prophetenbild des ethischen Lehrers sowie des verlässlichen Zukunftsvoraussagers, wohingegen das sozial- und kultkritische Element der Prophetie keine Rolle mehr spielt.
Der Hauptteil der Arbeit besteht aus Einzel-Untersuchungen zu allen für die Jes-Rezeption relevanten Qumran-Texten. Den Schwerpunkt bilden dabei die Regel-Texte (Damaskusschrift, Gemeinderegel, Kriegsrolle), da diese dank ihrer relativen Vollständigkeit wesentlich substantiellere Aussagen zulassen als die nur sehr fragmentarisch erhaltenen Jes-Pescharim. Doch scheut sich M. nicht, auch kleinste Textfragmente auszuwerten, die er jeweils in Übersetzung vorstellt und kommentiert. Für diese Geduld gebührt ihm große Anerkennung.
M. unterscheidet bei seinen Analysen drei Methoden der Auslegung: Schriftbezug, Schriftbeleg und allegorische Deutung von Einzelelementen. Der Unterschied zwischen den beiden erstgenannten liegt darin, dass beim Schriftbezug Ereignisse, beim Schriftbeleg aber gesetzliche Bestimmungen mit Bibelstellen verbunden werden. Damit tritt freilich eine gewisse Unschärfe ein, was die Unterscheidung von methodischen und inhaltlichen Fragen betrifft.
Ein eigenes Kapitel ist der Frage gewidmet, ob die Pescher-Exegese von der antiken Traumdeutungsliteratur beeinflusst ist. Diese Frage ist nach M. zu bejahen; für ihn ein Hinweis darauf, „dass auch Trägerkreise der Qumrantexte durchaus […] an dem durch den Hellenismus erfolgten Kulturaustausch partizipierten“ (342).
Entsprechend vermerkt der Verf. in seinen Schlussfolgerungen, dass die Pescher-Auslegung ein Verfahren ohne Vorgeschichte in der Prophetenauslegung sei, während sich ansonsten zahlreiche Anhaltspunkte finden lassen, dass in Qumran an die vorangehende jüdische Auslegungstradition angeknüpft wurde. Hierzu werden die Ergebnisse der Analysen im Grundlagen-Teil mit denen der Einzel-Untersuchungen verglichen. Insbesondere fällt M. auf, dass sich sowohl die
innerbiblische als auch die qumranische Schriftauslegung selbst als prophetische Offenbarung versteht – „allerdings mit dem Unterschied, dass die Auslegung nicht nur in den Text der Schrift eingewoben […], sondern nun auch deutlich neben den Text gestellt wird“ (350). Sozial- und kultkritische Elemente werden in Qumran zwar aufgegriffen, aber ausschließlich als Polemik gegen die Gegner verwendet. Die Figur des Propheten selbst wird nicht als Autor der biblischen Worte verstanden, sondern nur als deren Vermittler, wobei der Bezug der Texte auf die Endzeit für die Qumran-Mitglieder zentral ist. Dass die Genese von deren religiösen Überzeugungen tatsächlich auf die Prophetentexte zurückzuführen ist, zweifelt M. aufgrund seiner Analysen allerdings an: Die Lehre und der Lebensstil von Qumran seien bei der Abfassung der Texte bereits vorgegeben gewesen und hätten durch das Mittel der Schriftauslegung eine sekundäre religiöse Legitimation erfahren.
An der einen oder anderen Stelle hätte man sich wünschen können, dass
methodische und inhaltliche Aspekte der Schriftauslegung klarer voneinander unterschieden und jeweils noch etwas schärfer profiliert worden wären. Doch insgesamt gelingt M. eine gute Synthese von Detailanalysen und Überblicksdarstellung. Die Arbeit kann von Alt- wie von Neutestamentlern mit Gewinn gelesen werden.
Daniel Lanzinger (2010)
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Katholisches Bibelwerk e.V. Stuttgart