Der biblische Sündenfall und seine Folgen

Buchvorstellung - 28.10.2010

Willibald Sandler
Der verbotene Baum im Paradies
Was es mit dem Sündenfall auf sich hat
Topos Tb. 689

Kevelaer: Verlagsgemeinschaft topos plus 2009
208 Seiten 11,90 Euro
ISBN 978-3-8367-0689-6

Als Fachwissenschaftler für Nichtfachleute verständlich und richtig zugleich zu schreiben, ist oft schwieriger als das Schreiben im wissenschaftlichen Binnenraum, in dem Fachbegriffe bekannt und komplizierte Sätze die Regel sind. Einen schwierigen Inhalt zu vereinfachen, ohne ihn unstatthaft zu verkürzen, ihn auf seine zentralen Punkte zu reduzieren, ohne ungebührlich zu vereinseitigen – und dabei noch einen gewinnenden, leserfreundlichen Stil zu pflegen und von der Relevanz des Themas zu überzeugen, gelingt nur wenigen.

Willibald Sandlers Rekonstruktion der Theologie des Sündenfalls gehört zu diesen gelungenen Beispielen solcher – im besten Sinn des Wortes – populärwissenschaftlicher Literatur.

Er erläutert die biblische Erzählung vom Sündenfall und seinen Folgen als „das exemplarische Beispiel des verlorengehenden Gottes“ und damit als narrative Entfaltung des Menschen im Angesicht Gottes. „Als Geschichte vom verlorenen Gott ist sie [die Erzählung vom Sündenfall] zugleich die Geschichte vom verlorenen Nächsten, von der verlorenen Welt, vom verlorenen Selbst.“ Sandler ist weit davon entfernt, die christliche Rede von der (Erb-) Sünde scheinbar „modern“ erst in altbackenen Stereotypen von Leibverachtung, Frauenfeindlichkeit, aufklärungsresistenter Gestrigkeit und kirchlichem Machtgehabe zu präsentieren und sie dann als nicht mehr bedenkenswert, ja, glücklich überwunden abzutun. Vielmehr entwickelt er, biblisch- und systematisch-theologisch versiert, eine theologische Menschenkunde. Er zeigt den Reichtum der christlichen Anthropologie, die die Tiefendimensionen des Menschen im Bösen wie im Guten auslotet, indem sie seine Gottesbedürftigkeit wahrnimmt und als hermeneutisches Kriterium all seiner Bezüge in Anschlag bringt. Dabei erschließen sich Schuld und Verhängnis, Scham, Solidaritätsverlust und Gottes-scheu, die Mechanismen der Begierde, Rivalentum, Täuschung und Voyeurismus ebenso wie ihre Pendants auf der Seite gelingenden, weil in Gott verankerten Lebens: die Erfahrung von Freiheit, Gutheißung und gelingender Liebe, die Verdanktheit menschlicher Existenz, die Verheißung eines erfüllten, wahrhaft reichen Lebens, die unauslotbare Würde und Besonderheit jedes Einzelnen – mehr und Gehaltvolleres also, als – mit Verlaub – Titel und Cover des Buches vermuten lassen.

Griffige Beispiele, erfahrungsnahe Erläuterungen, zeitdiagnostische Sensibilität, markante Sätze und Zitate, einschlägige Visualisierungen und eine hervorragende Leserführung prägen den Gesamteindruck des Buches, das jedermann (und jederfrau) zu empfehlen ist, der (die) bereit ist, einmal neu auf Altes zu schauen und dem christlichen Blick auf Welt, Mensch und Geschichte erhellende Kraft zuzutrauen – heute nicht weniger als gestern.

Julia Knop

Quelle: Eulenfisch Literatur 3 (2010), Heft 1, S. 8. [Literaturbeilage von Eulenfisch. Limburger Magazin für Religion und Bildung]