Frank Crüsemann / Kristian Hungar / Claudia Janssen / Rainer Kessler / Luise Schottroff (Hg.)
Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2009
XII + 775 Seiten 68,00 Euro
ISBN 978-3-579-08021-5
Als Werk von fünf Editorinnen und Editoren sowie 75 Autorinnen und Autoren, die größtenteils an Fakultäten und Instituten für (evangelische) Theologie tätig sind, ist im Gütersloher Verlagshaus ein „Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel“ erschienen. Es soll laut Editorial „Hebammendienste“ für das bessere Verständnis biblischer Geschichten leisten. Die rund 200 Artikel greifen von „Abgabe“ bis „Zeuge/Zeugin“ Begriffe aus der Lebenswelt der Menschen auf und erschließen sie für die Zeit der Bibel.
Das Interesse an den sozialen Verhältnissen und die Darstellung ihrer geschichtlichen Veränderungen zeichnen das „sozialgeschichtliche“ Wörterbuch aus. Es umfasst den persönlich-individuellen Bereich (z.B. in Artikeln wie „Körper“, „Körperpflege“), erschließt die familiäre Lebenswelt (z.B. „Ehe“, „Kinder“) und erstreckt sich auf das wirtschaftliche (z.B. „Landwirtschaft“, „Handel“), religiöse (z.B. „Gottesdienst“, „Religiöse Bewegungen“) und politische (z.B. „Macht“, „Rechtswesen / Rechtsprechung“) Gesellschaftsleben. Nach Meinung der Herausgeber wird dadurch – ergänzend zu Nachschlagewerken für Personen- und Ortsnamen – eine Lücke auf dem Gebiet biblischer Wörterbücher geschlossen.
Drei Rückfragen an das voluminöse Werk, nach der Gesamtanlage, nach den hermeneutischen Voraussetzungen und nach der Eigenart einzelner Artikel drängen sich auf:
Erstens: Die Editoren haben sich für ein alphabetisch geordnetes Wörterbuch entschieden, obwohl man den Autoren gemäß dem Vorwort Artikelgruppen zur Bearbeitung gegeben hatte, die sachlich in Hauptartikel mit zusätzlichen Stichworten und Kurzinformationen gegliedert waren. Dem Leser erschließt sich dieser Entstehungszusammenhang nur mühsam, wenn er beim Durchblättern überprüft, welche Artikel von den gleichen Autoren stammen. Querverweise fehlen. Auch das alphabetische Sachregister gibt die Artikelgruppen nicht preis. Zudem ist es unübersichtlich, da manche Artikel nur durch Fettdruck der Seitenzahl (z.B. bei „Körperpflege“ oder „Kosmosvorstellungen“) und nicht wie sonst üblich durch Hervorhebung des Stichworts erkennbar sind. Möglicherweise wäre insgesamt eine alternative Anordnung der Artikel nach Themen (ergänzt durch das alphabetische Register) sinnvoll gewesen. Dies hätte zusätzlich für mehr Transparenz bei der Stichwortauswahl geführt.
Zweitens: Die Editoren benennen den befreiungstheologischen, feministischen und christlich-jüdischen Diskurs als hermeneutische Voraussetzung der Beiträge. Tatsächlich werden in diesen Zugängen häufig sozialgeschichtliche Erkenntnisse verwendet, sodass die Zusammenführung dieser Forschungsbereiche in einem Wörterbuch sinnvoll erscheint. Allerdings ist es gleichzeitig eine Engführung, da Sozialgeschichte zusammen mit kulturanthropologischen oder psychosozialen Zugängen ohnehin grundlegend zur historisch-kritischen Methode gehört, der es von Anfang an um den „Sitz im Leben“ der biblischen Texte ging. Problematisch sind die hermeneutischen Voraussetzungen dann, wenn sie offenkundig nicht mehr den „Hebammendienst“ des besseren Textverständnisses leisten, sondern aus dem heutigen sozialen Kontext heraus Fragen an die Bibel richten, die dort gar nicht vorkommen. Dies illustriert z.B. der Artikel „Abtreibung“, wo gleich im ersten Satz zutreffend festgestellt wird, dass hierzu „kein Wort“ in der Bibel zu finden sei.
Drittens: Für die Benutzerin oder den Benutzer des Wörterbuches wird letztlich die Qualität der einzelnen Artikel an sich viel entscheidender sein als die Gesamtanlage des Wörterbuches oder seine hermeneutischen Voraussetzungen. Tatsächlich gibt es hier viel Wissenswertes zu finden. Es fördert beispielsweise das biblische Gesamtverständnis, wenn etwa die Leviratsehe unter dem Stichwort „Soziale Sicherung“ erklärt wird. Gleichzeitig bleiben Chancen ungenutzt. Der Artikel „Körperpflege“ geht nicht – wie im Editorial angekündigt – auf 1Kor 13,12 und die Funktionsweise antiker Spiegel ein. Dafür erhält man aber andernorts z.B. eine gute Übersicht über „Landwirtschaftliche Geräte“, die voller interessanter Bezüge zu zahlreichen Schriftstellen ist.
Insgesamt erscheint das sozialgeschichtliche Wörterbuch weniger als ein Nachschlagewerk. Es regt vielmehr zum neugierigen Forschen danach an, was die Bibel zu wichtigen sozialen Begriffen unserer heutigen Zeit zu sagen hat. Insofern baut es eine kostbare Brücke zum Buch der Bücher und macht einen Teil seiner Schätze neu zugänglich.
Christof Strüder
Quelle: Eulenfisch Literatur 3 (2010), Heft 1, S. 6f. [Literaturbeilage von Eulenfisch. Limburger Magazin für Religion und Bildung]