Günter Jena
„Brich an, o schönes Morgenlicht“
Das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach
Topos Tb. Bd. 708
Kevelaer: Verlagsgemeinschaft topos plus. 2009
254 Seiten, 12,90 Euro
ISBN 978-3-8367-0708-4
Bachs Weihnachtsoratorium von 1734 gilt als sein beliebtestes Vokal-Großwerk. So mancher Fachmann allerdings bewertet das sechsteilige Werk zurückhaltender; denn die meisten Chorsätze und Arien sind keine Originalkompositionen, sondern entstammen weltlichen Werken. Bach hat hier – wie später bei der h-Moll-Messe – im sogenannten Parodieverfahren das musikalische Material dem neuen geistlichen Text angepasst.
Günther Jena, langjähriger Kirchenmusikdirektor an St. Michaelis in Hamburg, bewertet im vorliegenden Buch dieses Verfahren positiv: Damit zeige Bach, wie sehr ihm der Erhalt dieser Tonschöpfungen am Herzen lag. Überhaupt sei die Unterscheidung sakral-profan für ihn weniger bedeutsam gewesen, da jede Musik letztlich der Ehre Gottes und Erbauung der Menschen dienen solle. Nach einer Einleitung erläutert der Autor die 64 Einzelsätze in der Abfolge der auf sechs Tage verteilten Kantaten. Der Kantatentext ist der Analyse jeweils vorangestellt. Auf eine vollständige Partitur kann der Leser verzichten, weil an wichtigen Stellen Notenbeispiele (insgesamt 150) abgedruckt sind.
Das Buch wendet sich vor allem an den interessierten musikalischen Laien. Fachausdrücke werden nur gebraucht, wo sie unverzichtbar sind. Überdies werden 56 musikalische Begriffe nochmals in einem Glossar erklärt. In metaphernreicher Sprache gelingt eine gut lesbare, teilweise spannende Darstellung mit zahlreichen musikgeschichtlichen und literarischen Bezügen sowie mit Hinweisen auf allgemein menschliche Phänomene. Man erfährt, wie musikalische Figuren den Text ausdeuten, wie bestimmte Instrumente die Aussage verstärken („Liebesoboen“ der Hirten, Flöten der Engel) und wie eine bestimmte Tonart einem Stück seinen besonderen Charakter aufprägt. Zwei Intermezzi informieren allgemein über die Entstehung und Überlieferung des Werks sowie über Bachs symmetrische Kompositionsanlage. Zur Verdeutlichung dieser Symmetrie ist bei allen Chorsätzen und Arien eine passende Gebäudeskizze abgebildet. Günther Jena schreibt als bachbegeisterter Praktiker, der das Oratorium oftmals dirigiert hat. Er weiß den symbolischen Gehalt von Bachs Tonsprache anschaulich zu vermitteln. 17 Abbildungen (Notenhandschriften und künstlerische Darstellungen) bereichern die Ausführungen. Immer wieder wird greifbar, wie die musikalische Genialität des Leipziger Thomaskantors den Autor persönlich betroffen macht. Wer die Anstrengung der 230 Seiten hinter sich gebracht hat, wird das Oratorium bei nächster Gelegenheit mit vertieftem Verständnis und geistlichem Gewinn hören.
Eckhard Jaschinski
Quelle: Quelle: Eulenfisch Literatur 3 (2010), Heft 2, S. 29. [Literaturbeilage von Eulenfisch. Limburger Magazin für Religion und Bildung]