Kirchenraum und sakrale Kunst in Frankfurt am Main

Buchvorstellung - 10.01.2009

August Heuser
Abseits der Museen
Kunst und Künstler in Frankfurt am Main

Frankfurt am Main: Verlag J. Knecht. 2003
184 S., 34 sw-Abb., € 18.00
ISBN 3-7820-0870-7

Frankfurt gilt als kalte, unwirtliche Stadt der Geschäftemacher. Man denkt unwillkürlich an sterile Hochhausfassaden einerseits und an heruntergekommene Stadtviertel andererseits. Sieht man aber genauer hin, gibt es in dieser Stadt unentdeckte Ecken und Plätze mit einer Vielfalt von öffentlichen Kunstwerken, die zudem in vielen Fällen erstaunlicherweise Impulse aus der Religion aufgenommen haben und auch umgekehrt den Menschen beachtliche Impulse für ihr Glaubensleben zurückgeben können.

Es ist das große Verdienst von Prof. Dr. August Heuser, seines Zeichens Direktor des Dommuseums zu Frankfurt am Main, uns auf diesen für den Religionsunterricht hochinteressanten ästhetischen Reichtum hingewiesen zu haben; dies bereits mit dem im Jahre 2000 im gleichen Verlag erschienenen Buch „Banken, Plätze, Musentempel“, jetzt mit dem neuen Folgeband. Besonderes Interesse verdient dieses Werk allein schon von daher, dass gerade ein Museumsdirektor auf Kunst „abseits der Museen“ hinweist !

Im Blick auf primär sakrale Kunst stehen hauptsächlich zwei Kirchenräume im Zentrum: Zunächst der Kaiserdom bzw. die St. Bartholomäus-Kirche – das bedeutendste Bauwerk der Stadt Frankfurt schlechthin, für viele Schüler/
-innen unseres Religionsunterrichts jedoch ein unbekanntes Objekt und ein Buch mit sieben Siegeln. Beziehungsreich erläutert werden das Bartholomäus-Relief aus dem Jahr des Abschlusses des Dom-Wiederaufbaus 1956 mit Blick auf die Bartholomäus-Legende: zentral das Formelement des umgekehrten Kreuzes (vgl. Petrus/Teilhabe am Opfertod Jesu) und ineins seine Funktion als erstes Frankfurter Mahnmal gegen die nationalsozialistische Terrorherrschaft. Weiterhin wird das prächtige Portal an der Nordseite des Domes in seiner historischen und theologischen Vielschichtigkeit erklärt: Eine spätmittelalterliche Gottesmutter-Statue verbindet sich mit biblischen Figurengruppen aus dem 19. Jahrhundert und schließlich mit modernen Bronzetüren mit alttestamentlichen Szenen – ein Gesamtkunstwerk aus jahrhundertealten Überlagerungen, das etwas von den Fundamenten und zugleich von der geschichtlichen Kontinuität unseres Glaubens für Schüler/-innen erfahrbar macht. Ähnliches wird mit dem Dreikönigsportal der Dom-Südseite anschaulich: Ein Figurenprogramm, das vom eschatologischen Kommen des Messias – in einem Erzählbogen von den Propheten bis zum Weihnachtsereignis – erzählt.

Einen zweiten Schwerpunkt kirchenräumlicher Kunstwerke erkennt man mit Ausführungen zur St.Michael-Kirche: Symboltheologisch aufgeschlüsselt werden z.B. die Fenster der Krypta (eine anschauliche Geist-Theologie von der Schöpfung des Alten Bundes bis zur endzeitlichen Neuschöpfung), der größte und schönste Wetterhahn Frankfurts (Symbol der Wachsamkeit und Treue zu Christus), die tierverzierten Türknaufe (z.B. Seeungeheuer verweisen auf Jona bzw. auf die Auferstehung), der Opferstock mit dem Hl. Antonius (Sinnlosigkeit des Schätze-Hortens, Sinn des Almosens), die Bodenmosaike, der Tabernakel und, und, und. Schließlich werden noch von anderen Kirchen herausragende zeitgenössische Kunstwerke dargestellt: die Wandgestaltung der Maria-Hilf-Kirche (Dreieckselemente im Kontext einer Trinitätstheologie) und drei Großskulpturen vor der St. Leonhardskirche, die uns auf die Bedeutung dieses Gotteshauses als Stationskirche der mittelalterlichen Pilger nach Santiago und auf unsere anthropologische Verfasstheit als gläubige Menschen „in statu viatoris“ hinweisen.

Interessant der Blick auf ein Objekt, an dem Tausende täglich vorbei hetzen, ohne es recht zu besehen und zu bedenken – die Großskulptur „David und Goliath“ im Knotenpunkt der Konsumtempel der Zeil. Jene scheint zunächst eindeutig dem biblischen Themen- und Interpretationsbereich zu entstammen, doch der Künstler liest die allzu bekannte Geschichte vom Sieg des Kleinen über den Mächtigen unbequem gegen den Strich: Dieser David hier ist – anders etwa als der bekannte klassisch-schöne David Michelangelos vor dem Palazzo Vecchio – ein gepanzerter athletischer Muskelprotz, dem es nicht um die Beendigung, sondern um die Prolongierung der Schreckensspirale von Gewalt und Gegengewalt geht. Kein Hoffnungszeichen im Zentrum des Kommerzes also, aber sicher ein Impuls zum Gespräch über dieses zentrale Thema des Religionsunterrichts mit Schüler/-innen. Eine Provokation ist sicher auch die „Reiter-Statue“ vor dem „Museum für Kommunikation“, zusammengesetzt aus alten, ausrangierten Fernseh- und Elektronikteilen – ein „Ritter von der traurigen Gestalt“ in einer Zeit, in der wir uns mit Hilfe der Massenmedien „zu Tode amüsieren“ (N. Postman) und in der so elegant wie nie zuvor Lüge als Wahrheit verkauft wird (Anknüpfungspunkte z.B.: Situationsanalyse zum 8. Gebot). Absolut originär für den genius loci dieser Stadt der schnellen Dienstleistungen („the city never sleeps“) ist die übermannsgroße Alu-Skuptur mit dem sprechenden Namen „Mr. Quick“ vor dem Gebäude der Deutschen Presse Agentur mit einem rasenden Reporter. Die Statue thematisiert einen für unsere Epoche zentralen Themenkreis: das Problem des Umgangs mit der Zeit, der Balance zwischen Werktag (Hektik der Arbeitswelt) und Sonntag (Notwendigkeit der Sabbatruhe). Von solch einem Impuls her lässt sich sicher leicht die Aktualität und Andringlichkeit des dritten Gebotes mit einer Klasse plausibel machen.

Nach dem ersten Band Heusers zur Kunst in öffentlichen Räumen Frankfurts durfte man schon voll Spannung und Vorfreude auf die Fortsetzung der Kunstgänge hoffen. Diese positive Erwartungshaltung wurde jetzt mit dem Folgeband alles andere als enttäuscht: im Inhalt überraschend Neues entdecken-lassend bzw. oft Gesehenes neu erschließend, im stilistischen Ton sympathisch um die „Sache“ werbend, für an der Gegenwartskunst Interessierte ein richtungsweisender Wegbegleiter, für Religionslehrer/-innen, die ihren Klassen die vielschichtige Aktualität der biblisch-kirchlichen Tradition anschaulich machen wollen, ein angenehmes Muss. Übrigens auch ein Geschenk der besonderen Art für Freunde, Bekannte, Gäste !

Abschließend sei noch auf ein auf uns alle zukommendes Phänomen verwiesen, bei dem dieses Buch eine interessante Schatztruhe sein könnte: Wenn demnächst die „besondere Lernleistung“ und die „Präsentation“ als neues Prüfungselement der Abiturprüfung anstehen wird, könnte sich zeigen, dass gerade unser Fach eine Fülle von traditions- und gehaltvollen „offenen Lernorten“ im religiös-künstlerischen Bereich zu bieten hat – dies zudem noch mit fächerübergreifenden Bezügen – wodurch Profil und Reichtum des Religionsunterrichts noch ungleich deutlicher zu Tage treten werden.

Gustav Schmiz

Quelle: Informationen für Religionslehrerinnen und Religionslehrer Bistum Limburg 33 (2004), Heft 1, S. 46.