Joachim Kügler
Hungrig bleiben!?
Warum das Mahlsakrament trennt und wie man die Trennung überwinden könnte
Würzburg: Echter 2010
85 Seiten, € 9,00
ISBN 978-3-429-03212-8
„Hungrig bleiben!?“ ist ein mit theologischer Leidenschaft geschriebener, durchaus streitbarer und pointierter exegetischer Zwischenruf zur Eucharistie, zum sakramentalen Miteinander-Essen in der gegenwärtigen deutschsprachigen Gemeindewirklichkeit – in der das Mahlsakrament, so Joachim Kügler (Neutestamentler in Bamberg) im eröffnenden Kapitel seines gut lesbaren, von wissenschaftlichen Anmerkungen entlasteten kurzen Buches, in mannigfacher Gefahr steht, marginalisiert zu werden:
Nicht nur, dass die Zahl derer, die das Sakrament überhaupt noch am Sonntag feiern, immer weiter zurückgeht, nein, auch der Feiergehalt des Herrenmahls scheint gegenwärtig eigentümlich verschoben. Das „Sakrament der Einheit“ ist zum Sakrament der „Ausgrenzung und Abtrennung“ geworden (9). Über die Zulassung zur Eucharistie wird signalisiert, wer dazu gehört und wer nicht. Auch innerhalb der Feiergemeinschaft stabilisiert es, sofern vor allem die Konsekration von Brot und Wein im Blick ist, die Aufspaltung in Priester mit „Wandlungsvollmacht“ und Laien. Der Kommunionempfang, der in seiner jetzigen Form ohnehin den Charakter eines gemeinsamen Mahles weitgehend vermissen lässt, scheint nur noch der gleichsam vertikalen Communio zwischen Gott und Mensch zu dienen. Die Gemeinschaft der miteinander Feiernden ist nicht im Blick – so die pointierte, ja dramatisch anmutende Situationsanalyse Küglers, die jede Leserin und jeder Leser seines Buches (oder dieser Rezension) unbedingt mit der eigenen Gemeindewirklichkeit kritisch vergleichen sollte. Mit dem historischen Jesus, mit seinen Mählern, auch mit seinem letzen Abendmahl, hat das, so der kritische Unterton der Studie, wenig zu tun. Kügler fragt: Wie kann, ja wie muss man heute Eucharistie feiern, damit diese Feier in der Linie Jesu steht, sich auf ihn berufen kann. Mit dieser Fragehaltung schimmert zugleich eine hoffnungsvolle Option auf. Eine Rückbesinnung auf die normativen Anfänge könnte nämlich dem Mahlsakrament in der Gegenwart gleichsam neue Bedeutung und neues Leben geben.
Folgerichtig macht sich Kügler auf die Suche nach der Bedeutung, die der historische Jesus dem Miteinander-Essen gegeben hat. Dazu durchmustert er die neutestamentliche Tradition im Blick auf die Mahlfeiern Jesu. Er beginnt, sachlich völlig angemessen, bei den „vorletzten Mählern“ Jesu (14), nimmt also die gleichsam alltägliche Mahlpraxis Jesu in den Blick, um von ihr ausgehend dann auch das letzte Abendmahl Jesu zu thematisieren. Sein Ausgangspunkt ist ein Vorwurf, der historisch zuverlässig erscheint, weil er Jesus, vor allem angesichts des atl. Hintergrunds (vgl. etwa Spr 23,20f.), in ein schlechtes Licht taucht: Jesus als „Fresser und Weinsäufer“ (Lk 7,34). Dieses Etikett trägt Jesus augenscheinlich zu Recht, weil er mitten im Alltag Festmähler feiert. Und er feiert diese mit den falschen Freunden: mit Sündern und Zöllnern. Für die Umwelt Jesu ist das ein Skandal. In der Perspektive Jesu hingegen handelt es sich um das Gebot der Stunde, eine geradezu notwendige prophetische Zeichenhandlung, mit der Jesus seine Grundoption vom bereits angebrochenen Reich Gottes (zu dem konstitutiv das Fest der Gottesherrschaft mit allen Menschen, auch mit den verlorenen Sündern, gehört) erleb- und greifbar macht, ja in den Mählern wird sie durch das gemeinsame Mahl Realität – dies im Übrigen gerade dann, wenn Menschen miteinander zu Tisch liegen, die sich im Alltag spinnefeind sind: Fischer (die Schüler Jesu) und Zöllner etwa. Hier wird im Sinne der Feindesliebe „aktive Versöhnungsarbeit“ geleistet (27), findet eine fundamentale Grenzüberschreitung statt. Kügler summiert – und zwar durchaus schon im Blick auf die Gegenwart heutiger Gemeinden: Ein solches „Mahl [sc. Jesu, M. L.] ist nicht die Belohnung für den rechten Glauben oder für ordentliches Verhalten. Es ist vielmehr die Einladung an alle, sich von der universalen Güte Gottes erfassen zu lassen […] Wer an diesen Mahlfeiern teilnimmt, bekennt sich als sündhafter Mensch, der nur aus der Güte Gottes leben kann“ (32). Eingeladen zu diesem Mahl sind alle (!), faktisch ausgeschlossen sind nur die, die sich nicht für schuldig halten und der Güte Gottes nicht zu bedürfen meinen.
Ist so der Boden bereitet und ein erstes Licht auf die alltägliche Mahlpraxis Jesu gefallen, widmet sich Kügler dem letzten Abendmahl Jesu, mit dem Jesus die Seinen beauftragt, seine Mahlpraxis fortzusetzen, wie sie sich in seinen alltäglichen Mahlfeiern gezeigt hat. Dann, wenn in Jesu Linie gemeinsam, grenzüberschreitend und in Erinnerung an ihn und sein Tun gefeiert wird, wenn Menschen sich auf die Wirklichkeit der Gottesherrschaft einlassen – dann ist dieser Jesus realpräsent anwesend, so Kügler. Und genau das will Jesus den Seinen beim letzten Abendmahl vermitteln, dazu will er sie ermutigen (auch wenn sich historisch nicht mit Sicherheit rekonstruieren lässt, welche Worte Jesus bei diesem letzten Mahl faktisch gesprochen hat, in welcher Weise die frühen Christen die Worte Jesu durch eigene Worte deutend erweitert haben [„Deutung ist nicht gleich Fälschung“, 41] und in welchem Rahmen dieses Mahl stattfand). So hängen das letzte Mahl und die alltäglichen Mähler ganz eng zusammen.
Die junge Kirche ist diesem Auftrag und dem Vorbild Jesu gefolgt. Davon zeugen etwa die Paulusbriefe (vor allem 1 Kor 10f.; Gal). Das Herrenmahl, verstanden auch als Sättigungsmahl, ist dabei vor allem ein integratives Fest, wobei deutlich das grenzüberschreitende Element ins Auge fällt: Juden und Heiden, Arme und Reiche, Männer und Frauen, Herren und Sklaven sind unterschiedslos zum Herrenmahl geladen – mit allen Konsequenzen, die das für die jeweilige Feier und die daran Beteiligten hat (Statusverzicht, reales Teilen, Fürsorge der Reicheren für die Ärmeren). Dafür ficht mit aller theologischen Vehemenz und angesichts konkreter Gemeindeprobleme vor allem Paulus in seinen Briefen. Das war offensichtlich nötig, denn schon in den frühen Gemeinden zeigte sich, wie schwer es augenscheinlich gewesen sein muss, die Mahlpraxis Jesu in den langsam wachsenden und sozial inhomogenen Gemeinden fortzusetzen, für neue Situationen und andere kulturelle Räume die Art und Intention seiner Reich-Gottes-Feiern zu übersetzen (vgl. auch Joh 6.13; 1 Joh 3). Und auch das: Für die frühen christlichen Gemeinden scheint es, so der von Kügler dargestellte Textbefund, bis ins 2. Jh. n. Chr. nicht notwendig gewesen zu sein, die sogenannten Wandlungs- oder Deuteworte zu sprechen. Dies vielleicht auch, weil es in den griechischsprachigen Gemeinden dieser Zeit noch ein Bewusstsein dafür gab, dass mit „Dies ist mein Leib“ nicht das Brot als solches gemeint sein kann (das ist grammatisch nicht möglich, weil im Griechischen das Genus von „Brot“ [Maskulinum] und „Dies“ [Neutrum] sich nicht entsprechen), sondern sich das Deutewort auf den gesamten Vorgang (Danken, Brotbrechen, Essen) bezieht. Entscheidend waren also nicht sosehr die Worte als vielmehr die konkreten Taten und die dahinterstehende Haltung. Nicht übersehen werden darf allerdings auch, dass schon früh abgrenzende Elemente zum Herrenmahl hinzutreten und es einen „Trend zur Verengung“ (44) gibt, der sich im Laufe der Kirchengeschichte immer weiter verstärkt. So schließen sich bei Paulus die Teilnahme am Herrenmahl und an paganen Kultmählern aus. In der Didache (2. Hälfte des 2. Jh. n. Chr.) wird bereits die Teilnahme am Herrenmahl von der Taufe abhängig gemacht – Entwicklungen, die wohl mit den „veränderten gesellschaftlichen Bedingungen“ (44), unter denen Christen leben, zu tun haben.
Auf den letzten knapp 20 Seiten des Bandes blickt Kügler abschließend in Gegenwart und Zukunft. Was lässt sich von den normativen Anfängen für Gegenwart und Zukunft der Eucharistiefeier lernen? In seiner Perspektive mindestens so viel: (1.) Die Mahlgenossen Jesu im Neuen Testament sind sündige Menschen, die Mahlgenossen Jesu heute sind es auch. Herrenmahlteilnahme ist keine Belohnung für die Gerechten. Vielmehr sind, so Kügler, alle eingeladen: „Die Definition von Zulassungsbedingungen zum Abendmahl ist daher im Ansatz verfehlt“ (61), auch weil letztlich Jesus selbst der zum Mahl Einladende ist. (2.) Dem Neuen Testament kommt es im Blick auf das Herrenmahl darauf an, dass es sich um ein tätiges Geschehen handeln muss. „Das Brot ist nicht an sich ‚Leib Christi‘, sondern als Bestandteil eines Mahlgeschehens“ (63). Und: „Christus ist in Brot und Wein gegenwärtig, weil er im Mahl gegenwärtig ist, nicht umgekehrt“ (64). Eine Konzentration allein auf die Gaben von Brot und Wein, wie in der Theologie seit dem Mittelalter zu verzeichnen, ist nicht zwangsläufig notwendig, ja kann sogar den Charakter des Herrenmahls als Mahlgeschehen verdunkeln. Mit letzterem eng verbunden, ist (3.) die Wiedergewinnung eines wirklichen Mahlcharakters der Eucharistiefeiern im Sinne eines faktischen Miteinander-Essens und Trinkens, wobei dies durchaus mit einer Reduktion der Messfeiern einhergehen kann, wenn im Umkehrzug dafür der Festmahlcharakter der Eucharistiefeier gestärkt wird. Dass aus dem schon bisher Gesagten klare Optionen für die Frage nach der Interkommunion zwischen den christlichen Konfessionen, aber auch im Blick auf die von Kügler unter Bedingungen bejahte Möglichkeit der Teilnahme von Ungetauften am Herrenmahl erwachsen, versteht sich von selbst. Zum Schluss macht Kügler einen ganz praktischen Vorschlag, sozusagen der Versuch unter den gegenwärtigen Bedingungen testweise ein „Reich-Gottes-Essen“ (76) in jesuanischer Perspektive im Gemeindealltag zu feiern: ein ökumenisches Pfarrfest, zu dem alle, wirklich alle eingeladen sind, bei dem umsonst gegessen und getrunken werden kann. Ein Fest der Gottesherrschaft, mitten in Franken, Westfalen, Niedersachsen oder der Westschweiz, sicherlich noch keine Eucharistie, aber vielleicht ein erster Schritt auf einem langen Weg (78).
Mit „Hungrig bleiben!?“ hat Joachim Kügler ein Buch vorgelegt, das sich einmischt, klar Position bezieht und sich nicht scheut, aus der Welt des Neuen Testaments heraus konkrete Ratschläge für gegenwärtige gemeindliche Praxis zu geben; ein Buch, das nicht primär für exegetische Fachleute geschrieben worden ist, die den letzten Stand der Diskussion um das Herrenmahl bei Jesus oder bei Paulus nachlesen wollen, sondern ein Buch, das eine Brücke schlägt von exegetischer Fachwissenschaft hin zu gelebter, oft auch erlittener gemeindlich-kirchlicher Praxis. Man darf diesem Buch, das gewiss auch zum Widerspruch reizen will und umstritten sein wird (exegetisch scheint es mir zum Beispiel nicht ausgemacht bzw. nicht plausibel begründet, dass Jesus eine derart negativ-skeptische Anthropologie vertreten hat, in der alle Menschen gleichsam böse und verloren sind, wie Kügler sie vorstellt [24–26]), daher eine große Leserschaft wünschen, mehr aber noch, dass sich Menschen in christlichen Gemeinden immer wieder neu und ganz auf das Abenteuer eines Herrenmahls in jesuanischer Perspektive einlassen …
Markus Lau (2010)
Quelle: Katholisches Bibelwerk e.V. Stuttgart, Biblische Bücherschau 6/2010