Harald Uhl (Hg.) i.A. der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK)
Taschenlexikon Ökumene
Paderborn: Bonifatius Verlag / Frankfurt: Verlag O. Lembeck. 2003
299 S., € 12.00
ISBN 3-87476-420-6=Lembeck / 3-89710-240-4=Bonifatius
In der Dynamik zum Ökumenischen Kirchentag in Berlin entstanden, informiert dieses Gemeinschaftswerk durchweg grundsolide über zentrale Stichworte im ökumenischen Beziehungsfeld – von „Abendmahl“ bis „Zölibat“, „von afrikanisch initiierte Kirchen“ und „Akademien“ bis zu „Weltweiten Christlichen Gemeinschaften“ und „Zentralkomitee der Deutschen Katholiken“. Weiterführende Literaturhinweise, ein übersichtliches Glossar am Ende helfen zur Orientierung und Weiterarbeit.
Keine Frage: So ist ein solides Instrument zur Erstinformation entstanden, das den gegenwärtigen Ertrag theologischer Forschung und den Status quo christlicher Kirchen trefflich dokumentiert (und z.B. in der Sek II gut zu nutzen ist). Freilich: schon hier stockt der Atem des Rezensenten. Denn von welchen Kirchen ist wie die Rede? Dominant ist zweifellos, typisch deutsch, das Zwiegespräch zwischen römisch-katholisch und evangelisch-reformatorisch. Gewiss wird auch die Orthodoxie genannt und mit einem eigenen Stichwort bedacht, denn sie ist in Deutschland nur eine Minderheit. Aber verstehe ich „Ökumene“ weltweit, dann ist die Orthodoxie weder nur ein Juniorpartner der Westkirchen, noch bloß ein Stichwort unter Anglikanern, Baptisten und anderen. Die Frage also, in welcher Perspektive welche Ökumene wie artikuliert und situiert wird, spielt merkwürdigerweise in dem ganzen Taschenlexikon systembildend überhaupt keine Rolle.
Gewiss: es gibt ein eigenes Stichwort „Methodologie“, aber die Hermeneutik des Ganzen bleibt (jedenfalls mir) völlig unklar – und entsprechend die Auswahl und Prioritätensetzung der Stichworte. Warum z.B. fehlt Mystik? Warum ein Stichwort zu „Deutscher Evangelischer Kirchentag“, aber keines zu „Katholikentagen“? Wie steht es mit dem Bezug zu Judentum und Islam? Sollen die asiatischen Religionen vorkommen oder nicht? Über solche Grundsatzentscheidungen würde ich als Leser gerne informiert, um dieses Taschenlexikon in Anlage und Durchführung besser würdigen und nutzen zu können. Zu fragen bleibt auch, ob ein harmonistischer Grundzug im Ganzen die Feder führt. Die Frage z.B. nach den nichttheologischen Faktoren der immer noch bestehenden Trennung der Kirchen, der immer noch behinderten ökumenischen Prozesse, die Fragen also nach Macht, Angst, Identität etc. kommen nicht vor. Welcher Vorbegriff von „Ökumene“ liegt eigentlich zugrunde: ein zwischenkirchliches, ein westliches Problemfeld seit Reformation und Gegenreformation? Aber selbst dann: warum kein Stichwort zu „Aufklärung“, „Menschenrechten“, zu „Ökumene“ im altkirchlichen Sinn – im Blick also auf die gesamte bewohnte Erde, ihre religiöse Sehnsucht, ihre religionsgeschichtliche und religionstheologische Vielfalt, ihre Einigungssehnsucht ad intra und ad extra (und darin nach dem Beitrag der römischen Kirche und der Kirchen der Reformation)? Warum übrigens ein eigenes Stichwort „Trinität“, aber nicht „Christologie“?
Gewiss: wir dürfen uns freuen, dass die „Charta Oecumenica“, auf dem Berliner Kirchentag einvernehmlich verabschiedet, schon hier ein Stichwort erhält. Aber nach welchen Proportionen werden welche Stichworte verteilt, welche vergessen oder dem Platzmangel geopfert? Fazit also: eine grundsolide Handreichung, eine gute und hilfreiche Sammlung von Basisinformationen – gerade für Gemeindearbeit, Religionsunterricht oder persönliche Vertiefung sehr zu empfehlen. Für die Weitung des christlichen Gesamthorizontes freilich, für ein spannungsreiches, kreatives und auch provokatives Ökumene-Verständnis, das sich den Lebens- und Überlebensfragen der Menschheit, der Welt im ganzen stellt, blieb eine Chance eher ungenutzt. Ob die Zeit dafür noch nicht reif ist, ob die inspirativen und konspirativen Kräfte noch nicht stark genug sind? Ob sich auch in diesem Taschenlexikon schon eine wachsende Kluft dokumentiert zwischen denen, die im innerkirchlichen Sinn noch ökumenisch engagiert sind und sich an Theologien und Kirchenleitungen orientieren, und jenen anderen, die ein nach- und überkirchliches Christentum im Dienst der einen Welt suchen, bezeugen und erarbeiten? Warum bleibt, bei allem Respekt vor solch einer gemeinschaftlichen Arbeitsleistung und ihrem empfehlenswerten Produkt, doch eine Art Enttäuschung und Traurigkeit, weil „man(n)“ und „frau“ wieder einmal unter sich blieb in ökumenisch engagierten und erfahrenen Fachzirkeln und Spezialgremien? Gewiss: dass solch ein Gemeinschaftswerk überhaupt entstehen konnte, ist lebhaft zu begrüßen; aber ist das Glas nun halbvoll oder halbleer? Kommen diese westlich innerchristlichen Ökumene-Bestrebungen global und weltweit gesehen nicht irgendwie zu spät und immer nur hinterher? Lexikalisch wird dann abgelegt, was einvernehmlich in den ökumenischen Gremien längst ausgemendelt werden konnte. Aber die inspirierende, die konspirierende Kraft? Das Christologische „für euch“ und „für alle“?
Gotthard Fuchs
Quelle: Informationen für Religionslehrerinnen und Religionslehrer Bistum Limburg 33 (2004), Heft 3, S. 190.