Richard Rohr
Ins Herz geschrieben
Die Weisheit der Bibel als spiritueller Weg
Freiburg/Br. u.a.: Herder 2008
313 Seiten, € 19,95
ISBN 978-3-451-32005-7
Das Buch ist aus einer Vortragsreihe über die "großen Themen der Bibel" entstanden. Rohr will einen Zugang zur Bibel eröffnen, der einerseits die großen thematischen Linien erschließt und andererseits klarmacht, dass die biblischen Schriften "work in progress" (24-28) sind. Mehr oder weniger intensiv arbeitet er sich durch verschiedenste Themen – und setzt Schwerpunkte bei Begriffen wie Gott, Gesetz, Böses, Gewalt, Nacht, Sündenbock-Mechanismus, Erwählung, Hölle, Kreuz.
Rohr will einen "gesunden Mittelweg" (29) zwischen fundamentalistischer und "engstirniger historisch-kritischer Auslegung" (29) gehen, indem er "solide kulturgeschichtliche Informationen berücksichtigen und psychologische und historische Erkenntnisse aufgreifen" (29) will – mit dem Ziel, die Leser "zur inneren Achtsamkeit auf den göttlichen Geist anzuleiten". Dabei redet bzw. schreibt er anscheinend für aufgeschlossene bzw. unzufriedene (Ex-)Katholiken seiner eigenen Generation – und setzt eine entsprechende Inkulturation voraus. Das grenzt die Zielgruppe des Buches deutlich ein. Jedenfalls scheinen mir Höllenangst und sonstige Skrupel, die vielleicht in der Erziehung amerikanischer Katholiken der 1950er Jahre noch sehr präsent waren, für jüngere Menschen im deutschsprachigen Raum nicht mehr die relevanten Themen zu sein. Davon abgesehen schreibt Rohr gut lesbar und präsentiert einen Mix aus Erfahrungen, Gedanken, Einsichten, Bibelauslegungen, Weisheiten und Anekdoten, dem man den Vortragsstil noch gut anmerkt. Rohr bearbeitet zentrale Themen in allgemeinverständlicher Sprache. Er stellt interessante Bezüge her, bietet Unterscheidungen und Verstehenshinweise. Und vor allem: er ermutigt immer wieder zu eigenen Suchprozessen und Entwicklungswegen. Hier liegen die Stärken des Buches. Allerdings finde ich auch nicht weniges an Rohrs Buch problematisch: dass er sehr stark mit seiner eigenen Lebenserfahrung (z.B. 163, 167) argumentiert, durchgängig ein Feindbild "Dualismus" (34, 57, 129f., 135, 181 u.ö.) pflegt, dem wohl alles zugeordnet wird, was nicht der von ihm propagierten integrativen und intuitiven Spiritualität ("inkarnatorische Mystik" 190) entspricht; und dass er dabei in genau dem polarisierenden Muster agiert (alles oder nichts, gut oder schlecht), gegen das er polemisiert (sehr deutlich S. 181). Zu dieser Polemik gehört auch eine starke Abwertung von Ratio und Verstand, von Denken und Theorie (269, 287, 289). Explizit bezieht Rohr sich nur auf wenige Gewährsleute: in exegetischen Dingen auf Walter Brueggemann (24, 141, 186, 241), in psychologischen auf C. G. Jung (30, 140, 198, 234, 238, 264, 270f u.ö., Anklänge Jung'scher Psychologie auch an weiteren Stellen, z.B. 113, 274). Lieber – so scheint es – vertraut Rohr seinen eigenen vollmundigen Aussagen, gern mit Superlativen garniert (z.B. 128, 162, 183, 289) und mit apodiktischem Anspruch vorgetragen; und nicht selten sogar Gott selber zugeschrieben. Überhaupt spart Rohr nicht mit der Bezugnahme auf Gott und mit dem Wörtchen "Gott" (z.B. auf den Seiten 83-89 ganze 22mal, dazu 4mal das Tetragramm JHWH).
So ist die Lektüre manchmal nicht ganz leicht zu ertragen: der assoziative Stil, der diffuse Religionsbegriff, die Leichtfertigkeit des Urteils, die immer wieder ungenaue Argumentation (z.B. die Verwendung von Hebr 10,31 auf S. 284 oder wenn auf S. 116 der Täuferspruch Mt 3,10 von der Axt, die an die Wurzel des Baumes gelegt ist, als Aussage über Jesus gedeutet wird), die Bestätigung von Klischeevorstellungen (z.B. die Wende vom Saulus zum Paulus, 209, oder die Rede von Petrus als dem ersten Papst, 213f). Dass dann sogar die Quantenphysik zur Bestätigung der Trinitätstheologie herhalten muss (89), überrascht fast schon nicht mehr. Fazit: Das Buch hätte weniger langatmig, dafür dichter und kompetenter werden können, wäre es systematisch auf Längen, Wiederholungen und Inkonsistenzen gegengelesen worden. Wie es vorliegt, ist es in manchem durchaus anregend und Mut machend, aber es sollte ihm in kritisch prüfender Haltung begegnet werden.
Reinhold Reck (2010)
Quelle: Katholisches Bibelwerk e.V. Stuttgart, Biblische Bücherschau 5/2010