Thomas Ruster
Die neue Engelreligion
Lichtgestalten – dunkle Mächte
Kevelaer: Verlag Butzon & Bercker. 2010
264 Seiten, 17,90 Euro
ISBN 978-3-7666-1356-1
Schülerinnen, die in ihrer Freizeit Tische rücken, Anhänger der Gothik-Szene, die durch ihre schwarze Kleidung und einen unverwechselbaren Musikgeschmack auffallen – welcher Religionslehrer hätte das nicht schon erlebt? In den achtziger und neunziger Jahren war Okkultismus ein weitverbreitetes Hobby und wurde von den Sektenbeauftragten entsprechend kritisch beäugt. Der Okkultismus hat beinahe unbemerkt einen Nachfolger gefunden, dem sich der Dortmunder Dogmatiker Thomas Ruster in seinem jüngsten Buch widmet: die neue Engel- (und Dämonen-) Religion.
Und sie ist – zumindest nach Meinung des Autors – an den (katholischen) Glauben anschlussfähiger als die Trends der vergangenen Jahrzehnte. Ruster informiert zunächst gründlich über „Hilfreiche Helfer“, „Satanische Mächte“ und „Dunkle Kräfte“. Dabei wird deutlich, dass die Engelmedien – in der Regel geschäftstüchtige Damen mittleren Alters – nicht nur intensiven Umgang mit „höheren Welten“ pflegen, sondern sich auch in einem wesentlichen Punkt vom christlichen Engelglauben distanzieren: Eine Hochgottheit jenseits der Engel, wie sie monotheistischen Religionen eigen ist, kommt in ihren grob zusammengezimmerten Weltbildern nicht mehr vor. Und die Engelreligion, der Ruster auch die satanistische Black-Metal Musikszene zurechnet, „ist ganz und gar eine Religion der Bedürfnisse, aus Bedürfnissen entstanden und auf die Erfüllung von Bedürfnissen ausgerichtet“.
In den folgenden Kapiteln durchschreitet Ruster die Geschichte des christlichen Engelglaubens von seiner Entstehung in der spätantiken Theologie über die an Swedenborgs Engelwelten geschärfte Erkenntniskritik Kants bis zur vermeintlichen Ignoranz zeitgenössischer Theologie gegenüber den Engeln. Thomas Ruster konnte natürlich nicht wissen, dass zeitgleich mit seiner „Engelreligion“ die ausgesprochen lesenswerte Angelologie des Potsdamer Theologen und Religionswissenschaftlers Johann E. Hafner erscheinen würde, die in Vielem genauer arbeitet und weniger apologetisch daherkommt als Rusters bewusst populär gehaltene Darstellung. Und in einem – für sein Buch zentralen – Punkte kann man Ruster nur schwer zustimmen, dass nämlich „die Engelreligion […] dem Christentum die verlorene Wirklichkeit des Himmels wieder erschließen könne“. Denn ihr Himmel ist doch ein Himmel ohne Gott und die neuen Engel dienen – wie Ruster selbst feststellt – der Bedürfnisbefriedigung, das heißt, Menschen erfahren von ihnen nur, was sie eh schon wissen. Fremder kann eine Religion dem Christentum nicht sein, und wenn sie ihm noch so ähnlich sieht.
Joachim Valentin
Quelle: Eulenfisch Literatur 3 (2010), Heft 2, S. 51. [Literaturbeilage von Eulenfisch. Limburger Magazin für Religion und Bildung]