Hubertus Halbfas
Die Bibel
erschlossen und kommentiert von Hubertus Halbfas
Düsseldorf: Patmos 2010
600 Seiten
ISBN 978-3-491-70334-6
In einer Doppelrezension werden der o.g. Titel und: Hubertus Halbfas, Der Glaube, Düsseldorf 2010 besprochen. Die Titel beider Bücher entsprechen sich, wie der Einband des Glaubensbuches zeigt auch der der „Bibel“ in sechster Auflage jetzt ein Bild von Michael Triegel; das rechtfertigt die Doppelrezension dieser beiden Bücher. Die Bände richten sich nicht an die theologisch gebildete Fachkraft, sondern den interessierten Leser, die interessierte Leserin, die bereit ist, sich auf anspruchsvolle religiöse Themen einzulassen.
Das Bibelbuch zielt darauf, die Bibel unserer Zeit zugänglich zu machen. [Bibel 16]; seine Gliederung folgt ungefähr der Aufteilung der Bibel selbst: Das Alte Testament heißt jetzt die jüdische Bibel, das Neue Testament die christliche Bibel. Insgesamt 16 Kapitel tragen zum Beispiel folgende Überschriften:
- Die Urgeschichte [Bibel 41],
- Könige und Propheten in Israel [Bibel 141],
- Nach dem Exil [Bibel 274]
- Das Evangelium nach Markus [Bibel 360],
- Unechte Paulusbriefe [Bibel 572]
Jeweils werden passende Bibelstellen und Halbfas Kommentare am Seitenrand ergänzt durch
- aktualisierende Texte
- Erläuternde Informationen
- Einen lexikalischen Teil [Bibel 17]
- Literarische Zitate
- Zahlreiche Abbildungen [Bibel 16].
Das Glaubensbuch sieht im Seitenaufbau ähnlich aus und stellt sich der Herausforderung, das Christentum von seinen Anfängen her .. neu zu bewerten, damit der derzeitige epochale Traditionsabbruch bestanden [Glaube 13] werden kann. Seine Gliederung mischt traditionelle und innovative Elemente:
- Die fünf ersten Kapitel „Glaube und..“ profilieren den Begriff des Glaubes in Gegenüberstellung zu den Phänomenen Bewusstsein, Sprache, Existenz einerseits, Bibel und Dogma anderseits. [Glaube 17-134]
- Den traditionellen Traktaten der Dogmatik sind die Kapitel VI bis IX – Schöpfung, Gott, Christus, Kirche – gewidmet. [Glaube 135-428] Erst das zwölfte Kapitel fügt die Eschatologie hinzu. [Glaube 537-572]
- Über den üblichen Bauplan eines Katechismus hinaus gehen die Kapitel X Glaube – Volksglaube – Unglaube – Aberglaube [Glaube 429-470], XI Glaube im Zeitenumbruch [Glaube 471-533], XIII Wohin gehen wir? [Glaube 573-593]
Die insgesamt etwa 1180 Seiten der beiden Bände versammeln gerade auch durch das Einbeziehen von Texten und Bildwerken vieler Autoren und Künstler sehr heterogenes Material. Daher braucht die Darstellung einen Fokus zur Materialauswahl. Meine Rezension konzentriert sich auf die Perspektive des Religionsunterrichtes.
1. Zum Nutzen der Bücher im Religionsunterricht
Die Bücher sind eine Fundgrube für Texte und Bilder, die man im Unterricht einsetzen kann. Zur Qualität der Informationen und Kommentare zu Bibel und Glaubenslehre von Halbfas selbst wird unten noch etwas gesagt. Hier geht es erstmal um die begleitenden Angebote. Eine unsystematische Auswertung des Materials ergab: Etwa 50 % der Bilder und 70 % der Texte haben für mich Neuigkeitswert und sind mir noch nicht in anderen Almanachen, Anthologien, Materialsammlungen oder Schulbüchern begegnet. Der Lehrer oder die Lehrerin können mit den Bildern unmittelbar arbeiten, denn zu den meisten gibt es Erläuterungen. Allerdings sind die Informationen lückenhaft, zum Beispiel erfährt man von dem Bild der allgestaltigen Gottheit [Glaube 198], das ich zum Thema „Weltreligionen“ gerne einsetzen würde, nicht, wann es gemacht wurde. Die Hauptmasse des Textes ist von Halbfas selbst.
Dazu hier nur als Stilprobe den Schluss des Glaubensbuches:
Während der gestaltende Einfluss der Kirchen als institutionalisierte Religion zurückgeht, erwacht angesichts der Irritationen der Postmoderne die religiöse Sensibilität zu neuem Leben. Dabei mag der Niedergang der traditionellen Glaubesformen die verbreitete spirituelle Desorientierung ebenso verursachen als auch die Suche nach neuen Formen religiöser Orientierung forcieren. [Glaube 593] |
Modische Vokabeln, die manchem „irgendwie“ aus der Seele sprechen; aber wie belastbar sind sie bei näherem Zusehen wirklich? Zu den erklärten Zielen des Buches gehört es, den Glauben zu unterscheiden von einem gewaltigen Ballast aus Ritus und Recht, Dogma und Macht. Wieso wird dann das, was da niedergeht, Glaubensform genannt? Viele der Formulierungen der Bandes einer schärferen Analyse nicht Stand; zahlreich sind die Unüberlegtheiten und Widersprüchlichkeiten. Wir kommen darauf zurück.
2. Autoritäre Informationspolitik
Es gibt in den Büchern Quellenangaben und Verzeichnisse zu den literarischen Randtexten und Informationsblöcken, die im Glaubensbuch auch im Haupttext zu finden sind, ansonsten gibt Halbfas seine Quellen nicht preis; im Bibelbuch beruft er sich pauschal auf Rainer Albertz und Hubert Frankemölle [Bibel 17]. Er unterstellt also von vorneherein, dass dem Leser die Kenntnisse ausreichen, die Hubertus Halbfas für ihn ausgesucht hat, und hilft ihm nicht dabei, weiter zu recherchieren und die Stichhaltigkeit der gebotenen Informationen zu prüfen. Das unterbietet meiner Ansicht nach den Standard, der auch in gehobener populärwissenschaftlicher Literatur erwartet werden darf. Die Autoren- und Textverzeichnisse am Ende der Bücher sind unzuverlässig; einige Autoren werden erwähnt, andere unterschlagen (z.b. Finkelstein und Silbermann); ein Verzeichnis der zitierten Bibelstellen fehlt. Sachverzeichnisse gibt es für die Nebenartikel, nicht aber für den Haupttext, und die vorhandenen Verzeichnisse haben Lücken: Der lesenswerte Artikel über das Buch der Psalmen [Bibel 296f] ist weder im Inhaltsverzeichnis, noch im Verzeichnis der thematischen Artikel aufzufinden.
3. Immer gib ihm Historie!
[K. Tucholski: Ratschläge für einen schlechten Redner]
Halbfas bekennt sich zur historischen Kritik in der Auslegung der Bibel und der Glaubesaussagen. Zum Beispiel der Artikel Die Entwicklung des Monotheismus [Bibel 286f] berücksichtigt nach allem, was ich weiß, die aktuelle exegetische Forschung. Aber wenn Halbfas die Bücher des deuteronomistischen Geschichtswerkes (Jos, Ri, 1-2 Sam, 1-2 Kg) im einzelnen kommentiert, scheint er davon nichts zu wissen:
Oft mussten sich die israelitischen Stämme gegen .. ihre Nachbarn wehren; mal zogen midianitische Kamelnomaden marodierend durchs Land, .. (Richter 6,2-5) mal überfielen die ostjordanischen Königreiche Moab und Amon Israel und machten es tributpflichtig (Ri 3,12ff) [Bibel 137] |
Das liest sich, gerade dadurch, dass die biblischen Bezeichnungen durch präzisere ersetzt werden, als verfüge Halbfas über außerbiblische Evidenz darüber, dass die JHWH-Kriege des Richterbuches tatsächlich stattgefunden haben. Tatsächlich belehren uns Finkelstein und Silbermann, die höchstrangigen Archäologen Israels, die Halbfas auch zitiert [Glaube 100] in ihrem 2001 erschienenen Buch „Keine Posaunen vor Jericho“, dass die geografischen und ethnischen Verhältnisse, die das Richterbuch zugrunde legt, nicht für das vorstaatliche Israel, sondern für das achte und siebte Jahrhundert gültig sind [z.B. S. 78]. Es ist daher kein Zufall, dass Halbfas zur Illustration der Religion des vorstaatlichen Israel Bilder von weiblichen Gottheiten aus dem 7. Jahrhundert verwendet. [Bibel 137] Dass der Entstehungsprozess des Deuteronomiums und des deuteronomistischen Geschichtswerkes ihre Benutzbarkeit als historische Quelle ausschließt, weiß Halbfas selbst auch [Bibel 39f, 236ff; Glaube 95-102]; aber in die einzelnen Kommentare und in die Gliederung hat diese Erkenntnis keinen Eingang gefunden.
Halbfas nimmt sich das Recht, von der Anordnung der Texte in der Bibel abzuweichen, um den historischen Zusammenhang anschaulich zu wahren [Bibel 16]. Dann reicht es aber nicht, das Markusevangelium vor das Matthäusevangelium zu stellen, sondern man müsste auch die Paulusbriefe vor die Evangelien stellen. Die Darstellung der jüdischen Bibel dürfte nicht mit dem Schöpfungsgedicht (entstanden um 550 v. C.) anfangen, sondern mit den Büchern Amos und Hosea (geschrieben 750 v.C.). Man kann bei Halfas zwar die Nachricht entdecken, dass sich König Josia nach heutigem Kenntnisstand das deuteronomistische Geschichtswerk als Vorgeschichte seiner expansiven politischen Ambitionen entwerfen ließ [Glaube 95-102], aber diese Einsicht wird im Inhaltsverzeichnis des Bibelbuchs und – wie gezeigt - in einzelnen Kommentaren eher verschleiert als verdeutlicht. Die traditionsverhaftete Gliederung „ab orbe condita“ führt dazu, dass es letztlich doch so klingt, als gehe es darum, „wie es mutmaßlich war“ zu Zeiten des Mose, des Gideon, des Dawid, während die Bibel zuverlässige Auskunft nur darüber gibt, was Mose, Dawid und die anderen Helden der Bibel den Menschen in der Epoche des babylonischen Exiles theologisch bedeutet haben. Wer es unternimmt, die Bibel neu zu erschließen, kann schließlich nicht an der Tatsache vorbei gehen, dass die Psalmen das in Judentum und Christentum meist benutzte Buch der Bibel sind. Aus der Bildwelt der Psalmen schöpft Jesus, und die europäische Literaturgeschichte von Dante über Nietzsche und Hölderlin bis Handke ist ohne sie nicht zu denken. Wo Ingo Baldermann und Rainer Oberthür Pionierarbeit geleistet haben, die Auseinandersetzung mit der Bibel gerade bei den Psalmen zu beginnen und so den Hintergrund zu gewinnen, um auch an die erzählenden und belehrenden Texte heranzugehen, klatscht Halbfas gerade einmal fünf Psalmen lieblos an passender Stelle in sein historisierendes Raster; zum Beispiel macht er aus Psalm 2 die Herrschaftsideologie der davidischen Könige, [Bibel 159f] als ob der Text tatsächlich aus Dawids Umfeld stammte, während man an anderer Stelle des Buches erfahren kann, dass dem vermutlich nicht so war [Bibel 296f].
Zusammenfassend: Wer mit Aufmerksamkeit und Vorkenntnis im Bibelbuch studiert, findet Informationen auf aktuellem Niveau. Wenn ich mir aber meine Schülerinnen und Schüler selbst in der Abiturvorbereitung vorstelle, dann würden sie durch den Aufbau und zahlreiche Einzelheiten des Bibelbuches zu falschen Schlüssen über die historische Zuverlässigkeit und den literarischen Charakter der Bibel verleitet.
4. Blinde Flecken im Zukunftskonzept
Zugegeben, die Reduzierung des Programms der Bände auf wenige Stichworte wird Ihrer Komplexität nicht gerecht; aber ich denke, dass meine Analyse nicht falsch wird, wenn man sie genauer ausarbeitet: Halbfas sagt das Ende des Theismus [z.B. Glaube 214, 219; vgl. 192] an; er fordert nach das Zurückdrehen der Enterbung Israels und der Hellenisierung des Christentums [Glaube 574]. Meine Gegenfrage: Warum sollte man nicht von einer Hellenisierung des Judentums reden? – Dafür sind die Bücher Weisheit und Jesus Sirach Belege, die allerdings von Halbfas weitgehend ignoriert werden; aber die Übernahme persischen Gedankengutes (das Paradies und die Personifizierung des Schatan beispielsweise) , ägyptischen Gedankengutes – Josef, Moses - und babylonischen Gedankengutes – Lehrgedicht über die Schöpfung [vgl. Bibel 44] – und vieler anderer „fremder“ Ideen kann er nicht leugnen: Warum soll also gerade die Aufnahme griechischen Denkens der große Sündenfall gewesen sein? Nach Halbfas beginnt der Sündenfall schon bei Paulus; aber was will man mit einem solchen Satz anfangen: Das Reich-Gottes-Verständnis Jesu und die Inhalte seiner Verkündigung haben ihn (Paulus) wenig interessiert. [Glaube 123] Wenn man unter Jesu Reich-Gottes- Verständnis das versteht, was in den Evangelien, näherhin in ihren Wunder- und Gleichnisgeschichten darüber steht, scheint der Satz sinnvoll. Aber Paulus hat die historische Priorität, seine Assoziationen zur Basileia – Tatkraft, [1 Korinther 4,20] Gerechtigkeit, Friede [Römer 4,17] kommen aus seiner ursprünglichen Auseinandersetzung mit der Botschaft Jesu, so weit sie ihm erzählt worden ist. Desinteresse liest sich anders!
Meine wichtigste Anfrage ist aber, wie man der Bibellektüre und dem Glauben einen Weg in die Zukunft weisen will, wenn man zur Mediengeschichte so gut wie nichts zu sagen hat. Das Ende der Christenlehre und Kinderandacht, Sonntags 15.00 Uhr in meiner Heimatgemeinde, kam doch nicht, weil meine Altergenossen wachsende Zweifel an der Verpflichtung zum „Glaubensgehorsam“ beschlichen hätte [Glaube 578], sondern weil die Augsburger Puppenkiste lockte. Das Ende der jährlichen Kevelaerwallfahrt kam mit dem Pauschaltourismus. Und die Masse der Menschen nimmt die Naturwissenschaften nicht als Dialogpartner der Theologie wahr, was Halbfas diskutiert, sondern als Grundlage der Technik, die am spürbarsten Fortbewegungs-, Rationalisierungs- und Medientechnik ist. Die Konkurrenz von Fernsehen und Internet macht aber nicht nur der Kirche zu schaffen, sondern auch dem Theater und der Schule, wie Neil Postman gezeigt hat. Die elektronischen Medien definieren neue Regeln der Kultur insgesamt. Vor allem die Werke Eugen Bisers – Glaubesprognose [1991], Die Entdeckung des Christentums [2000] – reflektieren die Möglichkeiten des alten Christenglaubens inmitten der medialen Revolution, vergleichen sie mit der medialen Revolution, die das Christentum einst auslöste, und der, die es zu Beginn der Neuzeit radikal umkrempelte. Gerd Theißen hat in seinem Buch Zur Bibel motivieren [2003] eine offene Bibeldidaktik entwickelt, damit zugleich die biblische Theologie auf eine Grundlage gestellt, die der Vermittlungsrolle des Faches gerecht wird. Davon nimmt Halbfas keine Notiz. Seine Auswahl der Texte und Illustrationen verweist schwerpunktmäßig auf die Nachkriegszeit. Die Ausnahme ist natürlich Michael Triegel (*1968), dessen Bilder aussehen, als hätte Bellini irgendwann das surrealistische Manifest gelesen, wie das Kulturmagazin The European in seiner online-Ausgabe notierte. Der Papst erwartete von seinem Portrait, dass es in die Tradition passe, zu Tizian und Rafael. Mich erinnert Triegels Benedikt an die Zeichnungen des Viktor von Bülow, alias Loriot. Es ist die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“, die sowohl Bände Die Bibel und Der Glaube von Hubertus Halbfas als auch die Bilder von Michael Triegel charakterisiert. In Kirche und Schule würden konsequent zeitgenössische Impulse weiter helfen.
Dr. Karl Voerckel