Ermutigung zur Schulseelsorge

Buchvorstellung - 25.09.2010

Reinhold Bärenz
Wann essen die Jünger?
Die Kunst einer gelassenen Seelsorge

Freiburg: Herder 2008
317 Seiten
ISBN 978-3-451-29957-5

Bevor Reinhold Bärenz Professor für Pastoraltheologie an der Benediktinerhochschule in Rom wurde, war er Priesterseelsorger der Erzdiözese Bamberg. Diese Erfahrung hat sein Denken geprägt hat, und ihre Frucht ist das vorliegende Buch.
 

Eine zentrale Aussage scheint zu sein: "Werken" ohne Pause ist Fron, ist Sklaverei in Ägypten; dies gilt auch für fromme Werke. Das "Loslassen" der Schöpfung im Sinne einer kontemplativen Pause unterstreicht die grundlegende Ausrichtung des Menschen auf Gott. [190f] Das Buch stellt sich also dar als eine groß angelegte Warnung davor, Seelsorger zu verheizen. Bärenz beobachtet, wie heute die Angst um die Zukunft unseres Glaubens mit zu viel Aktion und Leistung kompensiert wird. [150] Dadurch wird aber gerade das verschleiert, was einer Seelsorge erst Sinn und Ziel gibt: Auch in der Seelsorge sollte Gott den Vorrang haben. Das schließt den entschiedenen wie auch schmerzlichen Abschied von Erfolgsrezepten ein. Es geht in der Seelsorge darum, wieder mehr mit Gott zu rechnen, sei es in der Predigt oder im Religionsunterricht, sei es im Beratungsgespräch oder im Dienst am Kranken, im Gottesdienst oder in den unzähligen anderen Seelsorgerischen Diensten. [123]

in seinem großen argumentativen Zusammenhang geht der Autor sensibel der Frage nach, wo, wie und wen Gott berührt. Hintergrundgeschichte ist die Brotvermehrung, die parallel in den Fassungen des Matthäus, Lukas und Markus auf vielen Ebenen ausgelegt wird. Eine kritische Frage zum Hergang der Erzählung ist auch die Titelfrage: Wann essen die Jünger? Sie bezieht sich auf den Umstand, dass die Jünger den anderen zu essen geben sollen, aber nicht ausdrücklich gesagt wird, dass sie auch selber essen sollen. [53] In den ersten Jahren nach der Priesterweihe stellt sich der junge Seelsorger die Frage: Was ist mit meinem eigenen Hunger? [54] - und findet Trost bei Friedrich Nietzsche, der kritisch bemerkt: Die Arbeit bekommt immer mehr alles gute Gewissen auf ihre Seite: Der Hang zur Freude nennt sich bereits Bedürfnis der Erholung und fängt an sich vor sich selber zu schämen. [Fröhliche Wissenschaft Nr. 329; 55]
Es geht zuerst um Gabe und Zuspruch fürs Leben. Was daraus als Aufgabe, Anspruch und Verantwortung erwächst, ist ermöglicht, nicht mehr erzwungen. [59] Besonders der Körperlichkeit schenkt Bärenz Aufmerksamkeit, indem er fordert, dass sich das geistliche Leben nicht mehr über den Leib erheben darf. [125] Keinesfalls darf die Abtötung der eigenen Triebe und Leidenschaften gefordert werden, sondern positiv: Ihre Kultivierung, Pflege und Entfaltung. [126]

Bärenz’ Buch ist wie eine Wanderung auf eine Hochebene gestaltet. Dort oben wird einfühlsam und gründlich der Psalm von Paul Celan ausgelegt, die Rose, die Niemandsrose wird Leitsymbol einer Seelsorge, die berührt, [287] einer Speise zur rechten Zeit. [279] Sie bleibt nicht im binnenkirchlichen Raum, beschränkt sich nicht auf die Lehrsätze traditioneller Theologie, sondern beherzigt die heutige Pluralisierung: Gegenüber der Andersartigkeit von Personen und Gruppen bedeutet Profilierung nicht Abgrenzung, sondern das Finden der eigenen Identität in der Wertschätzung des anderen. [235]

Das Buch schafft es, Frustrationen abzubauen und zur Seelsorge in Gemeinde und Schule unter den heute obwaltenden Bedingungen zu ermutigen. Das gelingt deshalb, weil Bärenz aus seinem großen persönlichen Erfahrungsschatz und seiner Belesenheit heraus immer wieder die Türöffner findet und Durchgänge in ein neues Denken sichtbar macht.

Dr. Karl Vörckel