Einsatz von Portfolio-Arbeit

Buchvorstellung - 16.05.2011

Anja Engel/ Thomas Wiedenhorn
Stärken fördern - Lernwege individualisieren
Der Portfolio-Leitfaden für die Praxis

Weinheim: Beltz Verlag 2010
200 Seiten,
ISBN 9-783-407-627-353

Anja Engel und Thomas Wiedenhorn legen einen Portfolio-Leitfaden für die Unterrichtspraxis vor, der allen Lehrerinnen und Lehrers eine wirkliche Hilfestellung für die Einführung dieses Steuerungsinstrumentes bietet. In 5 Praxisbeispielen werden Einsatzmöglichkeiten in unterschiedlichen Fächern und Lernarrangements vorgestellt. Die Vorstellung geschieht jeweils über eine übersichtliche und gut strukturierte Einleitung, die die Rahmenbedingungen des Portfolioeinsatzes, die Zielsetzung und den Themenbezug aufscheinen lässt und die konkrete Schrittigkeit der Arbeit mit dem Portfolio im Verlauf der Unterrichtseinheit darstellt. Zur Orientierung hilfreich sind auch das knappe Resümee unter der Rubrik „Erfahrungswerte der Lehrerin und Lehrer, Reflexion der Gesamteinheit“ und der eigene Kommentar.

Der Praxisteil enthält neben den Schülerarbeiten Arbeitsblätter, Elternbriefe, Diagnosebögen, Hinweise für Lehrer und Lehrerinnen etc. in Fülle. Damit bekommen m.E. alle diejenigen Lehrkräfte hilfreiches Material an die Hand, die schon immer einmal mit Portfolio arbeiten wollten, aber – unbegründete – Angst vor der Arbeitsbelastung hatten. An den vielen, gut strukturierten und übersichtlich gestalteten Vorlagen können sich Lehrer und Lehreinnen orientieren und bekommen wichtige Anregungen für eigene Ideen und Lösungsstrategien bei der Arbeit mit einem Portfolio im eigenen Fachunterricht. Sie sind Ergebnis der Auswertung portfoliogestützter Unterrichtsarrangements an Schulen in Baden-Württemberg mit empirischer Erfassung der Lehrer- und Schülereinschätzungen.
Das Vorhaben wurde von der Pädagogischen Hochschule Weingarten wissenschaftlich begleitet.

Dem Praxisteil ist ein theoretischer Teil vorangestellt, der das notwendige Hintergrundwissen zu Portfolio in gut leserlicher Diktion vorstellt. Klar strukturierte Grafiken visualisieren die Idee von Portfolio und beschreiben die Schrittigkeit der Einführungspraxis. Hier finden sich auch viele Argumente Pro Portfolio, die zur Überzeugungsarbeit genutzt werden können. Überzeugend sind auch die Darlegungen in Kapitel 4.: „Methodisch-didaktische Aspekte des Portfoliokonzepts“, trotz der Tatsache, dass Unterricht und Lernprozesse unter einem didaktischen Primat stehen und deshalb m.E. richtiger von „didaktisch-methodischen Aspekten“ gesprochen werden muss. Die Autoren definieren das Verhältnis von Allgemeiner Didaktik zu den jeweiligen Fachdidaktiken, beleuchten die didaktischen Schnittstellen in der Portfolioarbeit (4.2), bestimmen deren Relevanz für die Unterrichtspraxis (4.3) und resümieren: „Das Portfoliokonzept ist als Lehr- und Lerninstrument auf der Ebene der Unterrichtskonzepte verankert und berührt an verschiedenen Stellen die Aufgabengebiete der Allgemeinen Didaktik und bei entsprechender fachlicher Ausrichtung die Fachdidaktiken.“(29)

Im Zuge des sogenannten Paradigmenwechsels, der sich in den schulischen Lernprozesses mittels Kompetenzaufweis vollziehen soll, formulieren die Autoren Kompetenzraster und Standards als Förderaspekte ihrer Unterrichtsreihen bzw. des Portfolioeinsatzes und dokumentieren Schülerarbeiten als Erfolgsbelege. Sie verstehen Kompetenzerwerb in Anlehnung an Weinert als Fähigkeit der Performanz, d.h. als Fähigkeit und Fertigkeit zur Problemlösung in variablen Situationen. Der Kompetenzerwerb als komplexer Prozess sei nicht abbildbar, nur die Interaktion zwischen Lehrendem und Lernenden biete punktuelle Einblicke in den Verlauf. Deshalb sei es die Intention des Portfolioansatzes, „die Lernverläufe auf verschiedenen Ebenen abzubilden und über die Veröffentlichung den Kompetenzerwerb sichtbar werden zu lassen.“ (37)

In der unterrichtlichen Konkretisierung zeigen sich Bruchlinien, die die Autoren vorsichtig als Thesen formulieren. M.E. stechen zwei grundlegende Felder in der Analyse hervor. Zum einen geht es um die perspektivischen Blickwinkel auf Lehr-Lernprozesse und den Kompetenzerwerb. Hier müsse, so die Autoren, das Verhältnis von unterschiedlichen didaktischen Ansätzen und der Fachdidaktik genauer justiert werden, bzw. könne zu Überschneidungen führen. Zum anderen geht es um fachdidaktische Inhalte und einem individualisierten Lernprozess. Genauer gefasst um fachliche und administerielle Vorgaben (Bildungspläne etc.) auf der einen Seite und einem kompetenzorientiert organisierten Lernprozess mit einem individuellen, selbstbestimmten, prozessbegleitenden und als Steuerungsinstrument eingesetzten Portfolio auf der anderen Seite. Hier sind Kompromisse schwierig, weil diametrale Lernverständnisse zugrunde liegen. Die Autoren bieten einen Ausweg an, der sicherlich seinen pragmatischen Charme hat und in der pädagogischen Praxis ein erfolgreiches Modell ist, den Grundwiderspruch aber nicht zu lösen vermag: Ziel müsse es sein, jedem Schüler/jeder Schülerin eine selbstbestimmte Ausrichtung des Portfolios zu ermöglichen. „Um trotzdem einen Bezug zu Bildungsplänen realisieren zu können, sind inhaltliche Akzentuierungen über Pflichtaufgaben notwendig. Sie garantieren eine Anbindung an externe Vorgabenkataloge … (dürfen sich aber, F.W.) … nicht in der Abarbeitung von Aufgabenkatalogen“ erschöpfen. (34)

Das vorliegende Arbeitsbuch mit seinen vielen Anregungen bietet genau für diese Gradwanderung praxistaugliche Hilfestellungen und Materialien. Das vom Beltz-Verlag verantwortete Layout unterstützt die Praxistauglichkeit, Kopien dürfen für Schul- und Ausbildungsbelange angefertigt werden. Anja Engel und Thomas Wiedenhorn ist es gelungen, in knapper Form eine theoretisch fundierte Grundlage und kritisch reflektierte aussagekräftige Beispiele aus der Praxis für die Praxis von Lehrer und Lehrerinnen vorlegen, die Mut macht, eigene Schritte in der Anwendung portfoliogestützter Lern-Lernprozesse zu gehen.

Frank Wenzel