Waltraud Hagemann / Elke Hirsch
Leben mit der Zukunft im Rücken
Juden und Christen erinnern sich
Primarstufe und Sekundarstufe I (Lernen kreativ)
Düsseldorf: Patmos Verlag. 2003
122 S., ill., 2 farb. Overhead-Folien, Format DIN A 4. € 19.90
ISBN 3-491-73442-8
Theodor W. Adornos pädagogische Prämisse, dass der Anfang aller Erziehung die Verhinderung eines neuen Auschwitz sein müsse, weist in einer Zeit, in der Menschen immer häufiger auf Grund der Reiz- und Informationsüberflutung zum Schutzschild des Vergessen
Erinnern ist ein aktiver und dynamischer Prozess, der für den Einzelnen und für Gruppen Sinn und Kontinuität stiftet, Hoffnung weckt und Kraft zum Umdenken und zur Neugestaltung des täglichen Lebens gibt, also überhaupt erst lebenswerte Zukunft eröffnet. Die beiden Autorinnen des vorliegenden Bandes betonen daher den wesentlichen Beitrag, den die jüdisch-christliche Erinnerungskultur in schulpädagogischen Zusammenhängen leisten kann, um dem „Immer-so-weiter“ der letztlich lebensbedrohenden, scheinbar sachzwanghaften ökonomischen und politischen Plausibilitäten entgegenzuwirken.
In sechs unterrichtlichen Themenkreisen wird die Struktur und Konkretion des Erinnerns für Schüler/-innen der Klassen 1 bis 6 praktisch ausgebreitet: „Die Unterrichtsgefüge 1 bis 3 lassen die Kinder und Jugendlichen die Beziehung zum lebendigen Judentum als eine grundlegende und unabdingbare Konsequenz aus den Leid- und Gewalterfahrungen während der NS-Zeit erleben.“(5) Themenkreis 1 rückt dabei den Gott Israels und den Gott der Christen (Ich bin da, wo Menschen leben) in den Blickpunkt, Themenkreis 2 (Zelte Gottes unter den Menschen) ist letztlich auf die Achtung aller Gotteshäuser, in denen gebetet, gelernt und gefeiert wird, ausgerichtet, Unterrichtsgefüge 3 (Oasen der Zeit) nimmt Impulse des Sabbats für die Gestaltung und Heiligung des christlichen Sonntags auf. Der Themenkreis 4 „Leben im Angesicht der Vergangenheit“ will „durch erinnerndes Lesen und Erzählen, durch Betrachten von Bildern, Identifizieren mit den handelnden Personen und empathisches Nacherleben von Risikosituationen“ (5) den Schüler/-innen die Leiden der jüdischen Opfer während der NS-Zeit vergegenwärtigen und so Perspektiven für ihr weiteres Handeln gewinnen helfen. Die Themenkreise 5 und 6 (Es darf kein Gras darüber wachsen; Zeig dein Gesicht) schließlich sollen für die Schüler/-innen Handlungsfelder in ihrem näheren und weiteren gesellschaftlichen Umfeld sichtbar werden lassen (z.B. Gewalt und Rassismus an der eigenen Schule).
Durch sämtliche unterrichtlichen Zusammenhänge läuft eine Erzählung mit dem Titel „Eine besondere Freundschaft“, die mit den Schüler/-innen auch als Ganzschrift gelesen werden kann. Für alle Themenkreise gilt, dass das Kernthema „Erinnern“ immer einen besonderen Stellenwert hat, und zwar im hebräischen Sinne, mit einer Offenheit für zukünftige Entwicklungen nach vorne. Weiterhin fordert diese Erinnerung zum Dialog zwischen den Religionen auf und berücksichtigt die persönlichen Erfahrungen der Schüler/-innen im Lebensraum Schule und anderswo. Darüber hinaus geben die Autorinnen eine Reihe praktischer Anregungen auch für schulpastorale (z.B. Gottesdienste) und projektorientierte, fächerübergreifende Aktivitäten.
Das vorliegende Lernmodell ist somit nicht nur im Blick auf die in fast allen Lehrplänen vorgeschriebene Beschäftigung mit dem Judentum eine vorbildliche Anleitung, sie setzt auch Maßstäbe hinsichtlich zeitgemäßer schul- und religionspädagogischer Erfordernisse und Initiativen. Daher: Uneingeschränkt empfehlenswert!
Martin Musch-Himmerich
Quelle: Informationen für Religionslehrerinnen und Religionslehrer Bistum Limburg 33 (2004), Heft 3, S. 193.