Theorie und Alltagspraxis der Religionen

Buchvorstellung - 15.03.2009

John Bowker (Hg.)
Religionen der Welt

Darmstadt: Primus Verlag. 2003, 336 S. m. ca. 105 Farbfotos u. zahlr. Karten. EURO 39.90
ISBN 3-89678-244-4

In diesem schön gestalteten, bilderreichen Buch wird nicht nur, wie zumeist üblich, ein Überblick über die bekannten Weltreligionen Christentum, Islam, Judentum, Hinduismus und Buddhismus geboten, sondern es werden auch die weniger bekannten, kleineren Religionen wie z. B. der Jinismus, der Sikhismus, der Shintoimus, der Parsismus und die zahlreichen neuen Religionen vergleichsweise ausführlich berücksichtigt und durchweg kompetent behandelt. Der Schwerpunkt des Buches liegt allerdings auf den großen lebenden Religionen, wobei auffällt, dass nicht nur die „reine“ Theorie, sondern auch die Alltagspraxis in starkem Maße berücksichtigt wird.

In Indien, China, Korea und Japan kommt es in der religiösen Praxis häufig zu Mehrfachidentifikationen, die in den theoretisch- abstrakten Klassifikationen der Religionswissenschaft nicht vorgesehen sind, weshalb mir gesonderte Behandlung der indischen, chinesischen, koreanischen und japanischen Religionen und ihrer Eigentümlichkeiten sinnvoll erscheint. So zeigt die vergleichende Lektüre, dass sich der chinesische, „diesseitsorientiertere“ Buddhismus in vielerlei Hinsicht vom ursprünglichen, weltentsagenden indischen Buddhismus unterscheidet. Durch die vergleichsweise starke Berücksichtigung des geographischen Kontextes können die jeweiligen Besonderheiten stärker herausgearbeitet werden, was ohne Zweifel ein Vorzug dieses Buches ist. Die vom Herausgeber verfaßte knappe Einführung in das Werk enttäuscht dagegen. Statt einer Offenlegung des eigenen Vorverständnisses und methodischer Vorüberlegungen, etwa zu dem im Buch vorausgesetzten Religionsbegriff, werden verschiedene Religionen (Olmeken, Azteken, Maya, Aborigines, afrikanische und ozeanische Religionen u. a.) behandelt, und man fragt sich, wieso dies in der Einleitung und nicht in einem eigenen Kapitel über die archaischen Religionen geschieht. Grundsätzlich scheint mir in diesem Überblickswerk die Bedeutung der Frage nach dem Vorverständnis, den Auswahlkriterien und den hermeneutischen Vermittlungsproblemen erheblich unterschätzt zu werden. In der Einführung werden zwar einige Klassiker der Religionswissenschaft vorgestellt, aber es fällt doch auf, dass hier nur jene Traditionslinie berücksichtigt wird, die im angelsächsischen Bereich Einfluß gewinnen konnte. So fehlen international geschätzte Gründerväter der Religionswissenschaft wie Schleiermacher und Rudolf Otto. Von den neueren Autoren wird nur Ninian Smart (1927-2001) berücksichtigt, dessen „ausgefeilte“ Methode in einem Satz dargestellt wird. Der knappe historische Überblick endet bei Max Müller (1823-1900), der als Pionier der Religionswissenschaft gilt. Bowker weist zu Recht auf die Schwierigkeiten von Müllers Ansatz hin, ist aber offenbar der Ansicht, dass die intensive neuere religionswissenschaftliche Methodendiskussion keinerlei Relevanz für sein Buch besitzt. Wie man aus Bowkers Einführung erschließen kann, handelt es sich bei diesem Buch um den Versuch, eine umfassende Geschichte der Religionen zu schreiben, wobei er auf Grenzen hinweist, die für ihn vor allem im Verstehen der frühen Religionen liegen, weshalb er sich in der Einführung mit diesem Problem ausführlich auseinandersetzt.

Diese kritischen Anmerkungen hinsichtlich des Überspringens wichtiger Vorfeldfragen soll aber den reinen Informationswert des eine eher deskriptiv-positivistische Methode voraussetzenden Buches nicht schmälern. Was die Fülle des lern- und lehrbaren Wissens über die Religionen der Welt anbetrifft, so kann dieses Werk aufgrund seines Faktenreichtums nur gelobt werden, zumal die in der Religionswissenschaft nach wie vor übliche Beschränkung auf das äußerlich Beschreibbare der Religionen in den meisten Fällen sinnvoll ist.

Freilich stößt diese positivistische Methode bei der Behandlung der immer wichtiger werdenden interkulturellen Probleme und gerade auch der sich aufdrängenden Fragen an die muslimische Welt an ihre Grenze. So werden z. B. die schwierigen Probleme der Entstehung des militanten islamischen Fundamentalismus aus einer antimodernistischen, mittelalterlichen Grundhaltung oder gar aus dem Geist der weltverändernden Moderne heraus kaum oder nur unzureichend behandelt. Gerade an den politischen Fragestellungen im Zusammenhang mit der „Begegnung der Religionen“ und dem diagnostizierten „Kampf der Kulturen“ sind sicherlich viele Leser interessiert. Diese Leser werden in diesem Buch kaum befriedigende Antworten auf ihre Fragen finden. In einem relativ neuen Buch über die Religionen der Welt (die englische Originalausgabe erschien erst 2002) wäre es aus religionswissenschaftlicher Sicht sicherlich wünschenswert gewesen, den gegenwärtigen Dialog der Religionen stärker zu berücksichtigen. Die traditionelle Beschreibung der Religionen als isolierte, voneinander scharf zu trennende Größen, trifft nicht mehr die heutige, unübersichtlicher gewordene religiöse Situation der Zeit, in der sich einerseits spirituelle Synkretismen und andererseits abgrenzungsorientierte Fundamentalismen immer stärker ausbreiten. Dies bedeutet: Die Religionen der Welt reagieren auf- und miteinander und verändern sich. In Bowkers Überblickswerk überwiegt dagegen die traditionelle isolationistische Betrachtungsweise der Religionen mit nur wenigen offenen Fenstern. Da der Schwerpunkt des Werkes auf den großen Weltreligionen liegt, bleiben für die Behandlung der sogenannten „Neuen Religionen“ nur vier Seiten übrig. Unter dem Titel „Neue Religionen“ werden durchdachtere religiöse Vorstellungen von der Stellung des Menschen im Kosmos, die es in der New Age-Bewegung auch gibt, in undifferenzierter Weise in die Nähe von fundamentalistischen oder kommerziell orientierten Sekten gerückt, die mit allzu einfachen Antworten auf komplizierte Lebensprobleme die Menschen zu gewinnen versuchen.

Hier wäre sicherlich weitere Differenzierungsarbeit zu leisten gewesen. So bleiben die allzu knappen Ausführungen zu den neuen Religionen eher unbefriedigend, zumal auch hier die Auswahl recht willkürlich erscheint, wenn zwar die japanische Sekte Aum Shinrikyo, nicht aber die chinesische, im Untergrund wirkmächtige Falun-Gong-Bewegung, berücksichtigt wird. Auch in den Ausführungen zur Chinesischen Religion, wo auf die Unterdrückung von Falun Gong kurz hingewiesen wird (S. 143), wird die nicht nur innenpolitische Brisanz der gegenwärtigen religiösen Renaissance im gegenwärtig immer stärker multikulturell geprägten China zwischen Tradition und Moderne (Marxismus, Kommerzialismus, Konfuzianismus, Taoismus, Buddhismus, Islam, Christentum) m. E. unterschätzt.

Aufs Ganze gesehen hätte dem Buch ein stärkerer Aktualitätsbezug sicherlich nicht geschadet. Andererseits werden viele der gegenwärtigen Probleme auf dem religiösen Feld erst vor dem Hintergrund der Geschichte der einzelnen Religionen voll verständlich. Eine Stärke des Buches liegt sicherlich in der Fülle von Material, die es zur Religionsgeschichte bietet. Lobenswert und hilfreich ist hier insbesondere die ausführliche Chronologie zu den einzelnen Religionen (S. 312- 319). Empfehlenswert ist dieses angesichts seiner Ausstattung doch relativ preisgünstige Buch deshalb für alle Leser, die an grundsätzlichen, wertneutralen Informationen über die Geschichte der „Religionen der Welt“ interessiert sind.

Wolfgang Gantke

Quelle: Informationen für Religionslehrerinnen und Religionslehrer Bistum Limburg 33 (2004), Heft 4, S. 266f.