Exegetische Arbeit am Bibeltext - Textkritik

Buchvorstellung - 03.03.2011

Bart D. Ehrmann
Abgeschrieben, falsch zitiert und missverstanden
Wie die Bibel wurde, was sie ist

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. 2009
256 Seiten, 9 S/W-Fotos, 22,95 Euro
ISBN 978-3-579-06450-5

Der Titel lässt eigentlich nichts Gutes ahnen – es klingt, als sei im Gefolge von Dan Brown und Konsorten wieder einmal ein pseudo-aufklärerisches Buch über die Bibel verlegt worden, das mehr verwirrt und mit Verschwörungstheorien aufwartet als es informiert. Doch passen Publikationen dieser Art nicht zum Verlag, und der Autor selbst ist in der Szene kein Unbekannter, sondern ein ausgewiesener Fachmann für Textkritik, der sich nicht scheut, auch unbequemen Anfragen auf den Grund zu gehen.

So ist es denn letztlich auch gedacht: In seinem Buch will Ehrmann Laien an die Hand nehmen und für die Fragestellungen einer soliden wissenschaftlichen Textkritik sensibilisieren. Der etwas reißerische Titel steht diesem Anliegen dabei nicht im Wege, auch wenn er genau genommen etwas unscharf ist, da nicht die ganze Bibel, sondern nur das Neue Testament besprochen wird. Das ist schade und weckt den Wunsch nach einem zweiten Band, denn die selbst gestellte Aufgabe wird ganz hervorragend gelöst. Sehr gelungen beispielsweise ist Ehrmanns biographischer Einstieg: Während er anschaulich von seiner Jugend- und Studienzeit und seinen Erlebnissen als wiedergeborener Christ, von fundamentalistischen und evangelikalen Christen und Colleges erzählt, findet ganz nebenbei eine Einführung in unterschiedliche Schrifthermeneutiken statt.

Wie die Heilige Schrift zu verstehen ist, wird zum Schlüssel für das ganze Buch, und mittels seiner eigenen Damaskuserlebnisse zum Schriftverstehen öffnet er Leserinnen und Lesern die Augen für ihren je eigenen Zugang. Derart für die Thematik sensibilisiert, lesen sich die einzelnen Kapitel wacher und gleichzeitig ungeduldiger, weil immer die Frage mitschwingt, was Varianten im Text für die Rezeptionsgemeinschaft(en) dieser Texte austragen. Anhand einer Vielzahl anschaulicher Beispiele unternimmt Ehrmann einen unterhaltsamen Streifzug durch die Textkritik, klärt über ihre Hermeneutik, Geschichte und Techniken auf und stellt überzeugend dar, wo textkritische Fragen ein viel größeres theologisches Potential bergen, als man das auf den ersten Blick vermuten würde. Sprachlich einfach zu bewältigen und mit vielen Wiederholungsschleifen sorgt der Text dafür, dass kein Leser verloren geht und sich jedes Kapitel auch einzeln lesen lässt, was insbesondere Praktiker erfreuen dürfte. Die kleinschrittige Vorgehensweise kommt dabei den Neulingen sehr entgegen. Fazit: Ein gelungenes Buch für den Einsatz in Schule und Pastoral, zur gemeinsamen Lektüre und zum eigenen Lesevergnügen – selbst Studierende können hier einen guten Erstkontakt mit der Textkritik herstellen.

Sandra Hübenthal

Quelle: Eulenfisch Literatur 3 (2010), Heft 2, S. 6. [Literaturbeilage von Eulenfisch. Limburger Magazin für Religion und Bildung]