Todeserfahrung und Jenseitshoffnung

Buchvorstellung - 09.07.2010

Angelika Berlejung (Hg.) Bernd Janowski (Hg.)
Tod und Jenseits im Alten Israel und in seiner Umwelt
Theologische, religionsgeschichtliche, archäologische und ikonographische Aspekte (FAT 64)

Tübingen: Mohr Siebeck 2009
723 Seiten, € 129,00
ISBN 978-3-16-149776-6

Die Erfahrung des Todes gehörte in der vorderasiatischen Antike als integraler Bestandteil zum Leben. Doch gab es keineswegs nur den ›guten‹ Tod, mit dem ein Mensch ein erfülltes Leben ›alt und lebenssatt‹ beschließt, sondern ebenso den ›bösen‹, unzeitgemäßen Tod durch Krankheit, Krieg oder Hinrichtung. Und die häufige Diskrepanz zwischen der Lebensführung eines Menschen und seinem Todesgeschick führten in ein Dilemma, das nach Deutungsmustern verlangte.

Ebenso sind die Vorgänge und Handlungen, die sich im Kontext des Sterbens, Bestattung und der Grabpflege abspielen, wohl in jeder Kultur hochgradig ritualisiert. Auf diese Weise wird der Tod oder, besser, das Wissen um unsere Sterblichkeit zu einem Kultur-Generator ersten Ranges (J. Assmann).

Vom 16.-18. März 2007 fand an der Universität Leipzig ein Symposium zum Thema »Tod und Jenseits im alten Israel und in seiner Umwelt« statt, das die Grundlage für den nun vorliegenden großen Sammelband bildet. 27 Autorinnen und Autoren beschäftigen sich darin aus verschiedenen Perspektiven und mit unterschiedlichen methodischen Zugängen mit der Thematik. Im Mittelpunkt steht die Frage nach den Todesvorstellungen und Grabsitten, die im 3.-1. Jt. v.Chr. Ägypten, Mesopotamien, Syrien und die Levante prägten. In diesen Horizont können die Vorstellungen, die sich in den Texten des Alten Testaments finden, differenziert eingeordnet werden. Insbesondere wird die Frage nach dem Verhältnis YHWHs, Israels Gott, zur Welt der Toten im Kontext eines sich allmählich entwickelnden Monotheismus zur kritischen Frage. Das Alte Testament bietet eine Vielzahl konkurrierender theologischer Modelle je unterschiedlicher regionaler oder sozialer Herkunft und mit je anderer Pragmatik. Ein geschlossenes System an Auferstehungshoffnungen wird innerhalb der alttestamentlichen Schriften gerade nicht entwickelt, so dass die neutestamentliche Gewissheit in diesem Punkt eher als Sonderfall denn als Regel wahrzunehmen ist.

Der entstandene Sammelband ist ein aufregendes Buch. Nicht allein deswegen, weil sich die Beiträge allesamt auf sehr hohem wissenschaftlichen Niveau der Thematik annehmen und praktisch jeder Artikel aktuellste Forschungsergebnisse und neue Einsichten bereithält, sondern auch, weil sich Leserinnen und Leser – ohne dass es im Buch thematisiert würde – ständig selbst mit ihren eigenen bzw. – grundsätzlicher – heutigen Einstellungen zum Thema Tod, Bestattung und Grabpflege konfrontiert sehen.

Gegliedert ist das umfangreiche Werk in sechs Teile, in denen jeweils vier oder fünf thematisch benachbarte Beiträge gebündelt werden, doch sind diese Teile nicht hermetisch abgeschlossen. Bei einer fortschreitenden Lektüre entstehen auch über die Teilbereichsgrenzen hinweg interessante Interdependenzen. Die Zielgruppe des Bandes sind Theologinnen und Theologen, die ein Interesse an der Fragestellung haben. Viele Beiträge setzen profunde Kenntnisse der alttestamentlichen Exegese und der israelitischen Religionsgeschichte voraus und führen langjährige Diskussionen weiter. Angesichts der Qualität der Einzelbeiträge wie der sachlichen Breite, mit der das Thema bearbeitet wird, lässt sich ohne Übertreibung sagen, dass dieser Band auf Jahre hinaus das Standardwerk zum Thema sein wird. Im Folgenden sollen die Artikel innerhalb der jeweiligen Themenkomplexe des Bandes nur kurz und umrisshaft vorgestellt werden, um einen Eindruck von der Vielfalt der Fragestellungen und Zugänge zu vermitteln. Eine ausführliche fachwissenschaftliche Diskussion der einzelnen Beiträge wird gewiss durch die breite Rezeption des Bandes sichergestellt werden.

I. Der Mensch und sein Tod – übergreifende Aspekte
Im Einstiegsartikel thematisiert Johannes SCHNOCKS (3-23) die menschliche Vergänglichkeit und ihre theologische Deutung anhand des 4. Psalmenbuches (Pss 90-106), das er im Sinne einer kanonischen Psalterexegese als Antwort auf die Schlusskadenz des 3. Psalmenbuches (Ps 88/89) liest. Während ein von der Todessphäre geprägtes leidvolles Leben oder die radikale Verkürzung der Lebensspanne theologisch schwer erträglich ist (Ps 88; Ps 102), bieten insbesondere Ps 90 und Ps 103 theologische Optionen an, mit denen trotz der geschöpflichen Vergänglichkeit des Lebens die dem Menschen zugeteilte Lebensspanne produktiv gestaltet werden kann.
Christian FREVEL (25-41) widmet sich der Frage, welche Pragmatik der im Ijobbuch mehrfach variierte Todeswunsch Ijobs hat. Er bietet eine sorgfältige Analyse von Ijob 6,8-10 im Kontext der Rede des Ijob gegen Elifas und von Ijob 7,15 im Kontext der Vergänglichkeitsklage Ijob 7 mit dem Ergebnis, dass der Todeswunsch Ijobs keinesfalls Spiegelbild seiner suizidalen Verzweiflung sei, sondern als rhetorisches Element eines weisheitlichen Diskurses darauf abziele, dass auch Gott sich an den von der Tradition vorgegebenen Maßstäben messen lassen und seine Gerechtigkeit durchsetzen müsse. »Der Todeswunsch ist Teil der Textstrategie – weniger den Freunden gegenüber als gegenüber Gott.«
Als einen Skeptiker, der selbst der absoluten Verneinung durch den Tod gegenüber skeptisch bleibt, zeichnet Rüdiger LUX (43-65) Kohelet. Ausgehend von der – in der Forschung nicht unumstrittenen – Gliederung des Koheletbuches in die beiden Teile Kap. 1-3 und 4-12 bemerkt er, dass beide Schlussteile einen Verweis auf das Todesgeschick des Menschen enthalten. In einer sorgfältigen Exegese von 3,16-22 arbeitet Lux heraus, wie der Tod zwar in Bezug auf die Geschöpflichkeit Mensch und Tier verbindet, aus anthropologischer Perspektive aber eine Wahrnehmungsgrenze darstellt. Kein Mensch kann sagen, was nach dem Tod kommt (3,21). 12.1.7 nimmt in einer frappierenden Parallele die Frage noch einmal auf, was mit dem Odem (xwr) von Mensch und Tier geschieht und beantwortet sie: Er kehrt zurück zu seinem Schöpfer. Wie genau das aussieht, verbietet sich der Skeptiker Kohelet aber zu fragen.
Stefanie GULDE (67-85) geht in Ihrem Beitrag denjenigen Stellen im Alten Testament nach, in denen der Tod in personifizierter Form auftritt: als Eindringling und Dieb (Jer 9,20), als Hirte (Ps 49,15), als Bundespartner (Jer 28,15.18) oder als Fresser (Hab 2,5; Jes 25,8 u.a.). Zahlreiche literarische Parallelen aus der Umwelt des Alten Testament belegen die Verwurzelung dieses Motivkomplexes in den benachbarten Kulturkreisen.
Irmtraud FISCHER (87-108) stellt in Genderperspektive überblicksartig Aspekte des Sterbens und Begrabenwerdens zusammen (Todesursachen, Riten am Lebensende, Begräbnis, Witwenschaft, Trauerriten und -zeiten u.a.), fragt dann nach spezifischen Frauenberufen im Zusammenhang mit dem Tod (Klagefrauen, Totenbeschwörerinnen, Prophetinnen) und diskutiert schließlich den Motivzusammenhang von Frau und Tod, der durch die Rezeption von Gen 2-4 dominant wurde, und entlarvt ihn als spätere Projektion, der im AT nur im Kontext von Ehebrecherinnen zu finden sei. Wenn der Tod auch für alle gleich ist, betraf er in Alt-Israel Frauen anders als Männer. Das Geschlecht als soziale Kategorie bestimmt nicht nur das Leben der Menschen, sondern auch ihren Tod.

II. Der gute und der schlechte Tod – zur Bewertung des Todes
Der zweite Teil des Bandes beleuchtet von unterschiedlicher Seite aus die Frage, was eigentlich ein ›guter‹ Tod sei. Ute NEUMANN-GORSOLKE (111-136) gibt zunächst einen Überblick über die Wendung ›alt und lebenssatt‹ und lotet den semantischen Gehalt der Formel aus.
Ebenfalls mit geprägten Wendungen beschäftigt sich der Beitrag von Annette KRÜGER (137-150), die den beiden Formulierungen »versammelt werden zu den Vorfahren« (P) und »sich zu den Vätern legen« (dtr) nachgeht, wobei letztere die ältere Formulierung sei, während in der priesterschriftlichen Version der Anspruch auf das verheißene Land unterstrichen werde.
In religionsgeschichtlicher Perspektive widmet sich Martin LEUENBERGER (151-176) dem Problem des vorzeitigen Todes, der entweder im metaphorischen Sinn als Qualitätsminderung des Lebens in den Texten thematisiert wird oder aber in seinen unterschiedlichen Manifestationen ein theologisches Problem darstellt (›böser Tod‹), das nach Erklärung verlangt. Als Ausgangspunkt dienen vorexilische Klage- und Danklieder des Einzelnen (Ps 18; 13; 30), in denen die Hoffnung auf Rettung aus dem chaotisch in die Lebenswelt einbrechenden vorzeitigen Tod artikuliert wird mit dem Ziel einer Überwindung der als Trennung von YHWH empfundenen Notlage. Während YHWH den Tod hier zulässt, verschärft sich mit der Kompetenzausweitung YHWHs in der späten Eisenzeit das theologische Problem: YHWH wird nun allein als Verursacher des vorzeitigen Todes gesehen (Ps 88). In exilisch-nachexilischer Zeit kommt es zu einer Radikalisierung des Problems des vorzeitigen Todes, die sich in einer Vergänglichkeitsklage über das kurze Leben allgemein Ausdruck verschafft. In späterer Zeit versuchen unterschiedliche Konzepte, das Problem des vorzeitigen Todes durch Relativierung dieses Geschehens in den Griff zu bekommen. Ein Schaubild visualisiert die geistesgeschichtlichen Problemkonstellationen und ihre immer neuen, lebenspraktischen ›Lösungsstrategien‹ abschließend.
Im Kontext unterschiedlicher Bewertungen des Todes geht Jan DIETRICH (177-198) einem häufig tabuisierten Thema nach: der Tötung von eigener Hand. Das Interesse des Verfassers richtet sich dabei nicht auf Erklärungen, wie es zum Suizid kommen konnte, sondern auf ›Sinndeutungen‹ des Geschehens. Im Anschluss an den französischen Soziologen Jean Baechler kategorisiert Dietrich unterschiedliche Formen der Selbsttötung. So nennt er 1. eskapistische Formen, z.B. den Tod Ahitofels (2 Sam 17,23) als Ende seines Scheiterns und eingetretener öffentlicher Erniedrigung, den Todeswunsch Saras (Tob 3,10) oder den Selbstmord des Judas (Mt 27,3-5) oder andere Suizide in wirtschaftlichen Krisenzeiten und in juristischen Kontexten; 2. aggressive Formen, die ihren Sinn in der Auswirkung des Suizids auf andere Menschen finden, z.B. Simsons Rache (Ri 16,28-30) oder Eleasars Kriegstat (1 Makk 6,43-46); und 3. oblative Selbsttötungen, in denen der Suizid als Opfer für das Volk oder den eigenen Herrn gedeutet wird, z.B. die Selbsttötung von Sauls Waffenträger (1 Sam 31,5).
Diesen Teil des Bandes schließt ein großer Artikel von Angelika BERLEJUNG (199-253) zurIkonographie des Todes ab. In einem einführenden Teil bietet sie methodische Überlegungen zu einer konstruktivistischen, historisch orientierten Bildinterpretation, die in retrospektiver Hinsicht zu klären hat, in welcher Weise Bilder historische und soziale Konstruktionen ihres Entstehungsumfeldes sind, und prospektiv nach den Wirkungen fragt, die Bilder freisetzen können. Dann folgt ein äußerst materialreicher Durchgang durch altorientalische Bilder, auf denen Sterbende oder Tote dargestellt sind. Leider konnten aus Platzgründen nicht alle Bilder abgedruckt werden, und von den beigegebenen 16 Abbildungen sind nicht alle optimal reproduziert. Berlejung unterscheidet 5 verschiedene Motivkomplexe, in denen Sterbende abgebildet werden: Tod durch einen Herrscher, durch gegnerische Soldaten, durch Hinrichtungen, durch eine angreifende Gottheit oder ein wildes Tier bzw. Mischwesen. Nur selten und nur in Ägypten ist die Darstellung einer aufgebahrten Leiche belegt. Bilder sind im Alten Orient in der Regel Überlegenheitsdarstellungen; um das Leid der Sterbenden geht es dabei nicht. Keine Bildthemen sind der friedliche Tod im Alter, Unfälle, Naturkatastrophen, Krankheit, Hunger, Frauen- und Kindstod. So repräsentiert das Repertoire einen Diskurs der Oberschicht: Frauen, Kinder oder sozial Schwache kommen nicht vor. Bei der Darstellung sind kulturelle Konstrukte maßgeblich, die das Weltbild in Antagonismen (geordnet – ungeordnet / tot – lebendig / Fremde – Selbst / gut – böse / Ehre – Schande) einteilen und auf diese Weise Orientierung bieten. Auf häufigsten geht es dabei um die Inszenierung von machtvoller Überlegenheit, nicht aber um die Darstellung des Todes um seiner selbst willen oder um die nicht-darstellbare Erfahrung des Sterbens.

III. Bestattungs- und Trauerriten – zur rituellen Bewältigung des Todes I
Die Ritualisierung und Kultivierung des Todes dient dessen Bewältigung. Jens KAMLAH (257-297) untersucht und interpretiert in archäologischer Perspektive die materiellen Befunde zum Thema Tod und Bestattung in Israel und Juda. Dazu bietet er zunächst weiterführende Begriffsdefinitionen, die es möglich machen, zwischen Totenkult, Ahnenkult, Grab, Beigabensitte, Bestattung, Begräbnis und Begräbnisriten präzise zu unterscheiden und beschäftigt sich dann mit den Formen der Gräber (Grubengrab und Höhlengrab) und den aus den Funden rekonstruierbaren Abläufen der Begräbnisriten. Als Ergebnis hält er fest, dass weder Toten- noch Ahnenkult in Israel und Juda archäologisch nachweisbar seien. Auch die Vorstellung vom Grab als Wohnhaus lässt sich durch die Funde in Israel/Juda nicht belegen. Als judäische Spezifika nennt Kamlah die besondere Rolle der Familie, die sich in der Verwendung von Familiengräbern zeige, Beigaben von Gefäßen zur Versorgung der Toten und die Hoffnung auf göttlichen Schutz für die Toten, die sich in Götter- und Göttinnenfigurinen, Sitzmöbeln, Rasseln oder Amuletten (Ketef Hinnom) Ausdruck verschaffe. So wurde in Juda versucht, die Verbindung zwischen Lebenden und Toten unter göttlichem Segen und Schutz auch nach dem Tod aufrecht zu erhalten.
Silvia SCHROER (299.321) betrachtet die Rituale, die den Weiterlebenden gelten, und hebt zwei Besonderheiten hervor. Einmal das auffällige Gendervorzeichen der Trauer (Klage der Frauen), andererseits die im wörtlichen Sinn ›einschneidenden‹ Riten (Haarescheren und Hautritzen). Wenn in Israel – ähnlich wie in Griechenland – gelegentlich Vorschriften formuliert wurden, mit denen versucht wird, die Trauerbräuche einzuschränken, zeigt dies, dass die Praxis des Trauerns nicht unumstritten war. Der Diskurs um zulässige Trauerbräuche ist letztlich ein Diskurs um Macht, Einfluss, Tradition und Kritik an Tradition.
Herbert NIEHR (323-346) rekonstruiert anhand verschiedener Texte und archäologischer Daten die gesamten Bestattungsriten im spätbronzezeitlichen Ugarit von den Trennungsriten vom Tod des Königs über die Bestattung in einem Bereich des Palastes (zone funéraire) in einer Gruft bis zum Abschluss der Totenklage.
Schließlich geht Reinhard ACHENBACH (347-369) der Vorstellung von der Verunreinigung durch die Berührung Toter in den unterschiedlichen Schichten des Pentateuch nach. Diese Tabuisierung basiere nicht auf hygienischen Überlegungen, sondern habe ihren Grund darin, Heiligtümer vor den verunreinigenden und profanisierenden Einwirkungen lebensbedrohlicher Mächte zu schützen. So erkläre sich auch die zielgerichtete Entsakralisierung durch Menschengebeine (vgl. 2 Kön 23,14). Aus diesem Zusammenhang ergeben sich die Reinheitsgebote für die Priester; erst die jüngsten Schichten des Pentateuch kennen eine Verunreinigung an Toten auch für Laien.

IV. Postmortale Existenzformen – kosmologische und theologische Aspekte
Der vierte Teil richtet den Blick über die Todesschwelle hinaus und fragt nach dem Verhältnis zwischen Gott und den Toten im Alten Testament. Gönke D. EBERHARDT (373-395) differenziert sehr sorgfältig die These von der ›Kompetenzerweiterung‹ YHWHs in Bezug auf die Unterwelt und zeigt auf, dass hier mehrere, teilweise interdependente Prozesse auf unterschiedlichen Ebenen abliefen, die in einem sich wandelnden Spektrum von Unterweltsvorstellungen zu Akzentverschiebungen führten. Sie kann nachweisen, dass die Vorstellung, bis in die Königszeit sei die Unterwelt YHWHs Machtbereich entzogen gewesen, nicht in dieser Absolutheit zutrifft und dass die Kompentenzerweiterung nur zum Teil Ergebnis eines theologischen Reflexionsprozesses ist, sondern ebenso von religionsgeschichtlichen Entwicklungen in der Umwelt beeinflusst und je nach kosmologischem oder soteriologischem Kontext situativ zur Sprache gebracht wurde.
Kathrin LIESS (397-422) stellt die Frage nach der Lokalisierung der Unterwelt im Alten Testament und kann verschiedene Perspektiven aus alttestamentlichen und altorientalischen Quellen aufzeigen, in denen die Unterwelt entweder in der Erd- oder Wassertiefe oder in der Peripherie der Kulturlandschaft (Wüste, Ozean, Berge am Rand der Erde) angesetzt wird. Je nach Kontext stellen die Texte andere Vorstellungen in den Vordergrund. Eine wichtige Rolle spielen die jeweiligen Auffassungen von der Grenze zwischen der Welt der Toten und der Lebenden, die entweder mit der Metapher ›Tor‹ räumlich gefasst werden können oder die Unterwelt als dynamische Macht (Todessphäre) sehen, die in die Lebenswelt der Menschen hineingreift.
Klaus BIEBERSTEIN (423-446) zeichnet die Entstehung der Auferweckungshoffnungen in der alttestamentlich-frühjüdischen Literatur präzise nach, die sich einerseits aus dem Gedanken des Monotheismus, andererseits aus der Erfahrung unverschuldeten Leidens entwickelte (Theodizee), wenn der Zusammenhang von Tun und Ergehen diesseits der Todesschwelle nicht mehr aufgeht. Dazu stellt er vier sich zeitlich überlagernde und sich schließlich ablösende Modelle vor. 1. Die Aufnahme der Gerechten im Tod (z.B. Jes 53,8-11b; Ps 73,24; Weish 3,1-4); 2. Die Auferweckung der Ungestraften und Ungesühnten (besonders äthHen 22; Dan 12,1-4); 3. Die Aufnahme (nur) der Gerechten (z.B. Jes 24-27; TextXII, 2 Makk 7); 4. Die Auferweckung aller Toten (TestBenj 10,6-8; äthHen 51). Diese Modelle spiegeln einen Denkprozess wieder, der um die Frage nach Gottes Gerechtigkeit angesichts des Leides ringt und auch im Neuen Testament noch keineswegs zu einem Abschluss gekommen ist.
Bernd JANOWSKI (447-477) setzt sich kritisch mit der These vom Tod als ›sakralem Vakuum‹ auseinander, nach der der Tod in Israel desakralisiert oder entdivinisiert gewesen sei. Er bietet eine große Synthese zur gegenwärtigen Forschung, die religionsgeschichtlich eine Entwicklung von YHWH als Gott der Lebenden in vorexilischer Zeit zu seiner Macht über Leben und Tod in exilisch¬nachexilischer Zeit zu rekonstruieren versucht, und macht auf zahlreiche Aspekte und Faktoren aufmerksam, die bei dieser Entwicklung eine Rolle gespielt haben. Die Kompetenzausweitung YHWHs ist nicht das Ergebnis einer langsamen Addition, sondern ein Prozess, der einen Umschlag im Denken erfordert, dessen formatives Element sicher der Monojahwismus/Monotheismus gewesen ist.

V. Das Band zwischen den Lebenden und den Toten – zur rituellen Bewältigung des Todes II
Der fünfte Teil des Buches beschäftigt sich wie der dritte Teil mit Riten zur Bewältigung des Todes, doch geht es nun nicht mehr um Bestattungs- und Trauerriten, sondern um Bräuche, durch die die Verbindung zwischen Lebenden und Toten auch in und nach der Trauerzeit aufrechterhalten wird. Dagmar KÜHN (481-499) sammelt unterschiedliche Aspekte des Totengedenkens im Alten Testament und betrachtet diese im Anschluss an M. Halbwachs und J. Assmann als soziale und kulturelle Phänomene. Zu diesen Aspekten gehören die monumentalisierte Inszenierung des Totengedenkens durch Gräber oder Grabdenkmäler (z.T. ohne Gräber), Ahnenbilder, Gaben an oder ein Mahl mit den Toten, wie auch Fürbitte und Sühnopfer für die Verstorbenen.
Rüdiger SCHMITT (501-524) versucht in seinem Beitrag, textliche und archäologische Befunde zu den Themen Totenversorgung, Totengedenken und Nekromantie zusammenzuführen. In textlicher Perspektive ist zur Nekromantie vorexilisch die Textbasis sehr dünn (nur 1 Sam 28), doch gibt es zahlreiche Polemiken gegen diese Praxis. Ein echter Totenkult mit vergöttlichten Toten ist im gesamten Alten Orient nicht belegt, unbezweifelbar ist aber die über den Tod hinausgehende weitere Versorgung der Toten sowie Familienfeste unter Einbeziehung auch der Toten (vgl. Jes 65,4f). Weiterhin werden Totendenkmäler erwähnt und mit dem Begriff tĕrāpîm unterschiedliche Ritualobjekte bezeichnet. In archäologischer Hinsicht identifiziert der Autor in häuslichen Kontexten in der EZ II gefundene Terrakotten mit den tĕrāpîm, verweist auf die in ihrer Deutung allerdings umstrittenen Höhlen I-III in Jerusalem als Beleg für rituelle Totenmahlzeiten und diskutiert, ob eine in Hazor gefundene Maske und Ritualobjekte als Hinweise für Nekromantie in Privathäusern zu deuten seien.
Raik HECKL (525-546) sucht nach Spuren für eine Ahnenverehrung in Vorstufen der biblischen Texte. Er deutet die Erzählung von Og von Baschan (Dtn 3) als programmatischen Gegenmythos zur Ahnenverehrung, sieht in den Erzväterüberlieferungen Reminiszenzen an eine Ahnenverehrung und interpretiert schließlich Ex 15,22-27 als Indiz für eine frühe Verknüpfung zwischen den Erzvätererzählungen und der Exoduserzählung auf der Ebene der Hexateuchredaktion, wobei dieser Text auf einer älteren Erzählung einer Ahnenverehrung fuße. Die Interpretation nicht mehr vorhandener, weil programmatisch überarbeiteter Texte muss dabei notwendig hypothetisch ausfallen.
Mit einer Doppelthese eröffnet Jan Christian GERTZ (547-563) seinen Beitrag: 1. Es gab bis zum Exil die landläufig verbreitete Vorstellung einer Verbindung zwischen Lebenden und Toten; 2. Dtn-dtr Literatur polemisiert aus theologischen Gründen gegen diese Beziehung und propagiert ein ›Zerschneiden des Bandes‹. Zunächst wirft Gertz einige forschungsgeschichtliche Streiflichter auf das Thema mit dem Ergebnis, dass die Verehrung der Ahnen insbesondere im Kontext patrilinearer Erbfolge wichtig war: Die Bestattung auf dem Familienland stellte den Erbbesitz sicher. In diesem Kontext – auf der Ebene familiärer Religion – fand auch ›Totenkult‹ im Sinne einer Versorgung und Memoria der Ahnen statt. Die theologische Polemik der dtn-dtr Literatur fußt nun nicht auf ›reiner Dogmatik‹, sondern muss religionssoziologisch im Kontext von familien- und erbrechtlichen Bestimmungen gelesen werden. Im Hintergrund stehen soziologische Verwerfungen, die u.a. durch eine fortschreitende Urbanisierung und den Feldzug Sanheribs dazu führten, dass die Familiensolidarität von außen bereits geschwächt war. Das Dtn will diesen Verlust ausgleichen, indem es ganz Israel zur ›Familie‹ erklärt und in diesem Kontext gegen die Sicherstellung familiären Erbbesitzes polemisiert. Dabei richtet sich die Stoßrichtung der einschlägigen Texte aus dem Dtn nicht zuerst gegen den Ahnenkult, sondern erwähnt ihn nur beiläufig. Es hat den Anschein, als stünde er ohnehin schon zur Disposition. Das Dtn vollzieht nur nach, erst die Wirkungsgeschichte erhebt normative Ansprüche.

VI. Tod und Jenseits im antiken Mittelmeerraum – komparatistische Aspekte
Der letzte Teil des Buches weitet den Horizont und bietet Beiträge zum Thema Tod und Jenseits in den benachbarten Kulturkreisen. Annette ZGOLL (567-581) stellt die Frage nach Möglichkeiten geglückter (!) Kommunikation zwischen Lebenden und Toten in Mesopotamien – jenseits der erschreckenden Totengeister – und unterstreicht die Funktion von Toten als Wissensvermittler. Diese Botschaften können sich spontan ereignen, aber auch aktiv durch Rituale hervorgerufen werden. Das Ziel ist aber nicht nur ein bestimmtes Wissen, sondern konkrete positive Auswirkungen auf das Schicksal der Lebenden, die entweder durch die Totengeister selbst verursacht werden oder durch die Götter, die über das Schicksal der Menschen in Form von Rechtsfällen entscheiden.
Daniel SCHWEMER (583-596) beschäftigt sich mit babylonischen Abwehrzauber-Ritualen. Um einen unzeitgemäßen Tod abzuwenden, versuchte man, die Ursache der Todesnähe herauszufinden und zu bannen mit dem Ziel, das Schicksal auf den Verursacher, einen übelwollenden Mitmenschen, zurückzuwerfen. Dazu wird rituell eine Figurine vernichtet, die als Schicksalsgöttin der Hexe bzw. des Hexers identifiziert wird, um so eine Umkehr der Verhältnisse zu erreichen.
Einen fachwissenschaftlichen Aufsatz zu ägyptischen Grabausstattungen steuert Joachim F. QUACK (597-629) bei. Er fragt, ob es Entwicklungen in der ägyptischen Geistesgeschichte gegeben habe und zeichnet Veränderungen in der Bestattungskultur ab der 21. Dynastie bis in die Spätzeit nach. Insbesondere gegenständliche Funde, Textbeigaben und Malereien stehen im Zentrum des Interesses.
Joachim BRETSCHNEIDER (631-654) deutet das jüngst freigelegte Tempelgrab von Tell Beydar (das antike Nabada) im Kontext anderer syrischer Palast- und Tempelanlagen und der Archäologie und Topographie von Herrschergräbern in Nordsyrien (Ebla, Mari, Tell Bi’a, Qatna, Ugarit). Grabkomplex, Tempel und Palast bilden ein architektonisches und ideologisches Gesamtkonzept, das auf einen dynastischen Ahnenkult schließen lässt, der zur Legitimation der Führungsrolle der Herrscherdynastie diente.
Den Band beschließt ein materialreicher Aufsatz von Jürgen ZANGENBERG (655-689), der sich mit Todes- und Jenseitsvorstellungen im Judentum der hellenistisch-frührömischen Zeit beschäftigt. Er beginnt mit grundsätzlichen Überlegungen zum Verhältnis von Archäologie und Text im Bereich des Neuen Testaments und zur Grundfrage nach Judentum und Hellenismus sowie ihren architektonischen und künstlerischen Ausdrucksformen und stellt dann jüdische Bestattungspraktiken und Vorstellungen vom Jenseits dar, mit dem Ergebnis, dass das Judentum zwar teil hat an der Kultur der Mittelmeerwelt, es aber andererseits eine Vielzahl von regional unterschiedlichen Ausprägungen und konkurrierenden theologischen Tendenzen gab, so dass die Frage, ob und wie es nach dem Tode weitergeht, im Frühjudentum sehr uneinheitlich behandelt wurde. Die Selbstverständlichkeit, mit der im frühen Christentum dann von ›Auferstehung‹ geredet wird, ist innovativ und findet sich im antiken Judentum so gerade nicht.

Olaf Rölver (2010)
Quelle: Katholisches Bibelwerk e.V. Stuttgart, Biblische Bücherschau 5/2010