Navid Kermani
Wer ist wir?
Deutschland und seine Muslime
München: Verlag C.H. Beck. 2009
173 Seiten, 16,90 Euro
ISBN 978-3-406-57759-8
Können Worte ein Zuhause sein? Ja, meint Navid Kermani. „Die geschriebene deutsche Sprache ist meine Heimat; nur sie atme ich, nur in ihr kann ich sagen, was ich zu sagen habe." So schreibt der Schriftsteller und Orientalist in seiner neuen, wie gewöhnlich persönlich gehaltenen Publikation. Sähe er in einem Geschäft seine Bücher im Regal mit der nahöstlichen Literatur, gehe er gegen alle Gewohnheit und trotz seiner Schüchternheit zum Händler, nenne seinen Namen und bitte ihn, seine Werke zur deutschen Literatur zu stellen.
Und das Label "Migrantenliteratur" sei ihm zuwider. "Meine Literatur ist deutsch.“ Kermani, dessen Prominenz jüngst durch den Streit um den Hessischen Kulturpreis weiter gewachsen ist, warnt vor allem davor, Migranten auf ihren Glauben zu reduzieren und damit die eigentlichen Integrationsprobleme aus den Augen zu verlieren. In der gesamten Integrationsdebatte gehe es leider zu sehr darum, was für und gegen den Islam spreche. Damit würden alle anderen Eigenschaften der Einwanderer ausgeblendet – etwa woher sie stammten, wo sie aufgewachsen sind, wie sie erzogen wurden oder welchen Bildungsgrad sie haben. Kermani sieht darin einen Versuch, etwas festzulegen, was in Wirklichkeit vielfältiger, ambivalenter und durchlässiger sei. Es sei gefährlich, wenn eine einzige Eigenschaft bestimmend werde. Kermani selbst ist Muslim, gleichzeitig aber auch habilitierter Orientalist, Familienvater, Regisseur und Schriftsteller; es kommt für ihn nicht in Frage, sich nur als Muslim zu definieren. Und er unterstreicht: „Parallelgesellschaften, Bildungsgefälle, die Benachteiligung der Frau sind nicht nur theologisch zu erklären, sondern haben soziale Ursachen.“
Die Frage, ob der Islam in Europa integrierbar sei, hält Kermani für müßig. Denn den Islam gebe es nicht. Für sich betrachtet sei etwa der Koran weder ein Manifest noch ein Pamphlet gegen die Moderne, die Demokratie und das deutsche Grundgesetz. In der Diskussion um Integration komme es darauf an, sich nicht selbst zu verleugnen, sondern den anderen zu achten. Nur wer sich selbst respektiere, könne auch Respekt erwerben. Dabei sei es wichtig, dass die heimische Kultur nicht schamhaft in den Hintergrund gerückt, sondern gepflegt werde. Anschaulich beschreibt Kermani dies am Schulalltag seiner Tochter, die eine katholische Grundschule besucht. Die gegenwärtige Berichterstattung der Medien verfolgt der Autor kritisch. Das Zusammenleben in der Gesellschaft funktioniere weitaus besser und die Toleranz gegenüber den Muslimen sei weitaus größer, als dies die Presse darstelle. Was die Integration in Deutschland angeht, ist Kermani optimistisch. Denn Deutschland sei heute ungleich weltoffener als noch vor zwei, drei Jahrzehnten und habe sich längst an die Einwanderung gewöhnt. Kermanis Buch überzeugt, weil es die derzeitige Diskussion um den Islam und die Debatte um Integration so scharfsinnig wie unaufgeregt analysiert.
Christine Leuchtenmüller
Quelle: Eulenfisch Literatur 3 (2010), Heft 2, S. 62. [Literaturbeilage von Eulenfisch. Limburger Magazin für Religion und Bildung]