Thesen zum Sinn von Religion

Buchvorstellung - 17.05.2010

Werner Reiland
Gott ist kein Wahn
Sieben Thesen zum Sinn der Religion

Innsbruck: Tyrolia Verlag. 2008
168 Seiten 17,95 Euro
ISBN 978-3-7022-2928-3

Nach der Lektüre des kleinen Büchleins kann eines ziemlich sicher gesagt werden. Der Autor hat seinen Glauben unter anderen Bedingungen kennengelernt und offenbar auch verinnerlicht, als er ihn weitergeben möchte. Fraglich ist, ob diese Weitergabe des Glaubens noch gelingt. Seine Neujustierung der Glaubensinhalte jedenfalls verdankt sich einem Maß an Aufklärung, das daran zweifeln lässt.

Denn es ist fraglich, ob aus dem ursprünglichen Gold des Glaubens durch vermeintlich angemessene "Aufklärungen" nicht doch am Ende der Schleifstein im Märchen von Hans im Glück übrigbleibt. Der sich als religiös unmusikalisch bezeichnende Berliner Medienwissenschaftler Norbert Bolz schätzt in seinem Buch "Das Wissen der Religion" gerade die maßvoll gebändigte Aufklärung in der lehramtlichen Gestalt des Glaubens der katholischen Kirche.

Reiland dagegen meint, gut beraten zu sein, dem neuen Atheismus – er nennt exemplarisch Dawkins und Hitchens – mit einer kritisch geläuterten Tradition, auch unter Aufgabe lehramtlicher Positionen, begegnen zu können. So liebäugelt er mit der Allversöhnungstheorie des Origines (81), äußert sich hämisch über den Ablass (82), kann mit Fegefeuer nichts anfangen (82), hält Dogmen für Augenblicks-gebilde (48) und plädiert für Auferstehung im Tod (78). Am Ärgerlichsten ist sein Umgang mit der Theodizee-Frage: Einmal ist das Böse "die dunkle Seite Gottes" (97); später behauptet er, Erlösung bestünde darin, das Böse zu überwinden (103 f.). Bemerkt der Autor, wie aussichtslos dann Erlösung ist? Selbst Gott hat es nicht hingekriegt. Braucht er etwa unsere Hilfe? Gott und Mensch als Selbsthilfegruppe? Einer bestärkt den anderen? Oder kann Gott im Gegensatz zu uns gut mit dem Bösen leben? Ist er etwa ein sadistischer Genius malignus, der sich an unseren Qualen weidet und wir ihn als den Guten bloß schönreden. Der italienische Philosoph Manlio Sgalambro nimmt genau das an. Er hält es für eine Schnapsidee, "Gott" mit "gut" zu assoziieren. Das hatte die abendländische Tradition alles schon mit bedacht, als sie das Böse vom Wesen Gottes getrennt hat. Die augustinische Identifizierung des Bösen mit dem willentlichen Widerspruch frei geschaffener Kreaturen, selbst in der Verkörperung Satans, ist da bei Weitem tragfähiger, auch wenn die Verkörperung des Bösen aufgeklärter Korrektheit widerspricht. Reiland argumentiert weit unter Niveau dessen, was er als traditionellen Ballast ansieht. Seine Theodizee ist damit geradezu eine Frischzellenkur für die neuen Atheisten, gegen die er sein Buch richtet.

Man muss Reiland zugutehalten, dass er keine theologische Auseinandersetzung vorlegen möchte (160). Sein Buch ist als lockeres Gespräch mit dem Leser konzipiert und offensichtlich die Feierabendbeschäftigung des "zuletzt vorsitzenden Richters am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof". Feierabendbeschäftigung, das ist sicherlich auch das Szenario, wofür das Buch geschrieben worden ist. Bei mäßig scharfem Nachdenken wird man viele Positionen des Autors für sehr vernünftig halten können. Gerade was die Eschatologie anbelangt, hat Benedikt XVI. in der Neuauflage seiner Eschatologie aber gezeigt, dass alle Positionen, die Reiland als überholt abtut, vernünftig sehr wohl gehalten und auch weitervermittelt werden können. Das ist dann zugegebenermaßen keine Feierabendbeschäftigung mehr. Darüber hinaus ist in Reilands Buch ganz viel von Geheimnis die Rede, andererseits sind wir alle "Inkarnationen Gottes, Kinder des Vaters" (154). Ein paar Zeilen weiter ist Jesus ebenfalls, allerdings "einzigartige Inkarnation". Es wäre besser für das Buch, wenn auch Inkarnation im Text ein Geheimnis geblieben wäre.

Aber viele Geheimnisse lüften sich, wenn man in die verwendete Literatur schaut: Hans Küng taucht mit neun Titeln auf, Benedikt XVI. mit zwei Titeln und dann jeweils als Tradition, von der sich der Autor mit angeblich besseren Vorschlägen abhebt. Alles in allem eine dünne Argumentation gegen dünne Argumente der neuen Atheisten. So kann Glaube an die nächste Generation nicht weitergegeben werden. Der Goldklumpen des Glaubens wird so schon in der nächsten Generation als hinderlicher Schleifstein in einer oberflächlichen Vernünftigkeit versenkt.

Helmut Müller

Quelle: Eulenfisch Literatur 2 (2009), Heft 1, S. 19f. [Literaturbeilage von Eulenfisch. Limburger Magazin für Religion und Bildung]