Kirchenhistorischer Atlas

Buchvorstellung - 16.11.2010

Erwin Gatz (Hg.) in Zusammenarbeit mit Rainald Becker, Clemens Brodkorb und Helmut Flachenecker
Atlas zur Kirche in Geschichte und Gegenwart
Heiliges Römisches Reich – Deutschsprachige Länder

Regensburg: Verlag Schnell & Steiner 2009
376 Seiten 46,00 Euro
ISBN 978-3-7954-2181-6

197 farbige und 33 schwarz-weiße Karten veranschaulichen die Entwicklung der christlichen Kirchen in den ehemals zum Heiligen Römischen Reich gehörigen und heute weitgehend deutschsprachigen Ländern. Sie ersetzen damit nicht den von Hubert Jedin 1970 herausgegebenen und zuletzt 2004 in einer Sonderausgabe erschienenen „Atlas zur Kirchengeschichte“. Für den mitteleuropäischen Raum bietet der Gatz-Atlas allerdings eine deutliche und von der Wissenschaft sicher dankbar aufgenommene Vertiefung an.

 Der Atlas versteht sich als Fortsetzung des ebenfalls von Erwin Gatz verantworteten zweibändigen Lexikons über die Bistümer im Heiligen Römischen Reich und den deutschsprachigen Ländern (Freiburg: Herder 2003-2005). Deshalb gilt das erste Interesse des Herausgebers der Entwicklung der Diözesangrenzen und ihrer (Nicht-)Übereinstimmung mit den staatlichen Grenzen. Für die ersten Spuren des Christentums in Mitteleuropa sind wir zur Rekonstruktion vor allem auf archäologische und (manchmal nicht zu bestätigende) schriftliche Zeugnisse angewiesen. Die ersten Karten zeichnen diesen Prozess nach, einschließlich der besser bezeugten Entwicklung in den Metropolen Aquileia, Trier und Köln. Für die mittelalterliche Geschichte wurden drei Stichproben gewählt: das stetig erweiterte Netz der Bistümer, die Filiationen der Zisterzienser um 1200 sowie mehrere instruktive, nach Diözesen strukturierte Karten über Wallfahrtsziele um die Mitte des 15. Jahrhunderts.

Einen ersten Schwerpunkt des Atlas bildet die Zeit um 1500 am Vorabend der Reformation. Eine Übersichtskarte aller Bistümer sowie der geistlichen Territorien wird ergänzt durch 60 Einzelkarten der Diözesen und Stadtpläne wichtiger Bischofssitze, aus denen die Pluralität der geistlichen Institutionen in den Städten deutlich hervorgeht.

Die Reformation veränderte die religiöse Topographie Deutschlands in großem Ausmaß. Dafür stehen einige Beispiele reformierter und gemischtkonfessioneller Territorien und eine Karte der Jesuitenniederlassungen zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Der nächste zeitliche Einschnitt ist die Mitte des 18. Jahrhunderts. Auch hierfür werden wieder alle Bistümer kartografiert. In Bezug auf die Wallfahrtsziele zeigen sich in den ausgewählten Diözesen, etwa Würzburg, deutliche Veränderungen zur vorreformatorischen Periode. Der Zeitabschnitt um 1750 gibt im Wesentlichen den Stand des Normaljahrs 1624 wieder. Wenige Jahrzehnte später setzten zunächst mit der Aufklärung, dann mit der Säkularisation und der Neuordnung nach dem Wiener Kongress umfangreiche Neuumschreibungen der Diözesen ein. Ihre Kartierung zeigt, welche Einschnitte die Revolutionen und Kriege der Jahrzehnte um 1800 auch für die kirchliche Struktur bedeuteten. Dass die konfessionelle Landkarte mittlerweile sehr bunt war, machen Karten der evangelischen Landeskirchen um 1900 sowie der Konfessionsverteilung deutlich.

Für das 20. Jahrhundert stellt Gatz zunächst die Entwicklung der Bistümer in den nach 1945 als deutsche Gebiete nicht mehr existierenden Teilen des Reiches dar. Nach einer Übersichtskarte über die gegenwärtige Diözesaneinteilung und einer sehr instruktiven Karte über die Dichte der katholischen Bevölkerung in Deutschland in der Gegenwart folgen in einer dritten Detailübersicht die einzelnen Bistümer der deutschsprachigen Länder. Karten zur Gliederung der evangelischen Kirchen in Deutschland, Österreich und der Schweiz runden das Kartenwerk ab.
Erwin Gatz hat mit einem großen Mitarbeiterteam ein wichtiges Buch vorgelegt, das zu einem Standardwerk werden wird. Die sorgfältig gezeichneten und übersichtlichen Karten regen zum Betrachten an. Kurze Texte mit Literaturangaben führen in die Problematik der Geschichte der einzelnen Bistümer ein. So entsteht ein Werk, das für Schule und Universität unentbehrlich ist. In der Verbindung von Diözesan- und Landesgeschichte wird ein Panorama entworfen, das Kirche als wandlungsfähige und stets zu Anpassungen bereite Institution zeigt. Dem Herausgeber, den Autoren und dem Verlag sei ausdrücklich zu dieser Leistung gratuliert.

Joachim Schmiedl

Quelle: Eulenfisch Literatur 3 (2010), Heft 1, S. 12f. [Literaturbeilage von Eulenfisch. Limburger Magazin für Religion und Bildung]