Religionswahrnehmung und Religionspolitik

Buchvorstellung - 23.05.2010

Rolf Schieder
Sind Religionen gefährlich?

Berlin: University Press Verlagsgesellschaft. 2008
332 Seiten 29,90 Euro
ISBN 978-3-940432-31-5

Sind Religionen gefährlich? Mit dieser keineswegs rhetorischen Frage greift Rolf Schieder in eine höchst aktuelle Debatte ein. Er tut das mit einem glänzend geschriebenen, informativen und klar argumentierenden Buch. Am liebsten würde man es rundweg zur Pflichtlektüre für alle machen, die in den Feldern Politik, Verwaltung, Medien und auch Kirchen mit Religion zu tun haben. Denn es handelt sich um ein Plädoyer für eine aufgeklärte Religionswahrnehmung und Religionspolitik.

Den aktuellen Kontext der Leitfrage bildet nicht nur das Erstarken eines islamistischen und sonstigen religiösen Fanatismus mit terroristischen Ausläufern, sondern auch die verzerrte öffentliche Wahrnehmung der Zusammenhänge von Religion und Politik. Dazu gehört etwa auch ein intellektueller Diskurs über die Gewaltpotenziale des Monotheismus, wie er von Jan Assmann angestoßen worden ist.

Schieders Frage wird gleich zu Beginn seines Buches auf eine klärende Weise differenziert: Die Moderne habe Gefahren, denen man hilflos ausgesetzt sei, in Risiken verwandelt, die man kalkulieren und vermindern könne. Das sei auch bei Religion vonnöten. Religionen, so Schieder, sind demnach nicht gefährlich, sondern riskant. Nur ein kenntnisreicher, rationaler Umgang mit deren Risiken schütze die humanen Potenziale, die in den Religionen ebenso sehr steckten. Damit meint er nicht nur eine unbeteiligtkritische Beobachtung von außen, sondern auch jene internen Klärungs- und Bildungsprozesse, sprich Theologien, die jede Weltreligion entwickelt hat. Und so skizziert Schieder im ersten Kapitel, „Gefahren wahrnehmen“, die komplexen Hintergründe des Zusammenhangs von Religion und Terror. Im ausführlichen zweiten Kapitel, „Gefahren verstehen“, gibt er seinen Lesern jene intellektuellen Instrumente an die Hand, die für ein aufgeklärtes Verständnis heutiger Religionsrealitäten notwendig sind. Ein größerer Teil dieses Kapitels – ein veritabler Kurzlehrgang – besteht in Aufräumarbeiten, in denen Vorurteile und Theorietrümmer weggeschafft werden. So wendet sich Schieder etwa gegen den pauschalisierten Gebrauch des Wortes „Fundamentalismus“ oder die undifferenzierte Rede von „Religionskriegen“ – als würden solche Kriege nicht auch aus ökonomischen und politischen Gründen geführt. Dabei übersieht Schieder das Problem keineswegs, dass Religion oft instrumentalisiert wird. Deshalb fragt er nach institutionellen und geistigen Sicherungen, nach „Instrumentalisierungsresistenzen“. Eindrücklich sodann seine scharfe Auseinandersetzung mit Jan Assmanns Monotheismus-These. Der Kern dieser These besteht in der Behauptung, das Unheil religiöser Gewalt sei mit der „mosaischen Unterscheidung“ – mit der Unterscheidung zwischen dem wahren und einen Gott und den falschen und vielen Göttern – in die Welt gekommen. Damit wird – wie Schieder die gedankliche Linie dieses Konstrukts mit deutlicher Kritik auszieht – den Juden erneut eine Unheilsgeschichte aufgebürdet. Das erinnert an schreckliche Stereotypen, von denen man gehofft hatte, dass sie nun endlich überwunden seien. Da die Wahrnehmung von Religion nie theoriefrei ist, findet man in diesem Buch auch eine durch die Theoriearbeit Max Webers, Michel Foucaults und der zeitgenössischen Religionssoziologie geschärfte Beschreibung der Diskurse über Religion – Diskurse, die Wahrnehmungen prägen und Wirklichkeiten schaffen. Schieder legt einen starken Akzent darauf, dass Religion nicht isoliert wahrgenommen wird, dass Menschen nicht nur Muslime oder Christen, sondern zugleich Schweizer oder Süddeutsche, zugleich Eltern und technische Angestellte und Freizeitsportler sind – dass Religion also nur eine (gewiss wichtige, aber nicht die einzige) Facette menschlicher Identität ausmacht. In Krisen besteht die Gefahr, dass stereotype, verzerrende Fremdzuschreibungen aufkommen (Marokkaner, Türken, Iraker, Palästinenser und Bosnier sind plötzlich nur noch Muslime).

Mit einem kundigen Blick auf die zeitgenössischen religiösen und soziologischen Realitäten „die Situation definieren“ und dementsprechend in Kenntnis der Akteure, der notwendigen institutionellen Sicherungen und der rechtlichen Rahmenbedingungen „religionspolitisch handeln“ – darum geht es in den beiden abschließenden Kapiteln. Hier wird nun deutlich, dass Schieder gegen einen in Deutschland und der Schweiz wachsenden theoretischen Laizismus argumentiert, der mit der vollständigen Trennung von Religion und Politik und der Abdrängung alles Religiösen ins Private den Staat ideologisch auflädt und überfrachtet. Im Gegensatz dazu rät er zu einer Lösung, welche an der verfassungsmäßig festgeschriebenen Neutralität des Staates festhält, diese aber verbindet mit einer Religionspolitik, in der staatliche und religiöse Akteure und Institutionen zusammenwirken können – in der etwa die universitäre Ausbildung von Predigern dafür sorgen kann, dass Bildungsprozesse innerhalb der religiösen Gemeinschaften verstärkt werden. Nur so könne eine „Zivilisierung der Religionen durch Bildung und eine Zivilisierung der Gesellschaft durch Religion“ gelingen. – Ein kluges, ein lesenswertes, ein notwendiges Buch.

Niklaus Peter © NZZ v. 11.12.2008

Quelle: Eulenfisch Literatur 2 (2009), Heft 1, S. 26f. [Literaturbeilage von Eulenfisch. Limburger Magazin für Religion und Bildung]