Tariq Ramadan
Muhammad
Auf den Spuren des Propheten
München: Diederichs Verlag. 2009
284 Seiten, 21,95 Euro
ISBN 978-3-424-35020-3
Tariq Ramadan ist eine der bekanntesten und zugleich umstrittensten Stimmen des Islam in Europa. Der in Genf geborene Publizist ägyptischer Herkunft hat in einer Reihe von Schriften die Themen muslimische Identität und Religiosität in der westlichen Welt diskutiert und dabei einen Ton angeschlagen, der sehr unterschiedliche Aufnahme fand. Halten einige ihn für eine Stimme der Mäßigung, Öffnung und Integration, zeichnen ihn andere als Wolf im Schafspelz, der hinter einem Schleier friedfertiger Islam-Apologie einem kämpferischen politischen Islam und einer Islamisierung Europas das Wort redet. Wenn Ramadan, der heute an der Universität Oxford arbeitet, eine Muhammad-Biographie vorlegt, darf man also gespannt sein, in welches Licht er den islamischen Propheten rückt und welche Inhalte er mit dessen Sendung verbindet.
Interessant ist auch die Frage des Zugangs: Geht es Ramadan um eine wissenschaftliche Sicht auf Muhammads Leben? Und liest er die Quellen auf so kritische Weise, dass er den Überhöhungen der traditionellen muslimischen Prophetenbiographie entkommt und den historischen Muhammad in den Blick nimmt?
Zumindest die letzte Frage ist klar mit Nein zu beantworten. Der Muhammad, der uns aus Ramadans Werk entgegentritt, ist von der ersten bis zur letzten Seite nicht der Muhammad der Forschung, sondern der Muhammad des Glaubens. Wer eine wissenschaftlich fundierte Arbeit zum Thema sucht, sollte sich von der Charakterisierung Ramadans auf dem Schutzumschlag als „Europas führender Islamwissenschaftler“ also nicht in die Irre führen lassen. Doch es gibt andere Gründe, das Buch zu lesen: Zum einen erfährt man daraus etwas über Tariq Ramadan; zum anderen vermittelt es ein ausführliches Bild von dem, was die große Mehrheit der Muslime von ihrem Propheten glaubt, weiß und für wichtig hält. Wie umfangreich und wie persönlich das ist, ist für die meisten westlichen Leser wohl eine Überraschung. In seiner Fülle an intimen Details, an Namen von Freund und Feind sowie an Begebenheiten aus dem Leben Muhammads nimmt sich Ramadans Buch aus wie eine Homestory des Propheten. Der Mensch Muhammad, der hier vorgestellt wird, agiert in einem familiär, tribal und politisch hoch komplexen Umfeld, wobei seine außergewöhnliche Persönlichkeit ihn meist über alle Zeitgenossen hinausragen lässt. Eigenschaften wie seine Spiritualität, Ehrlichkeit, Demut, Intelligenz und Liebe zu den Menschen sind es, die Ramadan nicht müde wird zu betonen. Aber auch von einer starken Emotionalität, von Ängsten und Zweifeln sowie von gelegentlichen Irrtümern ist die Rede, die den Propheten in einem ständigen Lernprozess aber voranbringen. Die Idealisierung ist hier also so komplett, dass sie auch den vorbildlichen Umgang mit den eigenen Schwächen und Fehlern miteinschließt. Und diese vorbildhafte Natur Muhammads herauszustellen ist das Hauptziel des Autors.
Mit diesem Muhammad-Bild ist Ramadan keineswegs originell, und das gilt auch für seine Wahl der Geschichten und Quellen. Fast alle hier dargelegten Details hat Ramadan den klassischen muslimischen Quellen entnommen: der Biografie von Ibn Hischam und den gängigen Werken der Prophetentradition, des Hadith. Er liegt damit klar im Bereich des traditionellen Mainstreams, auch wenn er an einigen Stellen – etwa mit Blick auf die Himmelsreise Muhammads – eine Tendenz zur Rationalisierung durchblicken lässt. Ganz der überkommenen Sichtweise entspricht auch die Schilderung von Muhammads Verhalten in den von ihm durchlebten Konflikten und bewaffneten Auseinandersetzungen. Da sind es grundsätzlich immer die anderen, die den Streit suchen, den Verrat planen, den Frieden bedrohen, während Muhammad die Macht, nach der er zunehmend greift, immer nur als Mittel zum guten Zweck nutzt: der Erfüllung des auf ihn gekommenen göttlichen Auftrags der Wahrheit, Einheit, Brüderlichkeit, Gerechtigkeit und Vernunft.
Geschrieben hat Ramadan sein Buch, so sagt er, für Muslime und Nicht-Muslime, und abgesehen davon, dass derartige Geschichten eher den Geschmack von Gläubigen treffen, ist tatsächlich selten ein konkreter Angesprochener zu erkennen. Anders ist das in einer Passage über die Hidschra, die Auswanderung der frühen Gemeinde von Mekka nach Medina. Sie wird in Ramadans Lesart zu einer Modellerfahrung für die muslimischen Migranten in der westlichen Welt: Wie passt man sich an eine „fremde“ Kultur an und bewahrt dabei den Kern der eigenen Herkunftskultur? Welche der mitgebrachten Bräuche waren bloß mekkanisch und insofern verzichtbar, und welche waren als Essenz des Islam unbedingt zu erhalten? Offenheit und Anpassungsfähigkeit bei Treue den eigenen Grundsätzen gegenüber sind die Prinzipien, denen die Muslime im Auftrag ihres Propheten hier gefolgt seien. Diese Botschaft wird viele auf den ersten Blick erfreuen. Wenn man bedenkt, dass Medina nach heftigen und von Ramadan muslimischerseits stets gerechtfertigten Auseinandersetzungen am Ende islamisch wurde, scheint aber auch der Islamisierer durch.
Thomas Hildebrandt
Quelle: Eulenfisch Literatur 3 (2010), Heft 2, S. 58f. [Literaturbeilage von Eulenfisch. Limburger Magazin für Religion und Bildung]