Das Thema Gott im RU der Oberstufe

Buchvorstellung - 12.01.2011

Peter Kliemann/ Andreas Reinert
Thema: Gott
Lehrerkommentar

Stuttgart: Calwer Verlag. 2009
133 Seiten 13,90 Euro
ISBN 978-3-7668-3958-9

Das Schülerheft des Unterrichtswerks „Thema: Gott“ für die Oberstufe ist vor allem bunt. Es liegt irgendwo zwischen GEO und NEON. Kein Text ist heil aus dem Umbruch gekommen, auf jeder Seite herrscht ein mehrschichtiges Gedränge. Hinter, neben und zwischen den Texten: Farbige Hinterlegungen, Symbole, Grafiken, Textbänder über mehrere Seiten, Kunst und Krempel. Mit kleinen Signets plaudern in der Fußzeile Papagei und Leopard bibelkundig über die Theodizee. Aber all das ist Absicht: Die Elementarisierung und die Gestaltung sollen den Wahrnehmungsgewohnheiten heutiger Schülerinnen und Schüler entgegenkommen. Das Layout soll Appetit machen. Gleichzeitig soll aber eine Argumentationsfigur klar erkennbar werden, die zur Diskussion einlädt.
 

 Die Aufgabe ist nicht leicht; möglicherweise ist sie nur auf die Weise zu lösen, die Kliemann und Reinert gewählt haben. Dem farbigen Schülerheft wird ein umfangreicher Lehrerkommentar beigegeben; und wahrhaftig gewichtig ist der Materialband. Um die Verhältnisse deutlich zu machen: 48 Seiten des Schülerheftes werden sekundiert von 133 Seiten Lehrerkommentar und 456 Seiten Materialband, jeweils im A4-Format. Allein zum Thema Trinität finden sich 70 Seiten Texte unterschiedlicher Gattungen, theologisch und literarisch in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden.
Neben das Schülerheft lege ich den entsprechenden Band aus dem guten alten „Forum Religion“ von Werner Trutwin. Der hat seit 1984 nun schon mehrere Schülergenerationen im katholischen Religionsunterricht der Oberstufe begleitet und wurde im Jahr 2000 noch einmal aufgelegt. Mit dem Blick darauf wird mehrerlei deutlich: Die Prolegomena, also die Versuche einer zeitgemäßen Wegbereitung und Annäherung für die Schülerinnen und Schüler, sind bei Trutwin sparsam. Und man konnte sie 1984 vielleicht auch noch für verzichtbar halten. Im Werk von Kliemann und Reinert sieht die Sache ganz anders aus: drei der neun Kapitel sind gewissermaßen hinführend, suchen nach der Zeitgenossenschaft explizit (wobei sie auch in den anderen Kapiteln immer und immer wieder gesucht und hergestellt wird).

Will man die Schülerinnen und Schüler im Jahr 2009 in die Räume des Gott-Denkens hineinführen, muss man ihnen den Teppich sehr weit ausrollen.

Das Zweite: Trutwin verwendet in seinem „Forum Religion“ hauptsächlich Bilder der musealen Hochkultur: Viel Barlach, Rembrandt, daneben El Greco und Goya; ein bisschen Monochromes von Yves Klein, Farbtafeln von Max Beckmann und Jawlensky als Tribut an die Moderne. Kliemann und Reinert decken ein größeres kulturelles Spektrum ab: Auch hier mittelalterliche Tafelbilder, auch hier Michelangelo und barocke Epitaphe, auch hier moderne Kunst, documenta-Installationen und Fotomontagen – aber überall, daneben und dazwischen, sieht man, was Jugendkultur sein könnte: Alltags- und Gebrauchsgrafik, Spielwiese der Illustratoren bis an die Grenzen des Trash. So kann Zeitgenossenschaft aussehen.
Aber was passiert hier eigentlich? Es entstehen Bezüge -merkwürdige, neue, die teilweise von den Autoren selbstverständlich nahegelegt sind, die aber auch ungeplant entstehen könnten. Nur so wird die teilweise anstrengende Fülle der Gestaltung verständlich und sinnvoll. Auf der Doppelseite über Theodizee lande ich zum Beispiel zwischen Leibniz und Schopenhauer nicht nur in der Alternative der besten und der schlechtesten aller Welten, sondern - durch die Seitengestaltung mit einem dominierenden Urwaldbild -assoziativ eben auch im Dschungelcamp, was angesichts der Theodizeefrage von eigenem Reiz ist.

Manchmal hat die assoziative Leichtigkeit ihre Gefahren. Da taucht so ganz nebenbei, in einem Sprechblasendialog aus Eric-Emmanuel Schmitts „Oskar und die Dame in Rosa“ die Frage nach dem Leiden Gottes auf und es wird nicht deutlich, kann es auch hier nicht, was für eine theologische Großbaustelle hinter einem solchen Satz liegt.

Wie kann und soll man jetzt mit dem Unterrichtsmodell arbeiten? In der Kombination von Schülerheft, Lehrerkommentar und Materialband kann man mit „Thema: Gott“ ganz verschiedene Anforderungen abdecken, die sich unter dem Stichwort Heterogenität der Lerngruppen verhandeln lassen. Für jedes Thema sind unterschiedliche Zugänge vorgeschlagen, unterschiedliche Vertiefungen. Vierzig verschiedene Klausurtexte werden im Lehrerkommentar mitgeliefert; aber als Rohfassung, ohne vorgegebene Fragen - diese müssen die Religionslehrerinnen und Religionslehrer dann aus dem tatsächlich erlebten Unterricht heraus erarbeiten. Zu jedem Kapitel wird eine ganze Reihe von Präsentationsthemen mit Literaturhinweisen aufgelistet. Der Materialband erfüllt eine doppelte Funktion: Er bietet mit ausführlichen theologischen Artikeln eine gute Hintergrundinformation für die Lehrerhand. Sie können sich mit seiner Hilfe in die Einzelthemen noch einmal einarbeiten; gleichzeitig ist es eine Fundgrube für Texte, die man mit den Schülerinnen und Schülern erarbeiten kann. Der Lehrerkommentar erschließt die Kunstwerke, gibt weiterführende Hinweise. Der Schüler, der mit dem Schülerheft alleine gelassen ist, kann mit ihm allerdings wenig anfangen, denn er findet keinerlei Namen von Künstlern und ihren Werken, so dass der Lehrerkommentar fast den Charakter von Herrschaftswissen erhält.

Das Unterrichtsmodell wird dann gut funktionieren, wenn es auf Religionslehrerinnen und Religionslehrer trifft, die frei genug sind, sich von dem Bild- und Textmaterial und von ihren Schülerinnen und Schülern in ganz unterschiedliche Richtungen führen zu lassen. Sie finden für viele mögliche Reise-Wege mit dem „Thema: Gott“ mehr als genug Proviant.

Peter-Felix Ruelius

Quelle: Eulenfisch Literatur 3 (2010), Heft 1, S. 46f. [Literaturbeilage von Eulenfisch. Limburger Magazin für Religion und Bildung]